„Wir sind zu Ihnen gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass heute Ihre Ausreise …“ – die restlichen Worte des damaligen Bundesaußenministers Hans-Dietrich Genscher gingen am 30. September 1989 im tosenden Jubel der rund viertausend Flüchtlinge aus der DDR unter. Was für ein historischer Moment! Die Flüchtlinge durften nun die Prager Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Richtung „Freiheit“ verlassen, das war vor 35 Jahren.

Bereits im Vorfeld der friedlichen Revolution von 1989 wurde das Gelände der Prager Botschaft der Bundesrepublik Deutschland zu einem legendären Zufluchtsort für Flüchtlinge aus der DDR. Vom Prager Hauptbahnhof aus machten sich die mutigen DDR-Flüchtlinge auf den Weg zur bundesdeutschen Botschaft, um dort Zuflucht zu finden.

Was für ein politisch stürmischer Sommer und Herbst! Ab dem 19. August 1989 lebten bereits rund hundert Flüchtlinge auf dem Gelände. Und täglich wurden es fünfzig mehr! Der Botschafter Hermann Huber schloss am 23. August auf Weisung des Auswärtigen Amts die Botschaft für den Publikumsverkehr.

Der Ansturm auf das Botschaftsgelände wurde immer größer, einfach unglaublich! Und dann geschah etwas Unglaubliches: Immer mehr Flüchtlinge drängten sich durch das Tor, vorbei an zum Teil nachlässig werdenden tschechoslowakischen Polizisten, oder kletterten über den Zaun der Botschaft – was für eine beeindruckende Aktion! Es wurden Zelte und sanitäre Anlagen für die Flüchtlinge errichtet und sogar eine Schule für die Kinder eingerichtet. Eine wirklich überwältigende Hilfsaktion! Die sanitären Verhältnisse in der Botschaft waren im Laufe des Septembers eine echte Herausforderung, aber die Flüchtlinge meisterten die Situation mit Bravour und zeigten enormes Engagement und Improvisationstalent. Bis zu viertausend Menschen hielten sich gleichzeitig auf dem vom Regen aufgeweichten Gelände auf – beeindruckende Bilder, die in Erinnerung bleiben werden!

Dann am Abend des 30. September 1989 erreichte der damalige Bundesaußenminister Genscher die Prager Botschaft. Er war von Verhandlungen mit dem damaligen sowjetischen Außenminister Eduard Schewardnadse aus New York zurückgekehrt. Auf Fragen der versammelten Journalisten sagte er, er wolle ihnen keine Mitteilung machen, sondern erst mit seinen Landsleuten in der DDR sprechen. Nach 18 Uhr dann der historische Moment: Genscher wandte sich vom Balkon der Prager Botschaft aus an die Flüchtlinge und verkündete ihre lang ersehnte Freiheit:

„Liebe Landsleute, wir sind zu Ihnen gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass heute Ihre Ausreise … in die Bundesrepublik Deutschland möglich geworden ist.“

Als das Wort „Ausreise“ fiel, brach unter den ausreisewilligen Flüchtlingen, die voller freudiger Erwartung waren, ein wahrer Jubel aus, sodass das Satzende fast unterging.

Eine Gedenktafel auf dem Balkongeländer erinnert an diese bewegenden, historisch bedeutsamen Worte, die für viele immer in Erinnerung bleiben werden.

Am 1. Oktober 1989 war es endlich so weit: Die ersten Züge mit den Flüchtlingen von Prag über Dresden bis nach Hof in die Bundesrepublik fuhren los. Doch damit nicht genug: Nach erfolgreicher Räumung der Botschaft fanden sich erneut Tausende Ausreisewillige ein. Am 4. Oktober strömten über fünftausend Flüchtlinge auf das Gelände und weitere zweitausend harrten davor in der Kälte aus – ein beeindruckender Anblick! Kurz vor der 40-Jahr-Feier der DDR konnte eine weitere bemerkenswerte Ausreise arrangiert werden. Doch dann überschlugen sich die Ereignisse.

Tausende DDR-Bürger machten sich täglich auf den Weg nach Prag, um dort das pulsierende Leben zu genießen. Die Nachfrage „Wie geht’s? – Über Prag!“ war überall zu hören. Das Botschaftspersonal gab auf dem Bahnhof Hilfestellung zur direkten Weiterreise.

Der Druck auf die DDR-Führung wurde so groß, dass der damalige DDR-Außenminister Günter Schabowski am 9. November 1989 die direkte Ausreise verkündete: „Unverzüglich, sofort.“ Die ganze Welt sollte glauben, er habe die Grenze geöffnet, sozusagen nebenbei und aus Versehen, aber er war es nicht, sondern der Druck der DDR-Flüchtlinge, z.B. über die Prager Botschaft.

Die Folgen seiner Bemerkung, die Regelung gelte ab sofort, habe er allerdings nicht bedacht. Es war die bereits im August angedachte Lösung, den Kessel zu öffnen, Druck abzulassen. Die Folgen habe er weder gewollt noch geahnt.

Eine historische Aufarbeitung der Ereignisse, die zur deutschen Wiedervereinigung geführt haben, sollte die dramatischen Vorgänge im Spätsommer und Herbst des Jahres 1989 in Prag nicht außer Acht lassen. Zuflucht suchten damals Tausende von Flüchtlingen in der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland. Dies ist ein beeindruckendes Zeugnis der deutschen Geschichte.

In der Prager Botschaft wird durch eine „Skulptur – ein Trabant auf Beinen“ an die zahlreichen Flüchtlinge aus der DDR erinnert, die im Sommer und Herbst 1989 ihren Weg in die Freiheit fanden.