Vor einem Jahr erhielt der Lebensmitteldiscounter „Penny“ große mediale Aufmerksamkeit. Während einer Aktionswoche Anfang August 2023 ließ er in allen Filialen die Preise für ausgewählte Produkte steigen, indem das aufgeschlagen wurde, was nach dem Berechnungssystem der Kampagne normalerweise „versteckte Kosten“ für die Umwelt sind.
Auf den ersten Blick war das sicher der richtige Ansatz, denn dass Lebensmittelpreise oft nicht die wahren Kosten für Umwelt und Gesellschaft widerspiegeln, ist schon seit längerem bekannt. Dass dies ausgerechnet vom Discounter Penny kommt, der mit Billigst-Preisen wirbt, war doch erstaunlich. Grund genug, sich die Kampagne im Rückblick einmal näher anzusehen.
Die Kampagne – finanziert von wem und wozu?
Laut Penny wolle man mit einer „europaweit richtungsweisenden Aktionswoche zu den „Wahren Kosten“ mit der Technischen Hochschule Nürnberg und der Universität Greifswald die Grundlage schaffen, um die Diskussion über Lebensmittelpreise breiter zu fassen“, hieß es in der dazugehörigem Pressemitteilung.
Das hört sich so an, als ob hier ein Lebensmitteldiscounter zusammen mit zwei Universitäten unabhängig und in Eigenregie diese Aktion gestartet hat, um Gesellschaft und Politik zum Nachdenken zu bewegen. Eigentlich lobenswert. Allerdings wurde die Kampagne, zumindest die wissenschaftliche Seite, d.h. die Berechnung der Kosten – dem „True Cost Accounting“ -, durch die Bundesregierung sowie die EU finanziert, wie man erst aus einer Mitteilung der Universität Greifswald erfährt.
Gesammelt werden sollten sozio-demographische Daten zu Kaufverhalten und Kundenakzeptanz, deren Auswertung dann auch Anfang 2024 präsentiert wurden. „Für die meisten Kund*innen ist ein Preisaufschlag, der ökologische Folgekosten der Lebensmittelproduktion abdeckt, zu teuer“, hieß es dabei lapidar, jedoch helfe „eine Kampagne zu den Wahren Preisen von Lebensmitteln maßgeblich, das Bewusstsein der Menschen dafür zu stärken“. Dies seien zwei der wesentlichen Erkenntnisse gewesen.
Bereits hier tut sich ein grundsätzliches Dilemma auf. Haben die insgesamt 2.255 befragten Teilnehmer – nicht wirklich repräsentativ für eine Bevölkerung von knapp 85 Millionen – den während der Aktionswoche aufgeschlagenen Preis nicht zahlen wollen oder können? Sieht man sich zum Beispiel die aktuellen Regelsätze für Harzt-IV an, gilt zumindest für diesen Teil der Befragten wohl eher letzteres. Denn wer es sich leisten kann, geht meist erst gar nicht zu Penny.
Jenen hingegen, die sprichwörtlich jeden Groschen mehrmals umdrehen müssen, nützt auch ein „geschärftes Bewusstsein“ nichts, wenn es darum geht, die Familie überhaupt satt zu bekommen. Aus dem Blickwinkel der sozialen Gerechtigkeit heraus kommt das fast einem Affront gleich. Aber zurück zur Kampagne, bei der es ja nicht um soziale Gerechtigkeit geht, sondern die um den Schutz von Ökologie und Klima bemüht ist.
Die „Wahren Kosten“ im Überblick
Sehen wir uns also die Ergebnisse des „True Cost Accounting“ an, das die wahren ökologischen Folgekosten abbilden will, die während der Aktionswoche an der Kasse obendrauf bezahlt werden mussten. Es wurden damals vier Produkte aus der Tierhaltung bewertet (Joghurt, Käse, Wiener Würstchen und Mozzarella), jeweils aus konventioneller und aus biologischer Haltung, sowie ein „veganes“ Produkt, ein Schnitzel auf Pflanzenbasis. Die Preisunterschiede laut Penny:
„Die Wahren Kosten sind bei den konventionellen, ökologisch erzeugten und veganen Lebensmitteln in unterschiedlichen Anteilen im Verkaufspreis erfasst. Die erhobenen Bio-Lebensmittel haben Umweltfolgekosten in Höhe von durchschnittlich 1,15 Euro, die konventionellen von durchschnittlich 1,57 Euro und das vegane Food For Future Schnitzel von 14 Cent.“
Das ist das, was letztendlich dem Verbraucher kommuniziert wurde. Die nachvollziehbare Schlussfolgerung, die viele möglicherweise daraus zogen, ist: Wenn Bio-Lebensmittel in ihren „wahren Kosten“ nur geringfügig schlechter abschneiden, als konventionell erzeugte Lebensmittel (€ 1,15 vs. € 1,57), dann kann ich ja in Zukunft auch wieder konventionell kaufen.
Im starken Gegensatz dazu stand das „Food For Future“ Schnitzel mit lediglich € 0,14 Aufpreis. Dieser geringe Anteil an „wahren Kosten“ ist verwunderlich, denn solche Produkte aus Getreide oder Hülsenfrüchten stammen meist aus industrieller Monokultur, die aufgrund von Pestiziden, Bodenverarmung, Beitrag zum Artensterben und Biodiversitätsverlust doch relativ umwelt- und klimaschädigend sind.
Dazu kommt, dass es sich bei solchen Produkten um sogenannte „ultra-verarbeitete“ Lebensmittel (englischer Fachbegriff: ultra-processed food, kurz UPF) handelt, die oft mit Zusatzstoffen wie zum Beispiel Säureregulatoren, Geschmacksverstärkern und Konservierungsstoffen belastet sind. Während in der EU für Bio-Produkte nur 50 Zusatzstoffe zugelassen sind, sind es für konventionell erzeugte Lebensmittel über 300. Ist das denn auch gesund?
Berechnungsfaktor „Gesundheit“
Laut Penny basierte die Berechnung der „Wahren Kosten“ auf vier Faktoren: Klima, Wasser, Boden und Gesundheit. Dazu hießt es auf der Kampagnen-Seite bei Penny unter dem Punkt „Gesundheit“:
„Hierbei geht es nicht darum, wie gesund ein Produkt beim Konsum ist. Vielmehr geht es um die gesundheitlichen Schäden, die durch Pestizide oder das durch Tierhaltung anfallende Ammoniak entstehen.“
Dies bezieht also lediglich auf die Gesundheit von Landwirten – tatsächlich wurde Parkinson durch Pestizideinsatz inzwischen als Berufskrankheit anerkannt – und nicht auf die Verbrauchergesundheit und wie diese durch Pestizide, Monokultur-bedingte Nährstoffverarmung, Ultraverarbeitung und zahlreiche Konservierungs- und Zusatzstoffe, darunter oft auch Zucker oder künstliche Aromen, auswirkt. In der medialen Berichterstattung wurde hingegen der Eindruck erweckt, die Verbrauchergesundheit wäre berücksichtigt worden. So schrieb zum Beispiel die Tagesschau (Hervorhebungen und Kennzeichnungen durch uns):
„Diese „wirklichen Kosten“ umfassen Auswirkungen wie Klimawandel, Fettleibigkeit, Kinderarbeit (*) und Plastikverschmutzung (**), die letztendlich von der Gesellschaft oder den Steuerzahlern getragen werden“.
Ein Blick in die der Berechnung zugrunde liegenden wissenschaftliche Publikation „True cost accounting of organic and conventional food production“ schafft Aufklärung: „Gesundheit“ kommt darin als Faktor nicht vor. Auch von „Fettleibigkeit“ keine Spur, die Eingabe von „obesity“ in die Textsuche ergibt keine Treffer. Das Gleiche gilt für „child labour“(*) und „plastic“(**): keine Treffer, wobei letzteres verwundert, da laut der Kampagnenseite von Penny die Plastikverpackung mit in die Berechnung eingeflossen sein soll.
Gibt man „health“ in die Suchfunktion ein, so sind 6 der insgesamt 9 Treffer lediglich in den Quellenangaben zu finden. Im Paper selbst wird „health“ gerade drei Mal erwähnt, fließt aber nicht in die Bewertung mit ein, selbst wenn es auf den ersten Blick in der Kampagnen-Graphik so aussieht. Sehen wir uns die anderen Faktoren etwas genauer an.
Berechnungsfaktor „Klima“
Bei diesem Faktor werden die Methanemissionen von Rindern und der CO2-Ausstoss von Traktoren genannt. Doch was ist mit langen Transportwegen? Schließlich geht es bei der Bewertung der Produkte darum, wie sie letztendlich im Supermarkt im Regal zu finden sind, nicht nur um die Produktion im Stall und auf dem Acker. Zudem ist bekannt, dass bereits oft die Futtermittel allein einen lange Weg hinter sich haben, zumindest in der konventionellen Produktion, bevor sie überhaupt in Trog landen: Stichwort Sojafutter aus Lateinamerika. Wurde dies in der Berechnung auch berücksichtigt?
Eine Suche in der wissenschaftlichen Publikation ergibt lediglich, dass „der Transport von Futtermitteln nur geringe Auswirkungen auf die Gesamtergebnisse hat“ (siehe Punkt 2.2.7 und Punkt 3.2.). Fündig werden wir schließlich in der Beschreibung zu Abbildung 4 unter Punkt 3.3. „TCA Results“, in der es um die Bewertung von Rindfleisch geht. Dort heißt es (übersetzt, Hervorhebungen durch uns):
„Zu den unter „Energie & Transport“ erfassten Prozessen gehören der Einsatz von Dieselkraftstoff auf dem Betriebsgelände (einschließlich der damit verbundenen Transporte des Kraftstoffs), der Transport von Futtermitteln vom Mischfutterwerk zum Betrieb und der Stromverbrauch in den Ställen.“
Der Transport der Rohstoffe für Futtermittel vom Anbauort zum Mischfutterwerk, das eventuell auf eine anderen Kontinent liegt, ist demnach nicht berücksichtigt. Zudem finden wir unter Punkt 2.2.7 „Transport“ weiter unten (übersetzt, Hervorhebungen durch uns):
„Aufgrund der unspezifischen Beschreibung der Futtermittelzugaben für die ökologische Tierhaltung in der EU-Verordnung und aufgrund angeblicher Unterschiede in der Praxis müssen Annahmen für die Modellierung eines ökologischen Durchschnittsprozesses getroffen werden. Daher werden alle Futtermittel, Saatgut und andere Produkte, die von außerhalb der gegebenen lokalen Grenzen (Deutschland oder Niederlande, wenn deutsche Prozesse nicht verfügbar sind) stammen, in den Inventaren durch das lokale Äquivalent mit angepassten Gewichten und Entfernungen ersetzt.“
Mit anderen Worten: Das, was einen signifikanten Unterschied im Bezug auf Ökologie und Umwelt macht, nämlich ob z. B. aus Lateinamerika importiertes Soja, für dessen Anbau der Regenwald abgeholzt wurde, verwendet wurde oder nicht, wurde ignoriert und dafür einfach ein „lokales Äquivalent“ herangezogen, mit entsprechend geringerem CO2-Fußabdruck. Außer Acht gelassenen wurden Kosten für Biodiversitätsverluste durch Abholzung, Pestizideinsatz und die Dezimierung von Regenwald mit einhergehender verringerten Speicherkapazität von Wasser und CO2 der bekanntlich „grünen Lunge des Planeten“, was wiederum zur Erderwärmung beiträgt.
Es sind genau die unterschiedlichen Transportwege und die Art der Anbauweise, die den ökologischen Fußabdruck maßgeblich mit erhöhen, ob beim Tierfutter für die Fleisch- und Milchproduktion oder bei anderen Lebensmitteln, die zum Beispiel Palmöl aus Monokultur-Plantagen auf abgeholzten Regenwaldflächen in Indonesien enthalten. Oder auch der Weizen, aus dem das „Food For Future“-Schnitzel gemacht ist, wo kam der her, aus nachhaltigem regionalem Anbau oder aus industrieller Produktion aus Polen, der Ukraine oder anderswo? Diese Parameter flossen nicht in die Berechnung mit ein.
Noch schlimmer sieht es bei anderen, nicht in der Aktion berücksichtigen Lebensmittelprodukten aus. Das berühmte Beispiel der in Nordamerika gefischten Krabben, die dann nach Asien oder Afrika zum Schälen und schließlich nach Europa zur Verpackung und zum Verkauf quer über den Globus gereist sind, findet hier keinen Eingang. Solche Produkte wurden erst gar nicht in die Bewertung miteinbezogen.
Berechnungsfaktor „Wasser“
Nicht-verarbeitete Produkte wie Avocados oder Kartoffeln kommen in der Auswahl der bewerteten Lebensmittel ebenfalls nicht vor, geschweige denn im Vergleich „Bio“ zu „konventionell“ und/oder im Vergleich „lokal/regional“ zu „national/international“. Hier wäre eine Gegenüberstellung sehr interessant gewesen, gerade auch im Bezug auf den Berechnungsfaktor „Wasser“.
Im Penny-Vergleich geht es bei „Wasser“ lediglich um Schadstoffe, die sich negativ auf Wasserquellen auswirken. Das ist richtig und wichtig zu benennen, wobei die Menge der Schadstoffe, die im Endprodukt landen und somit auf unseren Tellern sicher auch relevant gewesen wären.
Ein ausschlaggebender Faktor im Bezug auf Wasser und Umweltfolgen wurde jedoch außen vorgelassen: Der teils enorme Wasserverbrauch von industriell erzeugtem Obst und Gemüse. Als Negativ-Beispiel ist in diesem Zusammenhang Spanien bekannt geworden, wo der intensive Anbau – neben erheblichen sozialen Problemen wie der Ausbeutung von Saisonarbeitern – maßgeblich zur Austrocknung ganzer Landstriche beträgt. Aber was nicht bewertet wird, kann auch nicht in eine Beurteilung mit einfließen. Vielleicht sieht es bei „Böden“ besser aus.
Berechnungsfaktor „Boden“
Die Verarmung der Böden durch die industrielle Landwirtschaft, gerade auch im Bezug auf den Nährstoff-Gehalt der darauf angebauten Nahrungsmittel, ist weitgehend bekannt, selbst wenn sie in gesundheitspolitische Überlegungen immer noch keinen Eingang gefunden hat. Doch wie bereits festgestellt, wurde Verbrauchergesundheit in der Bewertung der „Wahren Kosten“ ohnehin nicht berücksichtigt. Tatsächlich findet sich im wissenschaftlichen Paper unter 4.3. folgender Abschnitt (übersetzt, Hervorhebung durch uns):
„Daher werden die offensichtlichen Vorteile der Bodeneigenschaften oder der Nährstoffversorgung durch eine biodiverse Fruchtfolge nicht berücksichtigt.“
Wir haben hier also einen angeblichen Vergleich von Bio und konventionell, doch ökologische, biodiverse und regenerative Anbaumethoden, die den Boden schonen, Wasser sparen, biologische Vielfalt fördern und den Nährstoffgehalt erhöhen, wurden nicht miteinbezogen. Weiter heißt es dazu bei Punkt 4.4. im Paper (übersetzt, Hervorhebung durch uns):
„Ausblick auf künftige Forschung: Es sei darauf hingewiesen, dass nützliche Ökosystemleistungen (ES), wie die Regulierung und Aufrechterhaltung von Bodenfunktionen (Sandhu et al., 2010), in Ökobilanzen und TCA (True Cost Accounting) noch nicht berücksichtigt werden.“
Man fragt sich, wozu dann der Bewertungsfaktor „Boden“ gut sein soll, wenn er nicht dessen Beschaffenheit und Qualität im Bezug auf ökologische und ernährungsphysiologische Gesichtspunkt untersucht. Wird hier Bio schlechter dargestellt, als es ist? Selbst im Bezug auf Klimatauglichkeit wird beim Faktor „Boden“ das Potenzial unterschlagen, das am meisten zur Bewältigung der Klimakrise beitragen könnte: die Fähigkeit gesunden Bodens, CO2 zu speichern. Dazu finden wir unter Punkt 3.2. im Paper (übersetzt, Hervorhebung durch uns):
„Bei der Verdauung der Wiederkäuer und durch ihre Ausscheidungen werden Treibhausgase freigesetzt. Dieses Ergebnis wird sich jedoch zwangsläufig verringern, wenn die Kohlenstoffbindung im Boden berücksichtigt wird (in den LCIAs von AFP 5.0 und somit auch in dieser Studie nicht berücksichtigt) und könnte die ökologische Leistung im Vergleich zu konventionellen Wiederkäuern verbessern (Knudsen et al., 2019).“
Die unbequeme Wahrheit
Eine detaillierte Auswertung der gesamten wissenschaftlichen Publikation wäre sehr zeitaufwendig. Zusammenfassend kann aber gesagt werden: Die Ergebnisse des „True Cost Accounting“ sind durchaus überprüfenswert. Denn alles in allem sagen die Ergebnisse aus, Bio sei nur geringfügig besser als konventionell. Ultra-verarbeitete pflanzenbasierte Produkte (meist aus industrieller Monokultur, was nicht erwähnt wird) hingegen seien hervorragend – ohne jedoch die gesundheitlichen Aspekte für den Endverbraucher mit einzubeziehen, noch die teilweise enormen Unterschiede der Transportwege, deren CO2-Bilanzen und Auswirkungen auf den immer problematischer werdenden Verlust an Biodiversität und Bodenqualität zu berücksichtigen.
Nachteile für das Klima durch industrielle Monokulturen mit hohen Wasserverbrauch und Vorteile von ökologischer Bewirtschaftung durch Erhalten von Biodiversität und Aufbau von gesundem Boden, inklusive dessen Kapazität, CO2 zu binden, fehlen. Soziale Aspekte wie Menschenrechtsverletzungen durch Landraub in Anbauländern und Ausbeutung von Saisonarbeitern wurden gänzlich außen vor gelassen. Das „True Cost Accounting“ spiegelt nicht alle real existierenden Aspekte wieder. Die unbequeme Wahrheit lautet daher:
Wer wirklich klimafreundlich, fair und obendrein gesund einkaufen möchte, geht erst gar nicht zu Penny & Co, sondern kauft möglichst regional bei Erzeugern mit Direktvermarktung, im Hofladen oder im lokalen Biomarkt ein. Das können sich wiederum viele nicht leisten oder haben in der näheren Umgebung gar keine Möglichkeit dazu. Und genau hier liegt das wirkliche Problem.
Cui bono?
Sicher ist, dass die Penny-Aktion nicht für echte biologisch-regenerative Landwirtschaft sowie regionale erzeugte und gesunde Lebensmittel steht. Sie schert alle Produkte über einen Kamm, lässt Verbrauchergesundheit außen vor und gibt „Bio“ im Vergleich zu veganen Fleischersatzprodukten aus industrieller Produktion als ineffizient aus, ohne wie hier beschrieben zu differenzieren. Siehe dazu unter Punkt 5 „Conclusions“ aus der Publikation (übersetzt, Hervorhebung durch uns):
„Berücksichtigt man die Tatsache, dass die derzeitigen Erzeugerpreise für ökologische Produkte unverhältnismäßig höher sind als die für konventionelle Produkte, so sind die „wahren Preise“ (Marktpreis + externe Kosten) für ökologische Produkte nicht niedriger als die für konventionelle Produkte.“
Die gesamt Aktion ist somit ein Geschenk für die konventionelle Agrarindustrie, die angeblich keine nennenswerten ökologischen Nachteile gegenüber biologisch erzeugten Produkten aufweist. Komplett ausgeblendet wird der auf fossilen Energien beruhende globale Handel mit seinen langen Transportstrecken und dazugehörigem CO2-Fussabdruck. Regionale und ökologische Erzeugung wird kleingerechnet, die heilige Kuh des Freihandels wird nicht angetastet, die ja gerade auf riesigen zu transportierenden Mengen beruht, die meist nur durch Monokultur zu gewährleisten sind.
Das ist ganz im Sinne der vom Agri Committee des Europäischen Parlaments in Auftrag gegebenen Studie „Megatrends in the agri-food sector: global overview and possible policy response from an EU perspective“. Dort wird eine mögliche Regionalisierung der Lebensmittelsysteme (in der Studie als „Local survivors“-Szenario bezeichnet) zugunsten einer mit Pestiziden und Gentechnik produzierten und KI-gesteuerten Landwirtschaft verworfen (in der Studie als „Sustainability and food for all“-Szenario bezeichnet), die mit „technologischen Lösungen“ wie Internet Of Things, Agrorobotik, Dronen und Augmented Reality das neoliberale Freihandelssystem für Lebensmittel weiter ausbauen will.
Globaler Freihandel, Import-Export & Profite
All dies zugunsten der großen Agrargiganten, die laut einer unabhängigen Studie der niederländischen NGO SOMO mit ihrer Monopolstellung ihre Profite in den letzten Jahren auf ein noch nie dagewesenes Niveau steigern konnten. Deren Gewinne haben sich in den letzten drei Jahren verdreifacht, während der Hunger in der Welt weiter gestiegen ist, die Lebensmittelpreise ebenso. Aber auch die Monopolstellung dieser Agrargiganten (die fünf größten sind ADM, Bunge, Cargill, COFCO und Louis Dreyfuss Company; abgekützt ABCCD) wurde in der gesamten Penny-Aktion und dem „True Cost Accounting“ nicht beleuchtet.
Die Rolle des globalen Freihandels wird umso eindrücklicher, wenn man sich einmal ansieht, in welchem haarsträubenden Ausmaß Rohstoffe und Lebensmittel quer über den Globus hin- und her transportiert werden. Hier einmal am Beispiel von Deutschland beleuchtet:
- Milch: 2023 wurden knapp 2 Millionen Tonnen exportiert und 3,2 Millionen Tonnen importiert.
- Schweinefleisch: 2023 wurden 2,2 Millionen Tonnen exportiert und 1 knappe Million Tonnen importiert.
- Weizen: 2023 wurden 6,6 Millionen Tonnen exportiert und 5,1 Millionen Tonnen importiert.
Diese Zahlen, erhoben von Statista, werfen die Frage auf, ob sich in den von der Penny-Kampage bewerteten Wiener Würstchen oder dem Joghurt, Käse und Mozzarella Fleisch und Milch aus Deutschland befanden oder aus Importen aus anderen Ländern. Das ist nicht ersichtlich und hätte aber einen u. U. signifikanten Einfluss auf die Bewertung gehabt.
All dies dürfte der aktuellen Forderung der Verbraucherzentrale nach einer stärkeren Überwachung der Lebensmittelpreise Nachdruck verleihen. „Die Lebensmittelpreise gleichen einer Blackbox. Die hohen Umsätze der Lebensmittelindustrie geben Anlass zur Vermutung, dass hier auf Kosten von Verbraucher:innen Kasse gemacht wird“, so die Chefin der Verbraucherzentrale im Spiegel-Artikel, der erläutert, dass niemand in Deutschland genau den Grund für diese Steigerungen kennt, während es anderen europäischen Ländern Preisbeobachtungsstellen gäbe, die Preise und Kosten vom Acker bis zum Supermarktregal erfassen. Ob die wohl auch so selektiv arbeiten wie das „True Cost Acconting“?
Schlussüberlegungen
Dass die wissenschaftliche Arbeit selbst gar keine Messungen und Datenerhebungen vorgenommen hat und sich ausschließlich auf andere wissenschaftliche Literatur bezieht, wirft die Frage nach den Quellen auf, von denen die jeweiligen Daten bezogen wurden. Diese wiederum zu überprüfen, würde hier den Rahmen sprengen. Im Prinzip ist jedoch nichts Verwerfliches an dieser Vorgehensweise, zumal dies auch in der Publikation selbst angegeben wird, nicht aber in der medialen Aufbereitung der Kampagne durch Penny noch in der Berichterstattung darüber.
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass die REWE-Gruppe, zu der Penny gehört, bis 2025 satte fünf Milliarden in die Auslandsexpansion investieren will. Da ist der von vornherein einkalkulierte Verlust von 1 Millionen für die Kampagne sicher leicht als Werbemittel abzuschreiben. In Deutschland betreibt der Konzern rund 2.150 Penny-Filialen. Zudem gibt es Penny-Märkte auch in Österreich, Italien, Tschechien, Ungarn und Rumänien. Dazu heißt es auf der Webseite der REWE-Group / Penny International (Hervorhebung durch uns):
„Rund 1.790 moderne Filialen präsentieren tagtäglich Top-Frische, höchstmögliche Qualität und – wo immer es geht – Regionalität.“
Wenn „höchstmögliche Qualität“, worunter man üblicherweise für den Endverbraucher gesunde, nährstoffreiche Lebensmittel versteht, und „Regionalität“, von der man geringe Transportwege, niedrigen CO2-Abruck, Preistransparenz und Rückverfolgbarkeit erwarten darf, ebenfalls in der Kampagne „Wahre Kosten“ berücksichtigt worden wären, hätte diese einiges an Glaubwürdigkeit dazugewonnen.
Immerhin hat sich aber durch die Aktion das Bewusstsein für die Thematik erhöht. Zudem will sich das Forschungsteam in Zukunft nun „insbesondere auf die Inkludierung sozialer Faktoren, sowie eine landwirtschafts- und sozialverträgliche Maßnahmendefinition, die wahre Kosten für eine nachhaltige Transformation des Ernährungssystems nutzbar machen“, fokussieren. Man darf also gespannt sein auf die nächste Aktion.
Aktualisierung vom 14.09.2024
„Kleine Preise ganz groß“ – wirklich?
Und schon ist sie da, die neue Aktion von Penny. Kurz nach Veröffentlichung unseres Artikels startete der Discounter in Zusammenarbeit mit der Agentur Serviceplan NEO eine breit angelegte Werbekampagne. Vier Wochen lang werden nun die Niedrigst-Preise fünf ausgewählter Eigenmarken-Artikel prominent überdimensional auf den Verpackungen aufgedruckt. In der dazugehörigen Pressemitteilung heißt es:
„Mit der Aktion ‚Kleine Preise ganz groß‘ bringen wir erstmals den Preis auf die Verpackung. Und zwar mit einer optisch attraktiven Limited Edition, die plakativ zeigt, dass unsere Eigenmarken immer die günstigste Wahl sind.“
Man möchte sich die Augen reiben. „Kleine Preise“ und „günstigste Wahl“…. Wie war das mit den „wahren Preisen“ noch vor einem Jahr? Sollten die nicht aufzeigen, dass die vom Endverbraucher gezahlten Preise eigentlich viel zu niedrig sind, um die bei der Produktion von Lebensmitteln entstandenen versteckten Kosten für Umweltschäden zu decken? Hätte man sich da nicht erwarten dürfen, dass Penny mit gutem Beispiel vorangeht und sich auch weiterhin für mehr Bewusstsein in der Lebensmittelbranche einsetzt? Das wäre sicher konsequent und authentisch gewesen.
Doch davon ist plötzlich keine Rede mehr. Es heißt wieder „so billig wie möglich“. Vergessen die „Wahren Kosten“, die Umwelt und Gesellschaft teuer zu stehen kommen. Zurück zu Umsatzsteigerung und Profit. Eben „business as usual“. In einem Artikel über die neue Penny-Aktion erfahren wir zudem:
„Im Jahr 2023 investierte Penny etwa 190 Millionen Euro in traditionelle Werbemaßnahmen, was einen Anstieg von fast 15 Prozent im Vergleich zum Vorjahr darstellt. Diese Ausgaben führten zu einem Umsatzwachstum von 8,6 Prozent, wodurch der Umsatz auf 9,5 Milliarden Euro stieg.“
War also die gesamte „Wahre Kosten“-Kampagne von 2023 letztendlich nur eine – womöglich für Penny sehr erfolgreiche – Werbemaßnahme? Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.