Wer meint, dass alte weiße Männer nichts mehr zu sagen haben wird mit dem neuen Album der Hardrock-Gründerväter eines Besseren belehrt.

By Leo K. 

Mit „Child in Time“ hatten Deep Purple das vielleicht härteste und lauteste Anti-Kriegs-Statement aller Zeiten geschaffen, doch auch anno 2024 sprießen Ian Gillans Texte nicht nur vor Wortwitz wie vor Jahrzehnten sondern changieren wie ehedem doppeldeutig zwischen persönlich erlebtem und kritischem Befund der aktuellen Weltlage, ohne dabei belehrend zu wirken. Ein schönes Beispiel dafür ist die aktuelle Single-Auskoppelung „Lazy Sod“, wo es etwa heißt:

You know the world’s on fire

And I can’t get my ass out of bed

The world is on fire

There’s smoke all around my head

What was I thinking about when I crashed last night?

The oceans are rising

And I can’t do a thing about that…

Musikalisch kommt das ganze energiegeladen daher wie schon lange nimmer gehört. Der neue Gitarrist Simon McBride ist seit 2 Jahren dabei und hat der Band eine Frischzellenkur verpasst, die sie um gut drei Jahrzehnte verjüngt hat.

Keyboarder Don Airey, der in die großen Fußstapfen des 2012 verstorbenen Jon Lord treten musste, erinnert sich dankenswerter Weise wieder an seine Vergangenheit bei Colosseum II oder Ritchie Blackmores Rainbow und setzt häufig den Moog ein. Exzellente Guitar-Keyboard-unisono-Passagen und Solos lassen das Herz nicht nur von Vintage-Rockfans höher schlagen, so zu hören in „A Bit On The Side“ oder „Now You’re Talkin“, die übrigens beide über die dunklen Seiten des Lebens erzählen.

Die treibenden Beats von Ian Paice haben nichts an Intensität eingebüßt, doch selbstredend können Deep Purple auch die gefühlvolle Ballade („I’ll catch You“). Songs wie „Sharp Shooter“ hingegen haben einen durchaus gefälligen Pop Approach und erinnern mit den Chorus Refrains an die von Bassist Roger Glover produzierten Alben der Band Nazareth in den 70ern.

Die abschließende Progressiv-Rock Tour de Force „Bleeding Obvious“ erinnert ein wenig an Yes in ihrer Glanzzeit (so they finally made the benchmark – in Abwandlung eines Ausspruchs ihres früheren Gitarristen Ritchie Blackmore) und lässt einen beinahe ratlos zurück. Wie schon der Albumtitel andeutet („it all adds up to one“) thematisiert Ian Gillan in dem Song die Entmenschlichung unserer Zeit. In einem Interview mit der „Welt“ sagte er unlängst: „Es ist, als wäre Orwells Vision von ‚1984‘ wahr geworden“, und sehnt sich zurück in die Zeit seiner musikalischen Anfänge in den 1960er Jahren und der damals hoffnungsvollen Realität nach einem grausamen Krieg. „Wir alle waren über die Musik miteinander verbunden“, so seine Conclusio.

Von Altersmilde bei Deep Purple also keine Spur, von Altersweisheit jedoch sehr wohl. Wie es für den Pazifisten zusammengeht, dass Deep Purple ein Statement für Frieden und Freiheit abliefern, andererseits vor Jahrzehnten als die gefährlichste Band der Welt galten?

Nun, das Leben ist eben nicht immer nur ganz eindeutig…