„Kopftuchmädchen, alimentierte Messermänner und sonstige Taugenichtse!“
Auf dem Arbeitsmarkt und in der Schule erleben Migrant:innen und Muslim:innen alltägliche Diskriminierung und Unterdrückung aufgrund ihrer Herkunft und Religion.
Dass die rechtsextreme AfD-Abgeordnete Alice Weidel diesen Satz im Bundestag gesagt hat, ist noch gar nicht so lange her. Lehrer:innen, die deine Hidschab tragenden Mitschüler:innen verbal angreifen und fragen, ob sie dazu gezwungen wurden und das Kopftuch wieder abnehmen sollen, bis hin zu Sprüchen wie „Na, bekommt dein Gehirn darunter noch Luft?“ Oder die Wohnungssuche, bei der Vermieter:innen einen Lukas einem Hamid vorziehen, obwohl beide die gleichen Unterlagen vorlegen, was zu offener Diskriminierung und Benachteiligung führt und auf dem Arbeitsmarkt nicht anders aussieht. Dies sind nur Bruchstücke des antimuslimischen Rassismus, mit dem viele Menschen tagtäglich konfrontiert sind.
Dabei hat sich die Lage in Deutschland seit dem 7. Oktober 2023 verschlechtert, indem alle Muslim:innen unter Generalverdacht gestellt werden. Vizekanzler Robert Habeck forderte in einer Ansprache alle Muslim:innen dazu auf, sich zum 7. Oktober zu verhalten und Israel als Staat anzuerkennen. Würde dem nicht Folge geleistet, könnten sie Gefahr laufen, ihren Aufenthaltstitel zu verlieren. Der Generalverdacht, der von allen Seiten der deutschen Politik kommt, ist ein Schlag ins Gesicht der 5,3 – 5,6 Millionen in Deutschland lebenden Muslim:innen (ungefähr 6,4 – 6,7 Prozent der deutschen Bevölkerung). Doch was ist antimuslimischer Rassismus und woher kommt er? Um dies zu verstehen, müssen wir uns zuerst anschauen, was Rassismus ist.
Was ist Rassismus?
Eines ist klar: Rassismus ist kein Produkt der „menschlichen Natur“ und auch nicht Ausdruck einer „tief verwurzelten Angst vor dem Fremden“. Vielmehr ist Rassismus eng mit der Entstehung bürgerlich-imperialistischer Nationalstaaten verbunden. In einer Zeit, in der der Kapitalismus einen Weltmarkt schuf und die Nationalstaaten neue Märkte erschliessen mussten, wuchs aufgrund der kolonialen Ausbeutung das Bedürfnis nach Erklärungen, die die „Unzivilisiertheit“ dieser Menschen konstatierten und sie damit zu ewigen „Diener:innen des weissen Mannes“ machten. Damit war der Boden bereitet für die pseudowissenschaftliche Erklärung ihrer „Minderwertigkeit“ durch den Rassenbegriff.
Rassismus übersteigt jedoch blosse sprachliche oder kulturelle Kategorisierungen und nutzt phänotypische Merkmale wie zum Beispiel Hautfarbe und Kopfform, um Menschen in vermeintlich feste Gruppen einzuteilen. Der Rassenbegriff diente als effizientes Werkzeug für bürokratische Grenzziehungen und demagogische Mobilisierung. Der Rassismus ermöglicht auch die Zuteilung unterschiedlicher Rechte je nach Zugehörigkeit zu einer „rückständigen“ oder „zivilisierten“ Nation oder Nationalität. Damit wird die ethnische Zugehörigkeit zu einem imperialistischen „Staatsvolk“ positiv und die zu allen anderen negativ bewertet, was zu einer Abwertung der Angehörigen unterdrückter Nationen führt.
Rassismus ist tief in unserem gegenwärtigen Herrschaftssystem verankert. Die materielle Basis des Rassismus‘ in der Arbeiter:innenklasse ist die massenhafte Überausbeutung in den Halbkolonien, die einem Teil der Arbeiter:innenklasse in den imperialistischen Ländern einen gewissen Wohlstand zu garantieren scheint.
Was zeichnet antimuslimischen Rassismus aus?
Dabei handelt es sich um eine Form des Rassismus, der sich nicht nur gegen religiöse Sympathien und Praktiken richtet, sondern gleichzeitig Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe oder Herkunft rassifiziert und dem Islam zuordnet. Antimuslimischer Rassismus und Islamophobie machen den/die „Muslim:in“ zu einer unveränderlichen Sache, sodass Menschen verschiedener Nationalitäten und sogar Glaubensrichtungen als „muslimisch“ charakterisiert werden. Somit trifft antimuslimischer Rassismus nicht nur Muslim:innen, sondern auch diejenigen, die scheinbar „muslimisch“ aussehen oder Menschen sind, die aus einem Land mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung stammen.
Dabei verfolgt der antimuslimische Rassismus einen ähnlichen Zweck wie der Rassismus allgemein: Spaltung der Arbeiter:innenklasse und Herausentwickeln einer prekären Schicht dieser, Trennung des Arbeitsmarktes und Legitimation von Kriegen und imperialistischen Interessen. Durch die Spaltung der Arbeiter:innenklasse wird einerseits eine einheitliche Masse der Ausgebeuteten verhindert und andererseits können jene Arbeiter:innen besser ausgebeutet werden, die aufgrund ihrer Rassifizierung nicht die gleichen Rechte erhalten. Die Verbindung der Diskriminierung von Arbeitsmigrant:innen mit ihrer rassistischen Brandmarkung als „Muslimin:innen“ stellt diese als „Gefahr“ für „zivilisierte“ Gesellschaften dar. Diese Charakterisierung wird zunehmend von Rechtsextremen aufgegriffen und mit Verschwörungsideologien verknüpft.
Ein Beispiel dafür ist die sogenannte „Islamisierung des Abendlandes“, die wegen der angeblich muslimischen Einwanderung stattfindet, um die weisse Bevölkerung zu marginalisieren. So soll die Abschottung und Rückführung von Geflüchteten besser gelingen. Letztendlich sind alle Formen von Islamophobie und antimuslimischem Rassismus rassistische Ideologien, die der Unterdrückung von eingewanderten und geflüchteten Arbeiter:innen dienen sowie einen ideologischen Deckmantel für „humanitäre“ Interventionen in Halbkolonien oder die Unterstützung des zionistischen Staates rechtfertigen.
Wie ist der antimuslimische Rassismus entstanden?
In den letzten Jahren haben sich der Rassismus gegen Muslim:innen und die Islamophobie erheblich verändert, wodurch dem antimuslimischen Rassismus ein anderer Charakter verliehen wurde. Seit den 2000er Jahren können wir erkennen, dass der antimuslimische Rassismus eine dominierende Form des Rassismus in den imperialistischen Ländern angenommen hat. Dies hat seine Ursache in verschiedenen historischen Entwicklungen. Eine davon ist der Zusammenbruch der Sowjetunion, der die Weltlage schlagartig verändert und die USA dazu veranlasst hat, die Welt neu ordnen zu wollen, um ihre Hegemonie und Machtansprüche zu sichern. In den USA wurden in dieser Zeit immer mehr Bücher und Publikationen veröffentlicht, die Wege und Strategien für ihre Hegemonie skizzieren. Dabei wurden vor allem andere imperialistische Länder wie China und Russland als Rivalen dargestellt und Strategien veröffentlicht, die verhindern sollten, dass diese die Hegemonie der USA angreifen können.
Eines dieser rassistischen Bücher war Samuel P. Huntingtons „The Clash of Civilizations“ (Kampf der Kulturen), das auch den „Islam“ als einen Imperialismus beschrieb, der sich zu einem globalen Rivalen entwickeln könnte, und das voller rassistischer Ideologie steckte. Dabei ist der Islam weder eine wirtschaftliche Einheit noch eine Nation oder eine Föderation von Nationen. Er ist kein Rivale um die Weltmacht. Aber er eignet sich gut als globaler Feind, der sowohl intern als auch extern auftritt. Nach den Angriffen am 11. September 2001 wurde diese Ideologie dann genutzt, um den sogenannten „War on Terror“ zu legitimieren und dutzende imperialistische Kriege wie in Afghanistan, gegen vermeintlich muslimische Länder im Mittleren Osten, aber auch überall in der Welt zu legitimieren. Ausserdem bietet das nicht nur eine ideologische Rechtfertigung für die Destabilisierung des Nahen und Mittleren Ostens, sondern auch für die polizeiliche Überwachung und Stigmatisierung der muslimischen Bevölkerung.
Dafür mussten der „Islam“ und der „Islamismus“ als einheitliches Gebilde konstruiert werden, um somit einen homogenen, gefährlichen und barbarischen Feind zu kreieren, dessen Anhänger:innen zu einer rückständigen Kultur gehören, die nicht in die moderne, demokratische Gesellschaft integrierbar ist. Dass im Islam selbst unterschiedliche Schulen und Glaubensauslegungen vorherrschen, beispielweise Unterschiede zwischen Schiit:innen und Sunnit:innen, spielt dabei gar keine Rolle. Dabei wird oft von allem Islam als Islamismus gesprochen, ohne zwischen echtem Islamismus (politischem Islam) und dem Islam als blosser Religion zu unterscheiden. So werden die in Deutschland stattfindenden Propalästina-Demonstrationen von Robert Habeck als islamistisch bezeichnet, obwohl es sich bei den Organisator:innen grösstenteils um säkulare, linke Organisationen handelt.
Situation von Muslim:innen
Insgesamt gehört die Mehrheit der Muslim:innen in der EU zu den prekären Teilen der Arbeiter:innenklasse: So ist die Arbeitslosenquote unter türkischstammigen Arbeiter:innen in Deutschland oder unter pakistanischen und bangladeschischen Arbeiter:innen in Grossbritannien um 15 bis 40 Prozent höher als im nationalen Durchschnitt. Man kann also sagen, dass die Arbeitslosenquote unter Migrant:innen und Muslim:innen (soweit getrennte Daten vorliegen) wesentlich höher ist als im nationalen Durchschnitt. Dadurch wird deutlich, dass Muslim:innen systematischer Unterdrückung, Diskriminierung und Stigmatisierung ausgesetzt sind, was als Folge Ghettoisierung mit sich bringt.
Auf dem Arbeitsmarkt und in der Schule erleben Migrant:innen und Muslim:innen alltägliche Diskriminierung und Unterdrückung aufgrund ihrer Herkunft und Religion, auch wenn es in vielen Ländern oberflächliche Antidiskriminierungsgesetze gibt, die nicht verhindern, dass z. B. die Arbeitssuche für Migrant:innen mit Kopftuch wesentlich schwieriger ist als für weisse Frauen ohne Kopftuch. Auch in der Schule ist es für Schüler:innen aufgrund ihrer sozialen Lage schwieriger, Lernerfolge zu erzielen, was insgesamt dazu führt, dass Muslim:innen (und Migrant:innen insgesamt) tendenziell in schlechter bezahlten Sektoren arbeiten als weisse Arbeiter:innen.
Zuerst erschienen auf arbeiterinnenmacht.de