Die Gemeinde Osterburg in Sachsen-Anhalt schreibt Geschichte: Als erste Kommune in Deutschland gibt sie der Bevölkerung in einem Bürgerrat mit anschließendem Bürgerentscheid die Möglichkeit, selbst über Klimaschutzmaßnahmen zu entscheiden. Im Rahmen des Modellprojekts Klima trifft Kommune wird die Radverkehrsplanung der Stadt zur Abstimmung gestellt – in einem Prozess, der Bürgerbeteiligung und direkte Demokratie auf eine neue Ebene hebt.
Der Gemeinderat hat das Verfahren mit großer Mehrheit (12 Ja-Stimmen, 5 Enthaltungen) beschlossen. Die 30 Mitglieder des Bürgerrats werden per Losverfahren aus der Bevölkerung ermittelt. Nach Anhörungen von Fachexperten und umfassenden Diskussionen in bis zu sechs Sitzungen wird der Bürgerrat anschließend unabhängige Lösungsansätze für die Verkehrsplanung der Stadt Osterburg erarbeiten. Ob diese umgesetzt werden, entscheidet schließlich die gesamte Gemeinde in einem so genannten Ratsreferendum. Alle Bürger sind hierbei aufgerufen, an der Wahlurne über die Empfehlungen des Bürgerrats abzustimmen. Das Ergebnis ist bindend.
„Mit dem Projekt schaffen wir ein bundesweites Modell dafür, wie schwierige politische Fragen, etwa im Klimaschutz, gesamtgesellschaftlich entschieden werden können”, erklärt Steffen Krenzer, Bereichsverantwortlicher Demokratie und Klima des Fachverbands Mehr Demokratie. „Es geht darum, Klimaschutz zu ermöglichen, der aktiv von den Menschen gestaltet wird. Viele Menschen wollen zwar grundsätzlich mehr Klimaschutz, sie sind aber unzufrieden mit den derzeitigen politischen Entscheidungsprozessen. Das Abstimmungsergebnis des Ratsreferendums ist bindend. Wir freuen uns, dass Osterburg als erste Kommune den Bürgerinnen und Bürgern das hierfür notwendige Vertrauen entgegen bringt. Das ist ein wichtiges Signal für die Demokratie.“
Das wird der erste Bürgerentscheid sein, der jemals in Osterburg stattgefunden hat. Bei einem positiven Verlauf könnte dies die Stadtpolitik motivieren, in Zukunft weitere Bürgerentscheide stattfinden zu lassen, um somit eine größtmögliche Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger zu erreichen. – Nico Schulz, Bürgermeister von Osterburg
Auch Nico Schulz, Bürgermeister von Osterburg (Altmark), betont die Bedeutung des Projekts: “Vor zwei Jahren haben wir bereits den ersten Bürgerrat Sachsen-Anhalts umgesetzt. Dieser hat wichtige Eckpunkte für ein Klimaschutzkonzept erarbeitet. Die erfolgreiche Beteiligung unserer Bürgerinnen und Bürger hat mein Interesse an weiteren Bürgerräten zu speziellen Fragestellungen geweckt. Nun strebt die Stadt ein Radwege- und Mobilitätskonzept an. In dieses Konzept wollen wir erneut ein umfassendes Meinungsbild der Einwohnerschaft einfließen lassen. Eine Erfahrung aus dem ersten Bürgerrat ist, dass eine gute fachliche Begleitung erforderlich ist. Deshalb bin ich froh, dass uns die Vereine Mehr Demokratie e.V. und BürgerBegehren Klimaschutz e.V. diese fachliche Begleitung im Rahmen des Projektes Klima trifft Kommune angeboten haben. Das wird der erste Bürgerentscheid sein, der jemals in Osterburg stattgefunden hat. Bei einem positiven Verlauf könnte dies die Stadtpolitik motivieren, in Zukunft weitere Bürgerentscheide stattfinden zu lassen, um somit eine größtmögliche Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger zu erreichen.“
Bürgerbeteiligung auf neuem Niveau
Das Besondere an diesem Verfahren: Anders als bei bisherigen Bürgerräten in Deutschland wird die Empfehlung nicht nur an den Gemeinderat weitergeleitet – die gesamte Kommune wird über einen Teil der Ergebnisse abstimmen.
„Wir orientieren uns an erfolgreichen Beispielen aus dem Ausland“, erklärt Projektleiter Michael Efler von BürgerBegehren Klimaschutz e.V.. „In Irland wird das Zusammenspiel von Bürgerrat und nationalem Referendum seit einigen Jahren erfolgreich praktiziert. Dort folgen die Bürgerinnen und Bürger meist den Empfehlungen des Bürgerrats.“
Der Osterburger Bürgerrat soll im Frühjahr 2025 starten. Jeder Einwohner und jede Einwohnerin der Stadt hat die Chance, ausgelost zu werden. Die Teilnahme ist freiwillig.
Blick in die Zukunft
Die Anforderungen an Kommunen im Bereich Klimaschutz werden immer größer. Die Klimaziele von Bund, Ländern und Kommunen selbst erfordern große Anstrengungen von Politik und Verwaltung, aber auch von Bürgerinnen und Bürgern. Das Thema hat das Potential, nicht nur die kommunalen Haushalte und Personalkapazitäten, sondern auch die politische Stimmung in der Kommune zu belasten. Klima trifft Kommune begegnet den Herausforderungen mit demokratischer Innovation.
„Unser Ziel ist es, dass dem Beispiel von Osterburg weitere Kommunen folgen“, so Efler. „Sie könnten eine Vorbildfunktion im Umgang mit der Klimakrise und dem gemeinschaftlichen Gestalten der Zukunft einnehmen.“
Interessierte Kommunen und Bürgerinnen und Bürger finden weitere Informationen auf www.klimatrifftkommune.de. Klima trifft Kommune ist ein Gemeinschaftsprojekt von BürgerBegehren Klimaschutz e.V. und Mehr Demokratie e.V.. Gefördert wird Klima trifft Kommune von der Robert Bosch Stiftung und der Deutschen Postcode Lotterie.
Über BürgerBegehren Klimaschutz e.V.
BürgerBegehren Klimaschutz e.V. (BBK) ist ein gemeinnütziger Verein, der sich seit 2008 bundesweit für Klimaschutzmaßnahmen durch Bürgerbeteiligung einsetzt. Der Verein unterstützt lokale Initiativen, ihre Mitbestimmungsmöglichkeiten für die Umsetzung einer klimafreundlichen Kommunalpolitik auszuschöpfen und begleitet sie aktiv bei ihrem Weg dorthin. BBK war Trägerverein des ersten bundesweiten Bürgerrat Klima unter Schirmherrschaft von Bundespräsident a. D. Horst Köhler, der 2021 Empfehlungen für die bundesweite Klimapolitik erarbeitete. www.buerger-begehren-klimaschutz.de
Über Mehr Demokratie e.V.
Mehr Demokratie ist ein gemeinnütziger, überparteilicher Verein, der sich seit über 35 Jahren für die Weiterentwicklung der Demokratie in Deutschland einsetzt. Die über 10.000 Mitglieder und etwa 45 hauptamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Vereins konnten dabei zahlreiche Erfolge erzielen. Mehr Demokratie strebt ein Demokratie-Update in den Bereichen direkte Demokratie, Bürgerbeteiligung, faires Wahlrecht und Transparenz und Informationsfreiheit an. www.mehr-demokratie.de