In Deutschland wie in anderen europäischen Ländern gewinnen rechtslastige Parteien und ihre Inhalte immer mehr an Boden. Es gibt aber auch stärker werdende Gegenbewegungen. In den öffentlich-rechtlichen Medien laufen Reportagen und andere Sendungen, die über die Gefahren von rechts informieren, auf kommunaler Ebene gibt es viele Initiativen, bundesweit sind die OMAs GEGEN RECHTS aktiv. Sie sind zu einer starken Bewegung geworden. Es sind inzwischen Tausende von Frauen in 200 Gruppen, verteilt über ganz Deutschland. Sie vergewissern sich selbst, die Medien und die sich als „links“ verstehende Bevölkerung des Widerstands gegen rechte, rechtsradikale, rechtsextreme Akteur:innen, die die Menschenrechte und das politische System in Frage stellen.

Trotz dieser Bewegungen werden die Rechtsradikalen – angefangen mit der AfD – immer stärker. Warum? Warum ist die Angst vor den Landtagswahlen im Osten so groß? Wieso haben die OMAs GEGEN RECHTS mit ihren Protestformen nicht ein Erstarken der AfD bei der Europawahl verhindern können?

Rechtsradikalen, die in der Corona-Pandemie aufgerüstet und dazu gewonnen haben, gelingt es, die Aufmerksamkeit auf ihre Themen und Problemlösungen zu lenken. Warum sie dabei so erfolgreich sind, und warum die Linke – wenn man das Konglomerat von Organisationen und Einzelpersonen, die sich auf Werte wie Menschenwürde und Menschenrechte beziehen, noch so bezeichnen kann – nicht erfolgreicher in ihren Aktionen ist, muss man sich fragen. Die üblichen Erklärungen dafür sind: Die Menschen sind infolge der Globalisierung, der Migration, der Informationsüberflutung verunsichert. Durch die komplexer werdende Wirklichkeit werden Selbstverständlichkeiten infrage gestellt, die Sorge um den eigenen Wohlstand wächst. Das ohnehin vorhandene Potential an gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und an Autoritarismus wird dadurch gestärkt (1).

Depression, Angst und Kriminalität können Indikatoren sein für die Belastungen, denen Menschen ausgesetzt sind. Ob sie mit psychischen Erkrankungen oder mit kriminellem Verhalten auf die Verunsicherung reagieren, ist eine Frage der seelischen und körperlichen Konstitution, des familiären Hintergrundes und der Umwelt, in der sie leben. Die Daten lassen auf zunehmende Gefährdungen auch der jungen Generation schließen. Medizin und Psychologie berichten von einer weltweit zunehmenden Anfälligkeit von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen für psychische Störungen wie Depression und Angststörungen. Dafür sind nicht allein die Einschränkungen während der Corona-Krise verantwortlich, die Zunahme beginnt noch vor der Corona-Zeit. „Unzureichende Maßnahmen gegen den Klimawandel, eine unregulierte und unsichere digitale Welt und soziale Medien, soziale Ausgrenzung, unsichere Arbeitsverhältnisse für die ersten Jobs, eingeschränkter Zugang zu bezahlbarem Wohnraum, generationenübergreifende Ungleichheit“ können als Faktoren für eine unsichere Zukunft genannt werden (Schwenkenbecher 2024).

Auf diese Zukunft reagieren Jugendliche auch mit Gewaltbereitschaft. Bei den Tatverdächtigen im Bereich der Gewaltkriminalität ist in den Jahren 2022 bis 2023 ein Anstieg zu beobachten, der – wie bei den psychischen Störungen – auch höher ist als vor der Corona-Epidemie (vgl. DJI 2024:16).

Manche, nicht alle Faktoren der Verunsicherung ließen sich politisch bearbeiten. Es gäbe also viel zu tun, um gerade den jüngeren Generationen Anlass für Mut und Hoffnung zu geben. Sind Bewegungen wie die OMAs GEGEN RECHTS geeignet, jungen Menschen in diesen Zeiten Hoffnung und Sicherheit zu verschaffen? Und, weiter gedacht, sind sie in der Lage, bei rechtsextremen Akteur:innen, die zu vereinfachenden Erklärungsmustern neigen, Reflexionsprozesse und vielleicht sogar eine Meinungsänderung herbeizuführen?

Moralische Empörung

In der Auseinandersetzung mit politischen Gegner:innen spielt Empörung eine große Rolle. Die Demonstrationen gegen die Impfgegner: innen während der Corona-Zeit, auch die Demonstrationen von Fridays for Future haben der Unzufriedenheit mit rechtslastigen Bewegungen und/oder mit der Regierung Ausdruck verliehen. Gleiches gilt für die Demonstrationen der Rechtsextremen, ebenfalls während der Corona-Zeit, und auch wieder am 4. August in Berlin. Die letzten großen Demonstrationen der linken Bewegung gab es nach der Veröffentlichung der Correctiv-Recherche, und auch sie gaben der Empörung der Menschen ein Gesicht. Empörung ist somit ein wichtiger Motor für politisches Handeln – auf beiden Seiten. Sie erreicht eine gewisse Befriedigung der politischen Akteur:innen, aber erreicht sie auch die politischen Gegner:innen, an die sie gerichtet ist? Bezüglich der linken Aktionen sprechen Wähler:innenzahlen eine andere Sprache. Die AfD wird immer stärker, und das Magazin Compact kann seine Auflagen nach dem Verbot erhöhen. Das zeigt: Empörung kann der Ausgangspunkt für politisches Handeln sein, als Ratgeberin für die Aktionsformen ist sie nicht immer geeignet. Schon in der Bibel heißt es: »Seht, ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe. Seid darum klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben“ (Matthäus 10).

Die Attraktivität des Tabubruchs

Der Philosoph Robert Hugo Ziegler hat eine faszinierende Analyse des Sylter Skandals um die Wohlstandsjugendlichen mit rechtsradikalem Gesang vorgelegt. Der Bruch des Tabus, eine nicht-nationalistische, diverse Gesellschaft zu sein, mit dem Song „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ kann demnach verschleiert werden unter dem Anspruch, „nur Spaß“ zu sein (und haben zu wollen). Der Song und der Kontext, in dem er gesungen wurde, waren somit eine Transgression, d.h. ein absichtlicher Verstoß gegen gesellschaftliche Regeln.

In der Folge von 1968 war es im Westen die Linke, die gegen die Regeln in Wort und Tat verstieß. Sie ging vorwärts und verwechselte ihre Aktionen weitgehend mit dem politischen Anspruch. Der Weg der Demonstrationen und anderer Widerstandsformen wurde mit dem Ziel eines Umbaus der Gesellschaft gleichgesetzt (vgl. Ziegler a.a.O.). Diejenigen, die dann in den Institutionen und Medien Positionen errangen und einen Teil ihrer Ansprüche durchsetzen konnten, kämpften nicht mehr gegen den Widerspruch zwischen Arbeit und Kapital, wobei – das fehlt bei Ziegler – dieser Widerspruch komplexer geworden ist durch die Großkonzerne und die Globalisierung.

Die Entwicklung in der DDR war eine andere. Eine 68er-Bewegung konnte sich nicht entfalten, im Gegenteil: Sozialer Ausschluss bis hin zu Inhaftierung drohte jenen, die gegen das Regime aufbegehrten. In und nach der Wiedervereinigung wurden die Gegensätze durch die Absorption der Wirtschaftskraft und die Ersetzung der Führungsschicht durch Westdeutsche verstärkt. Nur Regimegegner:innen hatten eine Chance, in die westlichen Führungsschichten aufzusteigen. Ein großer Teil der DDR-Bevölkerung erlebte die Folgen der Wiedervereinigung als persönlichen Abstieg und politische Enttäuschung. Von daher hat eine rechte Bewegung, die auf Nationalstolz setzt, eine große Anziehungskraft.

Was die Linke heute vereint, ist nichts anderes als der Kampf gegen die Rechten (a.a.O., s.a. Krastev). Es gelingt derzeit nicht, die Werte, für die sie steht, als ein Vorwärts zu definieren. Nein, es geht eigentlich um ein Konservieren, ein Bewahren von Menschenrechten, Natur und Informationsfreiheit. Mit dieser Verhinderungspolitik verliert sie vor allem für die jüngeren Generationen, die ihre eigene Geschichte erleben und gestalten wollen, an Attraktivität. In den östlichen Bundesländern kommt das Aufbegehren gegen die Dominanz der Eliten der alten Bundesrepublik dazu.

Das gilt in Teilen auch für die Erinnerungskultur. So sinnvoll und richtig es ist, dass wir das Naziregime verurteilen und seine Folgen betrauern, so wenig sagt dies den jungen Menschen, die damit keine eigenen Erfahrungen verbinden. In besonderer Weise gilt dies für die jungen Menschen, deren Eltern oder die selbst nicht seit Generationen in Deutschland leben. Der Politikwissenschaftler Krastev verweist auf Untersuchungen, die zeigen, dass Traumatisierungen nicht länger als drei Generationen wirksam sind und schlussfolgert: „Was in den 1930er- und 40er-Jahren geschehen ist, das ist für junge Leute eine weit entfernte Vergangenheit. Der Thrill, ein Tabu zu überschreiten, mit dem einen selbst gar nichts mehr verbindet – das erklärt die Attraktivität der Neuen Rechten speziell für junge Männer“ (Krastev bei Lau 2024).

Ignoranz gegenüber dem Klassenkonflikt

Der Klassenkonflikt, der vom größten Teil der Linken, auch von jenen in der Regierung, verschwiegen wird, drängt auf subtile Weise durch den Morast des Einvernehmens. Die inzwischen saturierte linksliberale Mittelschicht im Westen ist diejenige, die die Lebensbedingungen der Ärmeren bestimmt und interpretiert. Die Armen und weniger Gebildeten müssen sich von ihnen ständig sagen lassen, wie sie ihren ökologischen Fußabdruck verbessern können. Und sie erleben dazu auch noch eine Arroganz, die kränkt. Die Überheblichkeit, der formal besser gebildeten und ökonomisch besser gestellten Stände, ist ein Kapitalfehler, den die Linken, auch manche OMAs GEGEN RECHTS, allüberall begehen. So sangen die OMAs GEGEN RECHTS auf einer Abschlussdemonstration nach ihrem Kongress in Erfurt ein Lied, in dem es heißt: „Die Welt ist komplizierter heute, doch das verstehen nicht alle Leute. Sie schauen zu viel TikTok, auf Zeitung haben sie Null-Bock“. Man stelle sich einen Jugendlichen aus dem Prekariat vor, der diese Worte hört. Wenn er sich nicht entschließt, den steinigen (und möglicherweise erfolglosen) Weg zu Wohlstand und Erfolg zu gehen oder sich in Resignation zurückzuziehen, entsteht Wut.

Für Menschen jeden Alters ist in Krisensituationen – und Armut ist eine permanente Krise – die Sorge um die durch Geschlecht, Migration und Hautfarbe benachteiligten Menschen nachrangig. Man hat schlicht nicht genug Zeit und Energie, um sich mit den Problemen anderer auszusetzen als mit denen, die einen selbst betreffen. Minderheiten, die unter Benachteiligungen leiden, können ihrerseits schwer Empathie für die Mehrheit entwickeln, wenn deren Sorgen nicht ihre eigenen sind. Nur durch Verständnis für die Sorgen der Anderen kann ein solidarisches Miteinander entstehen.

Blindheit der Wissenschaft

Mau u.a. (2024) behaupten aufgrund ihres umfangreichen Untersuchungsmaterials, es gebe keine Spaltung in der Gesellschaft, sondern diese sei durch gemeinsame Überzeugungen verbunden. Ein Beispiel ist die Forderung nach Gerechtigkeit. Nur: Gerechtigkeit sieht anders aus für diejenigen, die Geld haben, z.B. beim Kampf gegen den Klimawandel. Die besser Situierten kämpfen gegen den Klimawandel und verzichten vielleicht auf ein zweites Auto. Hingegen reagieren diejenigen, die wenig verdienen und schon gar nichts besitzen, allergisch, wenn ihnen durch politische Maßnahmen weitere Verzichtsleistungen abverlangt werden.

Im Osten erreicht die AfD voraussichtlich inzwischen 24 (Brandenburg) bis 30 (Sachsen, Thüringen) Prozent der Wählerstimmen. Hier von „Rändern“ zu schreiben, wie Mau u.a. dies tun, ist wohl etwas untertrieben (2). „Die“ Wissenschaft bietet nicht immer handlungsrelevante Analysen.

Vertiefung der Konflikte

Die OMAs GEGEN RECHTS genießen inzwischen im linksliberalen Spektrum ein hohes Maß an Anerkennung. Was fehlt, sind Analysen über ihre Wirksamkeit, die – zugegeben – schwer zu erarbeiten sind. Bei manchen Aktionen lässt sich zumindest die Frage stellen, ob außer einer positiven Resonanz bei Gleichgesinnten, auch in den Medien, bei den politischen Gegner: innen ein Erfolg erreicht wird.

Beispiel AfD-Verbot. Mit großem Aufwand unterstützen die OMAs GEGEN RECHTS die Versuche, die AfD verbieten zu lassen. Ein solches Verbot würde die Politik endgültig unglaubwürdig werden lassen, denn alle Wähler der AfD, auch Menschen, die heimlich mit ihr liebäugeln, können auch die Versuche, die Chancen für ein AfD-Verbot zu klären, nur als Faustschlag gegen ihre Überzeugungen wahrnehmen und als Beweis, dass wir nicht in einer Demokratie leben.

Der Politikwissenschaftler Philip Manow sieht darin eine Gefahr für die Demokratie, die wir doch angeblich schützen wollen: „Wir kriegen die Demokratie nicht dadurch stabilisiert, dass wir möglichst empörungsfreie Diskurse führen, sondern wir müssen die Zumutungen der elektoralen Demokratie annehmen, die darin bestehen, dass Leute wirklich anderer Meinung sind als wir.“

Ähnliches gilt für den Umgang mit der Zeitschrift Compact. Auch hier wird die politische Auseinandersetzung durch einen ministeriellen Befehl abgebrochen. Es ist zu vermuten, dass dieses Verbot in der rechtsextremen Szene als Reduzierung der Meinungsvielfalt bewertet wird. Und das ist es leider auch. Die Meinungen verschwinden nicht, sondern erhalten Auftrieb, wie Götz Kubitschek nach der richterlichen Ablehnung des Verbots stolz verkündete.

Wer etwas gegen die Anziehungskraft des Rechtsextremismus tun will, muss, wie dies in der Pädagogik heute selbstverständlich ist, sich auf die Ebene derer begeben, denen er/sie etwas vermitteln will. Social Media bieten neben der Kärrnerarbeit in den Kommunen die Möglichkeit, mit Andersdenkenden ins Gespräch zu kommen. Geschieht dies mit Respekt gegenüber dem/der Anderen und mit klaren Informationen, ist vielleicht eine Veränderung möglich.

Finanzen kontrollieren

Die Analyse der Finanzierung von rechtslastigen Entscheidungen von Unternehmen wäre eine Aufgabe, für die man bestimmte Kompetenzen braucht. Auch gibt es in unserem Finanzsystem viele Schlupflöcher, die Laien schwer aufdecken können. Aber manchmal gelingt es, einen Fehler zu skandalisieren, der Gelder in die falsche Richtung lenkt. Das ist passiert, als die OMAs wie auch andere Gruppen Einspruch bei Finanzämtern gegen die Gemeinnützigkeit des deutlich rechtsextremen Vereins „Staatsreparatur“ erhoben haben. Dessen Gemeinnützigkeit ist schon deshalb ein Skandal, weil sie regierungskritischen Vereinen wie Attac aberkannt wurde.

Anders ist dies mit Aktionen wie der Löschung des AfD-Kontos bei der Berliner Volksbank. Die OMAs GEGEN RECHTS wurden in den Medien beklatscht, weil sie es mit ihrem Einsatz erreicht hatten, dass die Berliner Volksbank das Spendenkonto der AfD abgeschafft hat. Was wir nicht wissen: Wie reagieren die rechtsextreme Community und solche Menschen, die sich von ihr angezogen fühlen, darauf? Glaubt im Ernst jemand, dass der Spendenfluss für die AfD dadurch verhindert werden kann? Der Erfolg dieser Aktion besteht vermutlich in erster Linie in dem Erleben von Wirkmächtigkeit.

Informationen bieten

Es braucht Kontexte, in denen Falschmeldungen, Lügen richtig gestellt werden. Kontexte dieser Art bieten die Social Media, zuallererst TikTok und Instagram. Dabei ist es wichtig, konkrete Aussagen zu machen und keine abstrakten Forderungen wie die nach Aufrechterhaltung der Demokratie oder Menschenrechten zu stellen. Die OMAs GEGEN RECHTS haben angefangen, mit Humor und mit witziger Aufklärung ein Gegengewicht zu den falschen Botschaften der Rechtsextremen zu bilden (Beispiele: https://vm.tiktok.com/ZGecfnYve; https://vm.tiktok.com/ZGecxH7Hs/). Solche Videos können die Reflexion der User:innen anregen.

Informationen zentrieren

Das Problem, das die jungen Generationen stärker als die älteren betrifft, ist die Klimakrise. Trotzdem gibt es in der politischen Diskussion immer noch Verharmlosungen, bei Rechtsradikalen bis zur Leugnung der Tatsachen. Die Letzte Generation wird wie eine terroristische Gruppe behandelt. Wieso stehen die OMAs GEGEN RECHTS diesen jungen Menschen nicht bei? Wieso wird die relative Gleichgültigkeit der rechten Bewegung gegenüber der Zerstörung unserer Lebensbedingungen nicht ins Zentrum der Aktionen gestellt? DAS ist eine Bewegung gegen Rechts, bei der sich die OMAs mit der jungen Generation verbinden könnten.

Gefühle thematisieren

Die Darstellung der eigenen Gefühle – zum Beispiel Trauer über die Entscheidungen – ist eine Möglichkeit, die User:innen anzusprechen (zum Beispiel: https://www.instagram.com/marioninaktion/). Bei der Äußerung von Gefühlen kann eher Verständnis entstehen als bei der Aufnahme von Informationen. Und wir können in freundlichen Kontakt mit Andersdenkenden kommen.

Kontakte herstellen

Zeit Online hat diesen Gedanken umgesetzt mit dem Projekt „Deutschland spricht“, das von My Country Talks, einer internationalen Plattform für politischen Dialog, durchgeführt wird. Dabei beantworten Zeit-Leser:innen ein paar Fragen zu verschiedenen Themen, ein Algorithmus findet eine/n Teilnehmer:in an der Umfrage, die andere Ansichten hat. Beide Teilnehmer:innen werden um ihr Einverständnis zur Kontaktaufnahme gebeten, ein Gespräch – persönlich oder online – findet im September statt. Ich habe an diesem Projekt schon einmal teilgenommen, ein Kontakt kam zustande, wurde aber schnell wieder beendet, weil die Ansichten über den Ukraine-Krieg zu unterschiedlich waren. Aber die Idee ist gut: Kontakte mit Andersdenkenden wahrnehmen.

Zu neuen Ufern

Es wäre wichtig, Wege zu finden, die die Feindseligkeit zwischen den politischen Lagern vermeiden.

Ein solcher Weg wäre eine Bewegung, ähnlich wie die OMAs GEGEN RECHTS, die sich um die Nöte von Kindern kümmert. Oldies for Kids, so der Name, wäre auch für Männer offen. Welchen Problemen sollte sich eine solche Initiative widmen?

Im Inland sehen wir ein hohes Maß an Kindern in Armut, eine gescheiterte Kindergrundsicherung, eine infolge des Personalmangels katastrophale Situation in Kitas und Grundschulen (3). Außerdem erleiden Kinder physische und psychische Gewalt im Nahbereich. Professionelle im Sozial- und Bildungsbereich sind völlig überfordert. Wir haben genügend Baustellen in Deutschland und Europa. Da wir in EINER Welt leben, geht uns auch das Schicksal von Kindern außerhalb unserer Grenzen etwas an. Und wie wir im Israel-Palästina- Konflikt sehen, schwappen irgendwann die Konflikte der Welt in unser Land. Es macht Sinn, Stellung zu nehmen.

In ausländischen Krisengebieten sind die Lebensverhältnisse von Kindern unerträglich. In der Ukraine, in Gaza, im Sudan und im Jemen erhalten Kinder nicht genügend Nährstoffe und werden zu dauerhaft Behinderten, Tausende und Abertausende sterben an Hunger, durch militärische Gewalt, an den Auswirkungen des Klimawandels. Oder sie werden in Lagern zu Gewalt konditioniert (vgl. Dörries 2024).

In totalitären Staaten werden Kinder jeglicher freien Meinungsbildung beraubt und müssen sich, wie auch ihre Eltern, dem Druck zur Anpassung beugen. Sie erleben außer der eigenen Reglementierung die Angst der Eltern vor kritischem Denken und Sprechen.

Dies alles sind Probleme, die gen Himmel schreien. Viele Organisationen kümmern sich in Deutschland darum: Deutsches Kinderhilfswerk, Kinderschutzbund, UNICEF Deutschland in Kooperation mit der Deutschen Liga für das Kind. Oldies for Kids würde andere Aktionsformen wählen, die auf einer direkten Partizipation aller Teilnehmer:innen beruhen, ohne eine Vereinstätigkeit anzustreben. Außerdem sollte Oldies for Kids die internationalen Entwicklungen im Auge haben.

Sich für Kinder zu engagieren, würde für Menschen unterschiedlicher Herkunft und politischer Ausrichtung ein gemeinsames Anliegen bedeuten. Eine solche Bewegung hätte den Vorteil, dass sie Menschen miteinander ins Gespräch bringen würde. Man wird sehen, ob eine solche Bewegung Anhänger:innen findet – und die Welt besser machen kann.

Der Beitrag ist auch auf Hilde von Ballusecks Blog zu finden.


Anmerkungen

(1) Die Fragestellung dieses Artikels hat mich schon in dem Artikel https://hildevonballuseck.wordpress.com/2023/07/26/strategien-gegen-rechts/ beschäftigt. Vor einem Jahr glaubte ich, die Rechtsradikalen durch eine Auseinandersetzung mit ihnen in den Social Media schwächen zu können.

(3) Ebenso grobkörnig ist die Folgerung, die Mau in seinem Artikel (2024) über die Ostdeutschen zieht. Er meint, statt über den Verlust der Identität durch die Wiedervereinigung zu lamentieren, sollten sie lieber ihre Vergangenheit aufarbeiten. Dabei sieht der Westdeutsche nicht, dass ihnen die Aufarbeitung aufgrund des Verlusts ihrer Identität schwer fällt (wenn es denn Menschen sind, die nicht ohnehin in den Westen geflüchtet oder umgezogen sind oder Sprecher:innen der Regimekritiker:innen wurden.) Überzeugender ist das Argument, wenn Biermann es anführt (https://www.zeit.de/kultur/2024-08/wolf-biermann-ostdeutschland-sahra-wagenknecht-afd-interview).

(3) Jedes Jahr verlassen ca. 50.000 junge Menschen die Schule ohne Abschluss (https://deutsches-schulportal.de/schule-im-umfeld/nationaler-bildungsbericht-mehr-schulabbrecher-und-fachkraeftemangel/)

Quellen

2024.DJI. Arbeitsstelle Kinder- und Jugendkriminalitätsprävention. Zahlen-Daten-Fakten. Jugendgewalt. Aktualisierung Mai 2024. https://www.dji.de/fileadmin/user_upload/dasdji/publikationen/Brosch%C3%BCren_2024/DJI_Zahlen-Daten-Fakten-Jugendgewalt_Mai_2024-1.pdf

2024 Deutsches Schulportal: https://deutsches-schulportal.de/schule-im-umfeld/nationaler-bildungsbericht-mehr-schulabbrecher-und-fachkraeftemangel/

2024.DJI. Arbeitsstelle Kinder- und Jugendkriminalitätsprävention. Zahlen-Daten-Fakten. Jugendgewalt. Aktualisierung Mai 2024. https://www.dji.de/fileadmin/user_upload/dasdji/publikationen/Brosch%C3%BCren_2024/DJI_Zahlen-Daten-Fakten-Jugendgewalt_Mai_2024-1.pdf
2024 Deutsches Schulportal: https://deutsches-schulportal.de/schule-im-umfeld/nationaler-bildungsbericht-mehr-schulabbrecher-und-fachkraeftemangel/
2024. Dörries, Bernd: „Wir müssen die Kinder da rausholen“. SZ vom 2.8.24
2024. Lau, Mariam. Interview mit Ivan Krastev: Haben die Linken ihre Stimme verloren? Die Zeit Nr. 33/24
2024. Manow, Philip. Interview in Süddeutsche Zeitung vom 8. Juli. „Wir können die Wälle nicht immer höher ziehen“
2023. Mau, Steffen, Thomas Lux, Linus Westheuser: Triggerpunkte. Konsens und Konflikt in der Gegenwartsgesellschaft. Berlin: Suhrkamp
2024. Mau, Steffen: Oststolz und Osttrotz. Die Fallstricke der ostdeutschen Identität. In: Blätter für deutsche und internationale Politik 7: 93-102
2024. Schwenkenbecher, Jan: Warum die psychische Krise der Jugendlichen so bedrohlich ist. Zeit Online 14. August .
2024. Ziegler, Robert Hugo: Die Sylter Pfingstgemeinde und der grenzenlose Spaß. Rassismus wird Pop. In: Merkur, 78: 5-20. https://www.merkur-zeitschrift.de/artikel/die-sylter-pfingstgemeinde-und-der-grenzenlose-spass-a-mr-78-8-5/

DANK an Christiane und Marion für hilfreiche Korrekturvorschläge.

Der Originalartikel kann hier besucht werden