Pluriversum ist eine Reihe von Beiträgen aus dem gleichnamigen Buch, gewidmet all jenen, die für das Pluriversum kämpfen, indem sie sich gegen Ungerechtigkeit wehren und nach Wegen suchen, in Harmonie mit der Natur zu leben. Die Welt, die wir wollen, ist eine Welt in die viele Welten passen. Die Einführung zur Serie gibt es hier und die Entstehungsgeschichte hier.

von Giacomo D‘Alisa

Die Kreislaufwirtschaft (CE – Circular Economy) ist eine neue strategische Vision, die darauf abzielt, Wirtschaftswachstum und Umweltauswirkungen zu entkoppeln. Ihre Kernstrategie zielt ab auf:

  1. Verringerung der Verwendung von Rohstoffen, um das extraktive Modell des derzeitigen Wirtschaftssystems umzukehren;
  2. Förderung von Wiederverwendungspraktiken und Vermeidung von Wegwerfmustern für Gegenstände und Materialien, die für andere Akteure in der Gesellschaft noch einen Nutzwert haben; und
  3. Erhöhung der Wiederverwertbarkeit von Gütern durch die Einführung einer effektiven Marktordnung für Sekundärmaterialien.

Technische und designbezogene sowie betriebswirtschaftliche Lösungen stehen im Vordergrund von CE­Forschung und ­Anwendungen. Diese Lösungen wirken der geplanten Obsoleszenz – der konstruierten begrenzten Nutzungsdauer von Produkten, um deren langfristige Absatzmengen zu erhöhen – des Standardgeschäftsmodells entgegen und verlängern die Nutzungsdauer von Materialien.

Die Entstehung des CE­Konzepts geht auf Pioniere der ökologischen Ökonomie wie Kenneth Boulding zurück. Mitte der 1960er Jahre kritisierte er die Idee einer Wirtschaft, die sich in einer kontinuierlichen und linearen Expansion befindet, einer Cowboy­Wirtschaft, die auf der Kolonisierung von immer mehr Land und der Ausweitung der Viehzucht basiert. Er sah das Aufkommen der Raumschiff­Wirtschaft voraus, in der die Expansion in neue Gebiete zum Abbau von Rohstoffen nicht mehr möglich ist und das Recycling von Materialien und Energie zur Hauptsorge der Unternehmen wird.

Später, in den 1980er Jahren, wurde die Materialbilanz der Wirtschaft auch zu einem zentralen Argument von sehr einflussreichen Umweltökonomen wie David Pearce und Kerry Turner (1990), die wahrscheinlich zum ersten Mal den Begriff ‚Kreislaufwirtschaft‘ verwendeten. Sie erklärten, dass die Wirtschaft nur dann als ein lineares, expandierendes System erscheinen kann, wenn man die Umwelt ignoriert – das geschlossene System, das die Grenzen und Beschränkungen für die Gewinnung und Entsorgung von Materialien setzt. Im gleichen Zeitraum begannen Ökodesigner­ und Industrieökolog*innen mit anwendungsbezogener Forschung, um die Effizienz der Materialnutzung zu steigern und die Lebensdauer von Produkten zu verlängern. Diese Studien trugen zur Entwicklung des sogenannten industriellen Stoffwechsels bei, das heißt der integrierten Bewertung der Arbeitstätigkeiten sowie der technologischen und physikalischen Prozesse, die für die Umwandlung von Roh­ und Sekundärstoffen und Energie in fertige Produkte und Abfälle erforderlich sind.

Die Dringlichkeit der Abfallreduzierung hat die Entwicklung von CE­Ideen und ­Anwendungen stark beeinflusst. Dies erklärt auch, warum CE­Politiken aus dem rechtlichen Rahmen und den programmatischen Plänen für Abfälle hervorgehen oder direkt Teil davon sind (Ghisellini et al. 2016). Erkenntnisse für eine CE kommen aus vielen anderen Disziplinen. Im Bereich der Architektur zum Beispiel drängt das Konzept des Cradle-to-Cradle die Designer*innen dazu, sich regenerative Produkte vorzustellen. Naturwissenschaftler­ und Manager*innen natürlicher Ressourcen fördern die Verbreitung des Biomimikry­Ansatzes, bei dem versucht wird, die Eigenschaften gut angepasster Elemente und Strukturen aus der Natur nachzuahmen, um menschliche Probleme zu lösen. Die Kreislaufwirtschaft wendet auch Prinzipien an, die aus der Permakultur hervorgegangen sind, einem integrierten Anbausystem, das die Entwicklung eines sich selbst organisierenden biologischen Ökosystems simuliert.

Nichtsdestotrotz legen die gegenwärtigen Muster der ‚realen‘ Wirtschaft der Material­ und Energieflüsse nahe, dass Vorsicht geboten ist, was die erlösenden Qualitäten der Kreislaufwirtschaft angeht. Die heutige Wirtschaft ist viel effizienter als die vor einem Jahrhundert, aber sie verbraucht Ressourcen in einem noch nie dagewesenen Ausmaß. Sie entnimmt eine beispiellose Menge an Rohstoffen und setzt untragbare Mengen an festen und gasförmigen Abfällen frei. Der materielle Fußabdruck der Nationen – ein Indikator, der die mit der Rohstoffgewinnung verbundenen Auswirkungen der Nation erfasst, die die Produkte am Ende der Lieferkette tatsächlich verbraucht – zeigt, dass keine absolute Entkopplung am Horizont zu erkennen ist. Mehr Wohlstand verringert den Druck auf die natürlichen Ressourcen keineswegs (Wiedmann et al. 2015). Eine erstmals durchgeführte empirische Studie zur Abschätzung der Zirkularität der Weltwirtschaft verdeutlicht, dass nur sechs Prozent der extrahierten Materialien recycelt und in den Kreislauf von Produktion und Konsum zurückgeführt werden. Das derzeitige maximale Recyclingpotenzial liegt bei etwa 30 Prozent; die anderen 70 Prozent bestehen hauptsächlich aus Energie und zu einem geringeren Teil aus Abfallgestein, das nicht recycelt werden kann (Haas et al. 2015). Es ist also nicht schwer zu folgern, dass das derzeitige Muster der Weltwirtschaft sehr weit vom CE­Ziel entfernt ist.

Darüber hinaus gibt es zwar die – wenn auch nicht immer vollständig belegte – Erwartung, dass CE die Beschäftigung ankurbeln und sinnvolle Arbeitsplätze schaffen wird, aber es ist erstaunlich, dass die Möglichkeit einer zunehmend ungleichen Verteilung von und eines ungleichen Zugangs zu Ressourcen, Produkten und Dienstleistungen selbst unter CE­Szenarien nicht diskutiert wird.

Die zuvor geäußerte Skepsis sollte nicht zu einer oberflächlichen Ablehnung von CE­Prinzipien und ­Anwendungen führen. In der Tat verdienen CE­Akteure Aufmerksamkeit. Zu diesen Akteuren gehören unter anderem die Open-Source­Gemeinschaften der Kreislaufwirtschaft, also Expert*innen, Designer­ und Innovator*innen, die Transparenz und einen offenen Zugang zu Informationen, Produkten und Technologien fördern wollen und Open­Source­Lösungen für Umwelt­ und Ressourcenprobleme anbieten. Diese Graswurzelbewegungen stellen nicht nur das Geschäftsmodell, sondern auch die grundlegende Institution des Kapitalismus in Frage, nämlich das Privateigentum an Wissen und Informationen. Das Zögern, sich mit diesen Akteuren der blühenden commons­basierten digitalen Ökonomien auseinanderzusetzen, könnte eine verpasste Chance sein, da einige der wichtigsten Innovationen, die eine kohlenstoffarme Degrowth­Gesellschaft technisch und sozial möglich machen könnten, dort stattfinden. Es ist daher äußerst wichtig, sie zu beobachten und Synergien mit ihnen zu schaffen.

Übersetzung ins Deutsche von Anna Voß.

Pressenza veröffentlicht in einer Reihe Auszüge aus „Pluriversum: Ein Lexikon des Guten Lebens für alle“ mit freundlicher Genehmigung der Herausgeber und unter Creative Commons Lizenz: CC-BY-NC-ND. Das Buch ist als PDf-Datei unter agspak.de/pluriversum kostenlos abrufbar.

Alle Beiträge in der Reihe Pluriversum gibt es hier.

Weitere Quellen

Ghisellini, Patrizia, Catia Cialani und Sergio Ulgiati (2016), A Review on Circular Economy: The Expected Transition to a Balanced Interplay of Environmental and Economic Systems, Journal of Cleaner Production. 114: 11­32.

Haas, Willi, Fridolin Krausmann, Dominik Wiedenhofer and Markus Heinz (2015), How Circular Is the Global Economy? An Assessment of Material Flows, Waste Production, and Recycling in the European Union and the World in 2005, Journal of Industrial Ecology. 19 (5): 765­77.

Open Source Circular Economies, https://oscedays.org (abgerufen am 8.6.2023)

Pearce, David William und Kerry R. Turner (1990), Econo mics of Natural Resources and the Environment. London: Harvester Wheatsheaf.

Wiedmann, Thomas O., Heinz Schandl, Manfred Lenzen, Daniel Moran, Sangwon Suh, James West and Keiichiro Kanemoto (2015),The Material Footprint of Nations, PNAS. 112 (20): 6271­76.


Giacomo D‘Alisa ist ein ökologischer Ökonom und politischer Ökologe. Seine Forschungsinteressen reichen von der Abfallwirtschaft bis zur Umweltgerechtigkeit, vom illegalen Abfallhandel bis zur Umweltkriminalität. Er setzt sich für Degrowth­-Visionen ein und ist daran interessiert, zu erforschen, wie eine Degrowth­Gesellschaft aussehen könnte, die sich auf Fürsorge und Commons konzentriert. Derzeit ist er Post­Doc am Zentrum für Sozialwissenschaften (CES) der Universität Coimbra, Portugal.

Der Originalartikel kann hier besucht werden