Indigene Völker spielen eine unbestreitbare und entscheidende Rolle bei der Erhaltung der biologischen Vielfalt unseres Planeten. Ihr Land und ihre Lebensgrundlagen erhalten das Leben in unzähligen Formen. Eine wissenschaftliche Studie von Forschern des ICTA-UAB (Institute of Environmental Science and Technology in Barcelona), die in Nature veröffentlicht wurde, kommt jedoch zu dem Schluss, dass diese lebenswichtige Tätigkeit falsch dargestellt und missverstanden werden kann.

Eine aktuelle Studie stellt die wissenschaftliche Gültigkeit der seit langem wiederholten Behauptung in Frage, dass „80 % der weltweiten biologischen Vielfalt in den Gebieten indigener Völker zu finden sind“. Die von Forscher*innenn des Instituts für Umweltwissenschaften und -technologie der Universitat Autònoma de Barcelona (ICTA-UAB) in Zusammenarbeit mit einer breiten Gruppe von Forscher*innen, Praktiker*innen und Vertreter*innen indigener Völker durchgeführte Arbeit stellt die Grundlage einer solchen Behauptung in Frage. In der Studie werden empirische Belege dafür vorgelegt, dass diese Behauptung nicht fundiert ist und dass sich das wahre Ausmaß des Beitrags der indigenen Völker nicht so einfach quantifizieren lässt.

Die in der Fachzeitschrift Nature veröffentlichte Studie rät der wissenschaftlichen Gemeinschaft und den Befürwortern der Rechte indigener Völker beim Schutz der biologischen Vielfalt davon ab, die Angabe von 80 % zu verwenden. Diese Zahl vereinfacht die komplexe Beziehung zwischen indigenen Völkern und der biologischen Vielfalt zu stark. Die Notwendigkeit, diese falsche Zahl zu korrigieren, ergibt sich aus der Besorgnis über die zunehmende Verbreitung ihrer Verwendung in seriösen Dokumenten durch wohlmeinende Personen, die trotz der fragilen Grundlage aufrichtig an ihre Gültigkeit glauben.

Diese Zahl wird in Foren wie den Vereinten Nationen oder der Weltbank und in angesehenen wissenschaftlichen Fachzeitschriften verwendet. Sie hat sich im öffentlichen Diskurs als eine etablierte Wahrheit etabliert. Einige Vertreter*innen indigener Völker verwenden sie skeptisch, da sie sich ihrer Unzulänglichkeiten bewusst sind, während andere es vermieden haben, sie zu übernehmen, aus Angst, ihre Lobbyarbeit zu untergraben. Die wissenschaftliche Detektivarbeit der Autoren ergab, dass der Ursprung der Behauptung in falschen Zitaten und schlecht zusammengefassten Forschungsergebnissen liegt.

„Es gibt zahlreiche Belege dafür, dass indigene Völker und ihre Gebiete für die biologische Vielfalt der Welt von wesentlicher Bedeutung sind, so dass die Verwendung einer nicht belegten Statistik wie der ’80 %-Zahl‘ unnötig ist“, erklärt Álvaro Fernández-Llamazares, Wissenschaftler am ICTA-UAB und Autor zahlreicher Artikel über den Beitrag indigener Völker zur Erhaltung der weltweiten biologischen Vielfalt. Er betonte, dass „die Anerkennung in politischen Kreisen, dass indigene Völker eine grundlegende Rolle bei der Unterstützung der planetarischen Nachhaltigkeit spielen, stärker sein wird, wenn sie auf soliden Beweisen beruht“.

Eines der Probleme mit der Zahl „80 %“ besteht darin, dass sie davon ausgeht, dass die biologische Vielfalt quantifizierbar und kartografierbar ist, was weitgehend nicht zutrifft. Die Autoren argumentieren, dass die biologische Vielfalt viel mehr als nur die Anzahl der Arten und Ökosysteme umfasst und ein Verständnis für die komplexen Verflechtungen zwischen dem Menschen und dem nichtmenschlichen Teil der Natur beinhaltet. „Die biologische und kulturelle Vielfalt auf den angestammten Ländereien und in den Gewässern indigener Völker hat sich im Laufe der Zeit gemeinsam entwickelt und wird durch gegenseitige, verwandtschaftliche und heilige Beziehungen gestützt“, fügt Joji Cariño, ein leitender politischer Berater des Programms für Waldvölker, hinzu. Die Zuweisung eines endgültigen Zahlenwerts für die biologische Vielfalt stellt die Interaktion zwischen den indigenen Völkern und der biologischen Vielfalt falsch dar und entwertet den viel tieferen Wert, den die indigenen Völker ihrem Gebiet beimessen. Darüber hinaus verschließt die Annahme dieser endgültigen Zahl die Tür für die künftige Erforschung der biologischen Vielfalt.

„Es gibt große Wissenslücken in Bezug auf die biologische Vielfalt, weil die Werte, Perspektiven und Wissenssysteme der indigenen Völker in der Naturschutzwissenschaft weitgehend ignoriert wurden. Ein wahrheitsgetreuer, evidenzbasierter Ansatz, der die Zusammenarbeit zwischen indigenen Völkern und Naturschutzwissenschaftlern einschließt, ist dringend erforderlich“, folgert Pernilla Malmer, leitende Beraterin für das SvedBio Programm am Stockholm Resilience Centre. Eine echte Wertschätzung des kulturellen Wissens und der Praktiken indigener Völker wird zu einem gerechteren und wirksameren Ansatz zur Erhaltung der biologischen Vielfalt unseres Planeten führen.

Die Übersetzung aus dem Englischen wurde von Heike Pich vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige! 


Referenzen:

Fernández-Llamazares Á, Fa JE, Brockington D, Brondízio ES, Cariño J, Corbera E, Farhan Ferrari M, Kobei D, Malmer P, Márquez GYH, Molnár Z, Tugendhat H, Garnett ST (2024) A baseless statistic could harm the Indigenous Peoples it is meant to support. Nature, 633: 32-35. https://www.nature.com/articles/s41467-024-49687-y

Kontaktdaten des Forschers: Alvaro Fernandez-Llamazares Onrubia: Alvaro.FernandezLlamazares@uab.cat

Der Originalartikel kann hier besucht werden