Die Folgen der westlichen Russland-Sanktionen beginnen das Asiengeschäft der großen westeuropäischen Airlines zu ruinieren. Die Lufthansa verzeichnet starke Einbrüche im einst als Zukunftshoffnung gepriesenen Chinageschäft.

Die Folgen der westlichen Russland-Sanktionen beginnen das Asiengeschäft der großen Fluggesellschaften Westeuropas zu ruinieren, darunter die Lufthansa. Erst kürzlich haben British Airways und die britische Airline Virgin Atlantic bekanntgegeben, ihre potenziell ertragreichen Flüge nach China weitestgehend einzustellen. Die Hauptursache ist, dass ihre Flugzeuge auf dem Weg in die Volksrepublik nicht mehr den direkten Weg über Russland nehmen können, das – in Reaktion auf die Sperrung des europäischen Luftraums für seine Maschinen – seinen Luftraum für europäische Flugzeuge gesperrt hat. Der nötige Umweg kostet so viel Zeit und Geld, dass die Flüge nicht mehr profitabel fortgesetzt werden können. Dasselbe Schicksal droht nun auch der Lufthansa, die die Anzahl ihrer Flüge nach China schon reduziert. Das Asiengeschäft stand vor der Covid-19-Pandemie für fast ein Fünftel des Lufthansa-Umsatzes und galt als Zukunftsgeschäft. Profiteure der westlichen Sanktionspolitik sind chinesische Airlines, die in wachsendem Maß den Markt übernehmen. Gleichzeitig ist es dem Westen nicht gelungen, mit den Sanktionen die russische Luftfahrtbranche wie erhofft zu ruinieren.

Marktanteile verloren

Bereits vor knapp drei Wochen hatte die Mitteilung der Fluggesellschaft British Airways für Aufsehen gesorgt, sie werde ihre Flüge von London-Heathrow nach Beijing ab dem 26. Oktober bis zunächst November 2025 komplett einstellen. Vorausgegangen war Mitte Juli die Ankündigung der britischen Airline Virgin Atlantic, sich ganz aus dem Geschäft mit Flügen aus dem Vereinigten Königreich in die Volksrepublik zurückzuziehen.[1] Die britischen Unternehmen hatten schon zuvor massiv Marktanteile verloren: Hatten sie im August 2014 noch rund 54 Prozent aller Sitzplätze auf den Flügen zwischen Großbritannien und China gestellt, so sind es aktuell gerade einmal 12,6 Prozent. 87,4 Prozent werden von chinesischen Fluggesellschaften gehalten, allen voran von Air China (27,4 Prozent).[2] Dies ist keine Marginalie. Anders als auf dem europäischen Kontinent übertrifft in Großbritannien die Zahl der Flüge in die Volksrepublik den Umfang vor der Pandemie inzwischen recht deutlich: Die Zahl der Sitzplätze lag Mitte August bei rund 137 Prozent des Vergleichswerts aus dem Jahr 2019. Das Fluggeschäft mit dem riesigen chinesischen Markt gilt in der Luftfahrtbranche als auf lange Sicht außerordentlich attraktiv.

Teure Umwege

Dass British Airways und Virgin Atlantic ihre Flüge nun weitgehend einstellen mussten, ist eine Folge der westlichen Sanktionspolitik gegen Russland. Die EU sowie die europäischen NATO-Staaten hatten ihren Luftraum unmittelbar nach dem Beginn des Ukraine-Kriegs für alle russischen Flugzeuge gesperrt. Moskau hatte darauf reagiert, indem es den russischen Luftraum für europäische Flugzeuge schloss. Diese müssen seitdem für Flüge nach Asien – darunter nach China – lästige Umwege, längere Flugzeiten und höhere Treibstoffkosten in Kauf nehmen. Zuletzt wurden etwa für einen Flug mit British Airways aus Beijing nach London zwölf Stunden und 48 Minuten gemessen; die Maschine musste den Umweg über Zentralasien und den Südkaukasus nehmen.[3] Ein Flug mit Air China dauerte dagegen nur neun Stunden und 44 Minuten; die Maschine konnte die kürzeste Route über russisches Territorium nutzen, da der russische Luftraum für chinesische Flugzeuge nicht gesperrt ist. Weil die erheblich längere Flugdauer nicht bloß die Treibstoffkosten in die Höhe treibt, sondern auch für die Kunden unattraktiv ist, sahen sich die britischen Airlines genötigt, die Flüge nach China stark zu reduzieren. In Zukunft wird es nur noch British Airways-Flüge nach Shanghai geben – ein Marktanteil von dürren 6 Prozent.[4]

Vorteil für China

Ähnlich stellt sich die Lage auch für alle anderen westeuropäischen Airlines dar – darunter die Lufthansa. Dies belegen Angaben der auf die Luftfahrt spezialisierten britischen Datenanalysefirma Cirium, die das Handelsblatt ausgewertet hat. Dabei geht es konkret um Flüge zwischen Frankfurt am Main, München, London oder Paris nach Beijing oder Shanghai. Nicht nur British Airways und Virgin Atlantic, sondern auch Air France und die Lufthansa sind durch die längeren Flugstrecken stark unter Druck geraten; so heißt es etwa, die Lufthansa müsse für ihre Chinaflüge zusätzlich zu den höheren Treibstoffkosten „30 Prozent mehr Flotte und Personal“ bereitstellen.[5] Der Druck habe dazu geführt, dass der Marktanteil von British Airways, Virgin Atlantic, Air France und der Lufthansa gegenüber 2019 um 39,1 Prozent gefallen sei; der Marktanteil chinesischer Airlines dagegen sei im selben Zeitraum um 31,1 Prozent gestiegen. Chinesische Fluggesellschaften stellten damit bereits 68,8 Prozent sämtlicher Sitze auf den Flügen zwischen den genannten Flughäfen in Europa bzw. in China. Aufgrund ihrer Kosten- und Zeitvorteile haben die chinesischen Airlines beste Chancen, ihre führende Marktposition weiter auszubauen.

Staatsunterstützung für die Lufthansa

Für die Lufthansa gilt dies als fatal. Ihr Asiengeschäft beanspruchte im Jahr 2019 – also unmittelbar vor der Covid-19-Pandemie – knapp ein Drittel ihrer Sitzplätze, und es brachte rund 19 Prozent der Umsätze im Passagiergeschäft ein.[6] Es galt als ein hochbedeutender Zukunftsmarkt. Die Probleme insbesondere bei den Flügen nach China wurden vor kurzem als eine der Ursachen für den Gewinneinbruch im Frühjahrsquartal um rund 50 Prozent genannt.[7] Während die Lufthansa die Anzahl ihrer Flüge in die Volksrepublik ab Oktober reduziert, wollen chinesische Airlines ihre Aktivitäten ausbauen – werden dabei jedoch laut dem Handelsblatt vom Bundesverkehrsministerium ausgebremst. Dieses genehmigt der chinesischen Konkurrenz lediglich vier zusätzliche Flüge in der Woche ab Sommer 2025 sowie vier weitere ab Herbst 2025, während deutsche Firmen zusätzlich 17 Frachtflüge durchführen können.[8] Man habe „die Wettbewerbssituation“ sorgfältig im Blick, wird ein Ministeriumssprecher zitiert: „Aus diesem Grund haben wir Sorge dafür getragen, dass die Erhöhung der Passagierflüge [chinesischer Gesellschaften] moderat ausfiel und zeitversetzt erst im nächsten Jahr stufenweise erfolgt.“ Das Handelsblatt führt dies ausdrücklich auf „Lobbyarbeit der Lufthansa“ zurück.

„Erosionsprozesse sind ausgeblieben“

Während die westliche Sanktionspolitik auf die europäischen Airlines zurückschlägt und ihnen den Verlust von Marktanteilen an die chinesische Konkurrenz beschert, bleiben die im Westen erhofften Sanktionsschäden für die russische Luftfahrtbranche bislang aus. Bereits im Frühjahr hieß es, zwar sei in Russland die Gesamtzahl der Flüge von 1,49 Millionen im Jahr 2021 auf 1,26 Millionen im ersten Kriegsjahr 2022 zurückgegangen. Im vergangenen Jahr sei sie jedoch bereits wieder auf 1,28 Millionen gestiegen.[9] „Die erwarteten Erosionsprozesse in der russischen Luftfahrt sind ausgeblieben“, wurde im Mai ein Experte zitiert. Auch im Hinblick auf die Zahl der Flugpassagiere seien die Sanktionen „zweieinhalb Jahre nach dem Beginn nicht spürbar“, konstatierte ein Mitarbeiter des Münchner Beratungsunternehmens H&Z Mitte Juli.[10] Probleme gebe es freilich bei der Beschaffung von Ersatzteilen für Passagiermaschinen westlicher Bauart. Weil diese nicht in ausreichender Zahl zur Verfügung stehen, müssen russische Fluggesellschaften improvisieren – so etwa kopierte Ersatzteile einbauen oder Wartungszyklen verlängern. Dies droht mittlerweile in erheblichem Ausmaß auf Kosten der Flugsicherheit zu gehen.

Menschenleben in Gefahr

Moskau hat deshalb im vergangenen Jahr Beschwerde bei der International Civil Aviation Organization (ICAO) eingelegt: Die westlichen Sanktionen, erläuterte das Außenministerium, gefährdeten die Sicherheit der internationalen Zivilluftfahrt.[11] Reaktionen darauf bleiben im Westen bis heute aus. Dabei mahnen sogar westliche Spezialisten, die die Sanktionen grundsätzlich befürworten, zu Rücksichtnahme. „Die Verbindung der zivilen Luftfahrt zum Kriegsgeschehen“ sei beileibe „nicht eng genug“, um derart weit reichende Strafmaßnahmen zu rechtfertigen, wird beispielsweise der Sanktionsrechtler Viktor Winkler, Professor für Wirtschaftsrecht an der IU International University, zitiert. „Wenn eine solche Beschränkung auch noch dazu führt, dass Menschenleben in Gefahr sein könnten“, urteilt Winkler, „ist das ein Beispiel dafür, dass sich die EU-Sanktionspolitik in manchen Bereichen wirklich im Blindflug befindet.“[12]

 

[1] Philip Georgiadis: British Airways to suspend flights to Beijing as Russia diversion adds costs. ft.com 08.08.2024.

[2] UK-China: British Airways and Virgin Atlantic withdrawals increase Chinese airline dominance. centreforaviation.com 22.08.2024.

[3] Philip Georgiadis: British Airways to suspend flights to Beijing as Russia diversion adds costs. ft.com 08.08.2024.

[4] UK-China: British Airways and Virgin Atlantic withdrawals increase Chinese airline dominance. centreforaviation.com 22.08.2024.

[5], [6] Martin Benninghoff, Jens Koenen, Josefine Fokuhl: Chinesische Airlines erobern Europa – Lufthansa ruft Brüssel um Hilfe. handelsblatt.com 26.08.2024.

[7] Christoph Schlautmann: Lufthansa halbiert im Frühjahr den Gewinn nahezu. handelsblatt.com 31.07.2024.

[8] Martin Benninghoff, Jens Koenen, Josefine Fokuhl: Chinesische Airlines erobern Europa – Lufthansa ruft Brüssel um Hilfe. handelsblatt.com 26.08.2024.

[9] Sanktionen gegen Russlands Luftfahrt zeigen nur begrenzte Wirkung. airliners.de 06.05.2024.

[10] Mareike Müller, Jens Koenen: Russische Flugzeuge werden zum Risiko – westliche Ersatzteile fehlen. handelsblatt.com 17.07.2024.

[11] Elena Teslova: Russia files complaint against West’s violations of civil aviation safety rules. aa.com.tr 11.10.2023.

[12] Mareike Müller, Jens Koenen: Russische Flugzeuge werden zum Risiko – westliche Ersatzteile fehlen. handelsblatt.com 17.07.2024.

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