Gestern habe ich das Nationalmuseum in Kiew besucht, das der Katastrophe im Atomkraftwerk Tschernobyl gewidmet ist. Es liegt nur 100 km Luftlinie von Kiew entfernt, 157 km Straße, die man in etwa zweieinviertel Stunden zurücklegen kann.
Eine ganze Provinz und zahlreiche Dörfer befinden sich immer noch in einem gesperrten und unbewohnbaren Gebiet, obwohl Touristenreisen regelmäßig mit Schutzanzügen ausgerüstete Wanderer dorthin bringen. An Touristen, die die schönen Kirchen und interessanten Museen in Kiew besuchen, mangelt es nicht. Dabei handelt es sich hauptsächlich um Binnentourismus aus religiösen, künstlerischen und kulturellen Gründen, aber ich würde sagen, dass es auch Touristen aus anderen ehemaligen Sowjetrepubliken gibt, zum Beispiel Georgier.
Das Museum zu besuchen war ein Muss: Wir haben im geografischen Herzen Europas (ein Kontinent, der, wie wir uns erinnern, nicht mit den Grenzen der Europäischen Union übereinstimmt, sondern sich bis zum Ural erstreckt) ein riesiges Gebiet, das für die nächsten 24.000 Jahre für menschliches Leben gesperrt ist, denn das ist die Zerfallszeit der tödlichen Plutoniumisotope.
Die Menge an radioaktiven Stoffen, die nach der Explosion von Reaktor Nummer vier des Kernkraftwerks freigesetzt wurde, war in der Tat weitaus größer als die der Atombomben von Hiroshima und Nagasaki, die offensichtlich unmittelbar eine immense zerstörerische Wirkung hatten; achtzig Jahre später jedoch leben an diesen Orten Hunderttausende von Menschen in den modernen, wiederaufgebauten Städten.
Wenn man das Museum betritt, ist es, als würde man in die Zeitgeschichte eintauchen, und zumindest bei denjenigen in meinem Alter auch in die eigene Geschichte.
Und so kehren wir ins Jahr 1986 zurück, nach Kiew, der Hauptstadt der Sowjetrepublik Ukraine, einem integralen Bestandteil der UdSSR, deren Präsident und Generalsekretär der KPdSU, Michail Gorbatschow, den – wie inzwischen bekannt ist – verzweifelten Versuch unternimmt, das riesige Land durch die Wirtschaftsreformen der Perestroika und größere Informationstransparenz, Glasnost‘, vor der Wirtschaftskrise und dem Zerfall zu retten.
Fieberhaft liefen da die diplomatischen Verhandlungen, um einen neuen Krieg in Europa zu verhindern, der, wenn auch versehentlich, durch das Wettrüsten ermöglicht wurde, das nach den Jahren der Entspannung zwischen Kennedy und Chruschtschow mit der Stationierung von der Euro-Raketen (gemeint sind die Stationierung von Mittelstreckenraketen und Marschflugkörpern in Westeuropa, Anm.d.R.) wieder begann. Dies führte zum ersten Gipfeltreffen der USA und der UdSSR zwischen Ronald Reagan und Gorbatschow in Reykjavik, Island, im Oktober 1986. Wer weiß, wie sehr die Katastrophe von Tschernobyl die Entscheidungen für Abrüstung und neue Entspannung beeinflusst hat?
Die Atomkatastrophe lag nur wenige Monate zurück: Am 26. April 1986 um ein Uhr explodierte Reaktor Nummer vier der noch im Bau befindlichen Anlage, die die größte in Europa werden sollte. Für die Konstrukteure war sie so sicher, dass sie sogar auf dem Roten Platz in Moskau hätte gebaut werden können.
Das Absurde daran war, dass die Anlage in Tschernobyl nach einer teilweisen Säuberung noch jahrelang regelmäßig in Betrieb war, wobei Techniker und Arbeiter Schutzanzüge trugen.
Der Unfall betraf nicht nur die Ukraine, sondern von Anfang an die gesamte Sowjetunion, sowohl im Negativen, systemtypischerweise in anfänglichem Schweigen und Zurückhaltung, als auch im Positiven, nämlich dem Einsatz von Hunderttausenden von Menschen – Feuerwehrleuten, Soldaten, Arbeitern, Bergleuten, Technikern, Hubschrauberpiloten, Ärzten, Krankenschwestern, Wissenschaftlern – die fieberhaft und unermüdlich daran arbeiteten, eine noch größere europäische Katastrophe zu verhindern, den Schaden einzudämmen und die Kranken zu behandeln.
Viele, vor allem junge Soldaten, wurden schlecht ausgerüstet in die Gefahr geschickt. Andere – mit einem noch größeren Willen, der ganzen Menschheit und ihrem Land zu dienen, als wenn sie sich freiwillig für einen Krieg gemeldet und an die Front gegangen wären – opferten sich bewusst, um das Monster aufzuhalten, bevor weitere Explosionen stattfanden. Diese Menschen, Liquidatoren genannt, kamen aus allen Teilen der UdSSR, wie die zwölf ausgestellten Flaggen der Sowjetrepubliken zeigen. Das Museum beherbergt Tausende von Fotos, Ehrungen, persönlichen Gegenständen, Uniformen, Zeitungen, Briefe und Seiten aus ihren Tagebüchern.
Eine UN-Studie schätzt, dass mindestens viertausend Menschen an den Folgen der Katastrophe starben; andere Studien, gestützt auf die Ausbreitung der Giftwolke über Europa, gehen von zehntausenden Todesfällen durch Krebserkrankungen aus, die auf die Explosion der Anlage zurückzuführen sind.
Ebenso beeindruckend sind Dutzende von Tafeln mit Dörfern, die für immer, nein, für 24.000 Jahre verlassen wurden; die heilige Tür einer orthodoxen Kirche und ein Boot, das aus einem Dorf in der Nähe des Dnjepr stammt und wie eine Arche des Heils in der Mitte des Raumes platziert wurde, während die Weltkarte an der Decke Atomkraftwerke zeigt, die noch in Betrieb sind… als Orte der Gefahr.
Groß war die Solidarität der ganzen Welt, der mehrere Schaukästen gewidmet sind; besonders hervorgehoben wird Kuba, das im Laufe der Jahre mehr als 24.000 Ukrainer, Weißrussen und Russen, hauptsächlich Kinder, kostenlos aufgenommen und behandelt hat.
Im Jahr 2022, während des aktuellen Krieges, wurde um die Kontrolle über Tschernobyl gekämpft. Während der Invasion besetzten russische Truppen auf dem Weg nach Kiew kurzzeitig Tschernobyl und das Kernkraftwerk, zogen sich dann aber zurück, verfolgt von der ukrainischen Armee, die die Stadt zurückeroberte.
Stattdessen wird jetzt in der Nähe anderer Atomkraftwerke im Nordosten Krieg geführt; Generäle diskutieren über den Einsatz von taktischen Atomwaffen und einige theoretisieren sogar über die Legitimität des atomaren Erstschlags zur Entwaffnung des Feindes…
Zu Ehren der Opfer von Tschernobyl und damit Hiroshima und Nagasaki nie wieder geschieht, gibt es nur eines: Lasst uns das Feuer einstellen.
Alle Fotos von Mauro Zanella. Die Übersetzung aus dem Italienischen wurde von Domenica Ott vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!