Anlässlich einer kürzlichen Reise durch den Westbalkan befragen Mariannella Kloka und Efi Pavlogergatou die Journalistin Milka Tadic Mijovic über die Vergangenheit und Gegenwart Montenegros. Milka Tadic Mijovic wurde als Aktivistin während der turbulenten Übergangszeit in Südosteuropa international bekannt. Sie ist eine der Mitbegründerinnen des Wochenblattes Monitor, der ersten privaten und unabhängigen Wochenzeitschrift Montenegros (1990). In den 1990er Jahren war sie aktiv an der Antikriegsbewegung beteiligt. Die veröffentlichten Fotos aus Kotor stammen von Rena Xirofotou.
Während unserer jüngsten Reise nach Budva und Kotor waren wir von der unbeschreiblichen Naturschönheit fasziniert, aber auch überrascht vom Übertourismus. War das schon immer so?
Milka Tadic Mijovic: Nein, das war nicht immer so. In der Vergangenheit, besonders während der Zeit, als Montenegro Teil von Jugoslawien unter Josip Broz Tito war, konnte sich das Land über erhebliche Einnahmen aus dem Tourismus freuen. Die Zahl der Touristen war deutlich geringer dadurch, dass die Küste weniger erschlossen war und weniger Hotels und private Mietwohnungen vorhanden waren. Dennoch waren die Touristen anspruchsvolle Reisende, hauptsächlich aus Westeuropa, wobei Deutsche und Skandinavier die Mehrheit bildeten. Leider hat die 3j-jährige autokratische Regierung, die auf den Zerfall Jugoslawiens folgte, der wirtschaftlichen Entwicklung durch Massentourismus und großangelegte Bauweise den Vorrang gegeben. Dieser Ansatz führte zu einer Umweltzerstörung, insbesondere entlang bestimmter Küstenregionen und trug zu einer Verschlechterung der Qualität des Tourismus bei. All das beeinträchtigt die Gesamtentwicklung Montenegros, vorausgesetzt dass der Tourismus der vorherrschende Wirtschaftszweig ist.
Gibt es Basisbewegungen, die der übermäßigen Tourismusentwicklung und dem Massetourismus entgegentreten?
In der Gesellschaft gibt es noch kein ausreichendes Bewusstsein über die Probleme, die mit dieser Art von Tourismus in Zusammenhang gebracht werden, besonders was die nachhaltige Entwicklung, die Umwelteinflüsse, den Klimawandel und das Wohl der Einwohner angeht. Es fehlt auch das Bewusstsein dafür, dass künftige Generationen, sofern diese Entwicklungen fortdauern, ein verwüstetes Küstengebiet und zerstörten Grund und Boden erben werden. Einige bürgerliche Organisationen, Aktivisten und Experten warnen jedoch davor, dass der Massentourismus sowohl verheerend als auch nicht nachhaltig ist, besonders für kleine Länder wie Montenegro. Ich glaube, dass ähnliche Bewegungen in unserem Land entstehen werden, die sich für eine Rückkehr zu nachhaltigen Vorgehensweisen einsetzen, wie dies in anderen Ländern, die sich mit diesem Thema auseinandersetzen, geschehen ist.
Montenegro gelang der Übergang in die Unabhängigkeit relativ problemlos. Welches sind nach 18 Jahren die positiven und negativen Aspekte dieses neuen Staates?
Die Unabhängigkeit Montenegros von Serbien war eine positive Entwicklung, denn das Verhältnis zwischen Belgrad und Podgorica war durch Störungen und Reibereien belastet. Darüber hinaus stellt Montenegros Einsatz für die europäische Integration und sein Ziel, der Europäischen Union beizutreten, einen bedeutenden Schritt nach vorne dar. Allerdings bleiben einige Probleme bestehen. Lange Zeit wurde Montenegro autokratisch regiert, wobei das Regime einen Großteil der gesellschaftlichen Bereiche, von der Justiz bis zur Wirtschaft, überwachte. Diese Regierung unterhielt in verschiedenen Bereichen Monopole, unterdrückte den Wettbewerb und verlagerte den gesellschaftlichen Reichtum mit Hilfe von Privatisierungen in die Hände einiger weniger Oligarchen, die der politischen Elite unter Führung des langjährigen Präsidenten Milo Dukanovic nahestanden. Das kriminelle Netzwerk in Montenegro hat sich ebenfalls vergrößert, durch wichtige Drogenclans, die am Kokainhandel, der mit politischen, polizeilichen und gerichtlichen Strukturen vernetzt ist, beteiligt sind. Obwohl es im Jahr 2020 einen Regierungswechsel gab, hat Montenegro noch keine funktionierende Demokratie zustande gebracht. Der neuen politischen Führung wird zum Vorwurf gemacht, dass sie alte Methoden anwende, um ihre Macht zu stärken, anstatt eine ernsthafte gesellschaftliche Umgestaltung zu verfolgen.
Wir waren überrascht zu hören, dass Montenegro das einzige Balkanland ist, das den Euro als Währung verwendet, obwohl es nicht Mitglied der Eurozone ist. Hat diese Entscheidung die nationale Wirtschaft gestärkt oder hat sie die Beschaffung von Waren für die Montenegriner schwieriger gemacht?
Die Entscheidung Montenegros, zur deutschen Mark zu wechseln, während es noch im Zusammenschluss mit Milosevics Serbien war, war sinnvoll. Zu dieser Zeit überwachte die serbische Regierung den Dinar, der die gemeinsame Währung war, und Montenegro hatte keinen Einfluss auf die Währungspolitik oder die Ausgabe von Devisen. Dieser Kontrollmangel gefährdete zusätzlich die ohnehin schon schwache Wirtschaft Montenegros. Die Umstellung auf die deutsche Mark war für die Stabilität unbedingt erforderlich, und als die Europäische Union den Euro einführte, schloss sich Montenegro an. Dies hat sich als vorteilshaft erwiesen, da der Euro allgemein für eine stabile Währung gehalten wird. Allerdings gibt es auch bestimmte Einschränkungen; die Zentralbank von Montenegro kann keine Devisen ausgeben und einige wirtschaftliche Situationen nicht beeinflussen. Trotz dieser Einschränkungen haben sich die Montenegriner seit langem auf den Euro eingestellt, und seine Stabilität wird angesichts der früheren Instabilität des Dinar besonders geschätzt.
Wie beurteilen Sie die aktuelle Situation der Beziehungen zwischen Montenegro und Serbien in Anbetracht des Gesetzes von 2019 zur Regelung kirchlicher Angelegenheiten?
Die Beziehungen zu Serbien sind seit der Auflösung Jugoslawiens vielschichtig und häufig angespannt, größtenteils wegen der Bestrebungen Serbiens, Montenegro zu beherrschen und zu unterjochen. Diese Dynamik setzt sich fort, insbesondere unter der Führung von Alexandar Vucic, der Einfluss auf einen Teil der politischen Elite Montenegros ausübt, die proserbisch und prorussisch ist. Darüber hinaus wird die Situation noch komplizierter durch die Kontrolle Serbiens über einige Medien und die hohe Präsenz der serbisch-orthodoxen Kirche – ihrer Geistlichen, Anhänger und Ressourcen. Montenegro mit seiner kleinen Bevölkerung, seiner wirtschaftlichen Rückständigkeit und seinen unmündigen demokratischen Institutionen, bemüht sich, diesen äußeren Einflüssen entgegenzuwirken, die im Verlauf seiner Geschichte fortbestanden haben. Um Stabilität zu garantieren, muss Montenegro positive Beziehungen mit seinen regionalen Nachbarn pflegen, während es seine Autonomie und Unabhängigkeit sicherstellt. Die Stärkung der internen Institutionen, die Erholung der Wirtschaft und die Stützung der Rechtsstaatlichkeit sind unerlässlich, um diese anspruchsvollen Beziehungen zu lenken und die Interessen Montenegros und seiner Bürger zu schützen.
Wie reagieren die Regierung Montenegros und seine Bevölkerung auf die Migrationsströme der Balkanroute angesichts der jüngsten Geschichte der Balkankriege?
Die meisten Ausländer:innen, die in Montenegro ankommen, kommen aus Russland, der Ukraine und der Türkei, während weniger Migranten aus Afrika und Asien die Balkanroute nutzen. Diejenigen, die aus Afrika und Asien kommen, durchqueren Montenegro auf ihrem Weg nach Westeuropa, anstatt dort zu bleiben. Nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine machten zu einem Zeitpunkt Russen und Ukrainer fast 20% der örtlichen Bevölkerung aus, während der Anteil der Türken bei etwa 5% lag. Viele dieser Menschen flohen vor dem Krieg und eine beträchtliche Anzahl ist hier wegen ihres Widerstandes gegen die Politik von Putin und Erdogan. Sie arbeiten aktiv daran, sich ein neues Leben aufzubauen, indem sie entweder ihre eigene Firma gründen oder für internationale Unternehmen, insbesondere im IT-Bereich, arbeiten anstatt für lokale Firmen.
Sowohl die Regierung als auch die Bürger von Montenegro sind im Allgemeinen gastfreundlich, besonders gegenüber Russen und Ukrainern. Diese Aufgeschlossenheit rührt aus der Geschichte Montenegros, das während der Kriege in Kroatien und Bosnien Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien aufgenommen hat. Ich bin stolz darauf, dass mein Land einen Geist des Verständnisses und der Empathie gegenüber Flüchtlingen aufrechterhält. Montenegro steht jedoch mit der anhaltenden Abwanderung seiner Bevölkerung einer enormen Herausforderung gegenüber. In den vergangenen Jahrzehnten haben geschätzt 100.000 Montenegriner dieses kleine Land verlassen, das knapp über 620.000 Einwohner hat. Darüber hinaus haben die instabilen wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse zu einem deutlichen Rückgang bei der Geburtenrate geführt. Leider hat sich die Regierung nicht ausreichend mit diesen kritischen Themen auseinander gesetzt und wenig unternommen, um Voraussetzungen zu schaffen, die die Menschen zum Bleiben ermutigen.
Kurzer Lebenslauf Milka Tadic Mijovic
Milka Tadic Mijovic ist eine Journalistin, Medienmanagerin und internationale Bürgeraktivistin während der turbulenten Übergangsphase in Südeuropa. Sie ist eine der Mitbegründerinnen der Wochenzeitung Monitor, der ersten privaten und unabhängigen Wochenzeitschrift Montenegros (1990). In den 1990er Jahren engagierte sie sich aktiv in der Antikriegsbewegung. Tadic Mijovic war die erste Journalistin, die wegen kritischer Beiträge über die nationalistische Politik des jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic entlassen wurde. Ihre Artikel, in denen sie für Frieden und ethnische Minderheiten eintritt und die Korruption bekämpft, haben Auszeichnungen erhalten und wurden von der New York Times, dem Economist und anderen Publikationen übersetzt und zitiert.
Sie wurde in ihrem Land bedroht, weil sie sich gegen Korruption und andere Verstöße in der Regierung aussprach. Aus diesem Grund wurde Tadic Mijovic in die erste Liste der „100 Informationshelden“ von Reporter ohne Grenzen aufgenommen. (https://rsf.org/en/hero/milka-tadic-mijovic).
Tadic Mijovic war im Vorstand der Open Society Stiftung in Montenegro, im Lenkungsausschuss für Massenmedien des Europarats, und war Mitglied der Gemeinsamen Kommission für Medienpolitik der Duke University und der Stadt Wien. Sie besitzt einen Master-Abschluss in Politikwissenschaft und Journalismus der Universität von Montenegro und einen Bachelor-Abschluss in Politikwissenschaft der Universität Belgrad.
Tadic Mijovic ist Präsidentin des Zentrums für investigativen Journalismus in Montenegro. Sie konzentriert sich gerade auf Themen in Zusammenhang mit Korruption auf höchster Ebene, Rechtsstaatlichkeit, Medienfreiheit und Naturzerstörung in ihrer Heimat Montenegro und auf dem Balkan.
Die Übersetzung aus dem Englischen wurde von Doris Fischer vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!