Im Römischen Reich versprachen die Herrscher Brot und Spiele, um das Volk ruhig zu halten. Grandiose Feste wurden dem Volk angeboten, um die Macht und Grosszügigkeit des Kaisers zu manifestieren.

Im Jahr 2024 wird es für das Volk kein Brot und keine Spiele mehr geben, sondern nur noch die Polizei. In Frankreich ist die Armut explodiert, Eintrittskarten für die Spiele sind so teuer, dass sie für die meisten Menschen nicht zugänglich sind, die Transportkosten haben sich verdoppelt und die Stadt, in der der Wettbewerb stattfindet, ist ohnehin abgesperrt und der Zutritt verboten. Dies sind vielleicht die repressivsten Olympischen Spiele in der Geschichte

Geisterstadt

Tatsächlich blockieren 44.000 Zäune die zentralen Bezirke von Paris rund um die Seine. Ohne einen speziellen QR-Code ist der Zutritt zu einem grossen Teil der Hauptstadt verboten. Noch nie hat eine Olympia-Austragungsstadt vor der Zeremonie ganze Stadtviertel leergeräumt.

Dabei kommt es seit einer Woche zu surrealen Szenen, etwa von Mitarbeitern, die die Beherrschung verlieren, weil sie ihren Arbeitsplatz nicht erreichen können, oder von Polizisten, die sagen, dass die Sonne „den QR-Code auf Telefonen unleserlich macht“, „selbst wenn die Helligkeit auf Maximum eingestellt ist, funktioniert es nicht“, den Pass auszudrucken.

In der „Grauzone“ sind in der Touristensaison ganze Boulevards, normalerweise komplett überfüllt, völlig menschenleer! Einheimische sprechen von einer Geisterstadt. Und am Rande des Perimeters trinken die Kunden auf Barterrassen, die wie in einem Käfig von Grills umgeben sind. Die Beschränkungen sind so gross, dass sie den Zugang zu bestimmten Krankenhäusern in der Sperrzone behindern, wodurch Patienten bestraft werden, die lebenswichtige Pflege, beispielsweise Dialyse, benötigen.

Im Fernsehen beklagen kleine Pariser Händler das Wegbleiben ihrer Kunden. Sie scheinen zu entdecken, dass niemand kommt, wenn man überall Kontrollpunkte, bewaffnete Polizisten und QR-Codes aufstellt und die Preise mit 10 multipliziert.

Die Covid-Pandemie war ein Laboratorium für Experimente mit Mitteln zur Reisekontrolle, die in der Geschichte der Menschheit beispiellos war. Jetzt wendet die französische Regierung die gleichen Methoden bei einer einfachen Sportveranstaltung an. Morgen wird das die Norm sein.

Algorithmische Überwachung

Im Ende März 2023 in der Nationalversammlung verabschiedeten „Olympiagesetz“ wurde in Artikel 7 die automatisierte Videoüberwachung (VSA) genehmigt. Das Gerät soll mithilfe von Algorithmen sogenanntes „abnormales“ Verhalten besser erkennen. Befürworter des VSA sprechen von der Fähigkeit, „Bewegungen von Menschenmengen oder die Entdeckung von zurückgelassenem Gepäck oder Projektiljets“ zu antizipieren. Diese automatisierte Überwachung, die in einer grossen westlichen Hauptstadt beispiellos ist, wurde als in der „Testphase“ befindlich dargestellt. Nur dass dieser Test, der sich über die gesamte Dauer der Olympischen und Paralympischen Spiele erstreckt, bis zum 30. Juni 2025 verlängert wird.

Somit gibt es bereits eine algorithmische Videoüberwachung. Anfang der Woche begannen in 46 Pariser U-Bahn-Stationen Experimente mit Verhaltensanalysealgorithmen. Am 25. Juli führte die SNCF die Algorithmen in 11 Bahnhöfen ein.

Und der Präfekturerlass geht weit über Orte hinaus, die mit den Olympischen Spielen in Zusammenhang stehen. La Quadrature du Net, das sich mit Überwachungsfragen befasst, ist der Ansicht, dass es „nicht so sehr darum geht, die Sicherheit strikt zu gewährleisten, sondern vielmehr darum, einen Vorwand zu finden, um diese Technologien zu testen und sie für die Bevölkerung akzeptabel zu machen“.

Anti-Terrorismus und Hausarrest

Wenn diese Olympischen Spiele eine Gelegenheit sind, die Methoden des Gesundheitsnotstands wieder anzuwenden, sind sie auch eine Gelegenheit, die schlimmsten Antiterrormassnahmen anzuwenden. Es handelt sich also um eine Kombination aus dem doppelten Ausnahmezustand von 2015 und 2020 gleichzeitig.

Der Staat gibt an, 155 „einzelne Massnahmen der administrativen Kontrolle und Überwachung“ (MICAS) gegen Personen ergriffen zu haben, die von den Geheimdiensten als „gefährlich“ eingestuft wurden. Diese Massnahmen ermöglichen es, jemandem ohne Gerichtsverfahren die Freiheit zu entziehen. Wobei die meisten der Zielpersonen wurden nie verurteilt oder gar strafrechtlich verfolgt.

Le Monde berichtet über den Fall von Halim, einem Vater, der am 11. Juli in den Urlaub nach Tunesien fahren wollte und beim Einsteigen mit seiner Frau und seinen Kindern festgenommen wurde. „Ich wurde in ein Büro gebracht, wo mir eine Frau mitteilte, dass ich unter Hausarrest stehe“, erklärt die Franko-Algerierin.

Die Massnahme war an eine alte Adresse geschickt worden und er befand sich im Namen der Sicherheit der Olympischen Spiele drei Monate lang unter Hausarrest in einem Haus, das er nicht mehr bewohnte. Es ist ihm verboten, Paris zu verlassen und etwa zehn rot markierte Gebiete zu betreten, dazu muss er sich jeden Tag zur gleichen Zeit bei der Polizei melden. Der Grund? In einer nicht unterzeichneten „weissen Notiz“, die von einem anonymen Polizisten verfasst wurde, heisst es, dass Halim Kontakt zu „radikalisierten“ Personen habe, ohne jedoch näher darauf einzugehen.

BFM berichtet über den Fall von Amine, einem 21-jährigen Studenten, der des Terrorismus verdächtigt wurde, als er Opfer eines Identitätsdiebstahls im Internet wurde: Eine Person nutzte sein Foto, um online gewalttätige Bemerkungen zu machen. Die Beweise belegen seine Unschuld, aber die Behörden haben an MICAS festgehalten. Ihm wird die Freiheit für die nächsten Wochen entzogen, er muss sich bei der Polizei melden und wird nicht arbeiten können.

Le Monde diskutiert den Fall von M., einem Arbeiter am Flughafen Orly, der bis zum 8. September im Visier eines MICAS stand. Die Behörden begründen diese Massnahme mit einer Polizeigewahrsam im Jahr 2022 nach einer Anzeige eines Nachbarn, der ihm antisemitische Beleidigungen vorwarf. „Ich konnte nachweisen, dass ich zum angeblichen Tatzeitpunkt am Arbeitsplatz war.“ Der Staatsanwalt wies den Fall ab. MICAS wurde nicht nur nicht aufgehoben, sondern als M. eine Ausnahmegenehmigung für die weitere Arbeit am Flughafen beantragte, wurde seine Genehmigung ausgesetzt und er wurde durchsucht. „Vermummte Polizisten trafen um 6 Uhr morgens ein. Ihre erste Frage war: „Wo ist Ihr Gebetsteppich?“

Médiapart erwähnt den weniger schwerwiegenden, aber ebenso bedeutsamen Fall eines Showmanagers, dem die Akkreditierung für die Arbeit auf einem Olympiagelände entzogen wurde, obwohl er eingestellt worden war, nur weil er in den Polizeiakten wegen früherer militanter Aktivitäten auftaucht. Zwei Festnahmen bei Demonstrationen, 2016 und während der Gelbwesten Bewegung, für die er nicht einmal verurteilt wurde. Das reicht aus, um ihn arbeitslos zu machen.

La Quadrature du Net hat weitere Fälle identifiziert, in denen „Menschen, die auf dem Olympiagelände arbeiten sollten, ihre Akkreditierung verweigert wurde und die vermuten, dass diese Verweigerung mit früheren Aktivistenaktivitäten zusammenhängt“. Nach Angaben des Innenministeriums wurden nach einer Untersuchung 3.922 Menschen von Olympia ausgeschlossen, „131 werden als S eingestuft, 18 wegen islamistischer Radikalisierung, 167 als ultralinks und 80 als ultrarechts.

Marineblaue Zeremonie

Am Freitag, 26. Juli war der gesamte Luftraum im Umkreis von 150 Kilometern um Paris gesperrt. Anti-Drohnen Kanonen wurden eingesetzt. Helikopter der Armee haben die Zeremonie überflogen. 86 Polizeiboote haben auf der Seine patrouilliert und Sonargeräte haben den Fluss sondiert. Ausserdem waren nautische Barrieren und Unterwassernetze installiert.

Nach 13 Uhr wurde ein Drittel von Paris von 60.000 Polizisten, Gendarmen und Soldaten abgeriegelt und der gesamte Verkehr gestoppt. Die Bewohner wurden aufgefordert, zu Hause zu bleiben. Alle U-Bahn-Stationen in der Nähe der Seine wurden geschlossen. Und die Medien der Milliardäre rechtfertigen diese Massnahmen damit, dass sie wochenlang jeden Tag nur über Sicherheit reden. Bisher waren die Olympischen Spiele eine Gelegenheit, über Sport zu sprechen, Sportler zu entdecken und bestimmte, wenig bekannte Disziplinen zu fördern. Doch die französischen Medien beschlossen, sich ausschliesslich auf die Polizei zu konzentrieren. Eigentlich logisch in einem autoritären Staat, der nur durch Repression zusammenhält.

Diese unterschiedlichen Massnahmen hat es zweifellos noch nie gegeben. Sicherlich waren die von der chinesischen Diktatur 2008 organisierten Olympischen Spiele und die von Rio 2016, wo die Polizei in den Favelas tötete, kein Spass. Aber es ist vielleicht das erste Mal in der Geschichte, dass eine Metropole über mehrere Kilometer und Tage im Voraus geleert wird und dass derart drastische, ausgeklügelte und systematische Systeme der Kontrolle, Überwachung und Einschränkungen der Freiheit eingesetzt werden.

Contre Attaque

Übersetzung ins Deutsche von Sofie

Der Originalartikel kann hier besucht werden