Pluriversum ist eine Reihe von Beiträgen aus dem gleichnamigen Buch, gewidmet all jenen, die für das Pluriversum kämpfen, indem sie sich gegen Ungerechtigkeit wehren und nach Wegen suchen, in Harmonie mit der Natur zu leben. Die Welt, die wir wollen, ist eine Welt in die viele Welten passen. Die Einführung zur Serie gibt es hier und die Entstehungsgeschichte hier.

von Ulrich Brand und Miriam Lang

Die Idee der Grünen Wirtschaft beinhaltet ein dreifaches Versprechen: die Überwindung der ökonomischen Krise, der ökologischen Krise und die Linderung von Armut (UNEP 2011). In der Debatte um eine Grüne Wirtschaft lassen sich entscheidende Gemeinsamkeiten erkennen: Ihre Ziele sind ein kohlenstoffarmer Produktionsprozess, Ressourceneffizienz, grüne Investitionen, technologische Innovation und mehr Recycling, grüne Arbeitsplätze, Armutsbekämpfung und soziale Inklusion. Als Mittel zur Umsetzung dieser Ziele wird ein ‚angemessener‘ politischer Rahmen genannt, der in der Lage ist, externe Kosten zu internalisieren sowie nachhaltigen Konsum, umweltfreundliche Unternehmen und Steuerreformen zu fördern. Im Jahr 2011 entwickelte die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) eine ‚Strategie für grünes Wachstum‘, die Innovation als Mittel zur Abkopplung des Wachstums von der Erschöpfung von Naturressourcen hervorhebt. Die Europäische Kommission versuchte, einen Plan für nachhaltiges Wachstum zu entwickeln, der eine ökologische und gleichzeitig wettbewerbsfähige Marktwirtschaft durch die Verringerung des Ressourcenverbrauchs und eine Steigerung der Ressourceneffizienz fördert.

Befürworter*innen behaupten außerdem, dass eine Welle faszinierender technologischer Innovationen eine neue wirtschaftliche Wachstumsperiode verspricht. Eine Strategie gegen die zunehmende Umweltzerstörung besteht darin, den wirtschaftlichen Wert der Natur anzuerkennen, indem sie mit einem Preis versehen wird. Man geht davon aus, dass die Natur geschützt werden wird, wenn sie als ‚Naturkapital‘ in die betriebswirtschaftliche Kalkulation einbezogen wird (Salleh 2012, Brand/Lang 2015, Fatheuer et al. 2016).

Das von der Konferenz für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen (Rio+20) im Jahr 2012 als neues globales Paradigma propagierte Konzept der Grünen Wirtschaft ist auch wegen seiner blinden Flecken stark umstritten. Wie die nachhaltige Entwicklung ist auch die Grüne Wirtschaft ein Widerspruch in sich, weil hier ganz unterschiedliche, ja sogar widersprüchliche Interessen und Strategien für wirtschaftliches Wachstum und den Schutz der Natur gebündelt werden. Dieser Ansatz dient letztlich dazu, internationale Politik zu legitimieren.

Ein zentraler Kritikpunkt an der Grünen Wirtschaft ist ihr Fokus auf Wachstum, was de facto eine materielle Steigerung der Ressourcenentnahme für die Produktion von Waren und Dienstleistungen bedeutet. Dieses misst sich in Geld und folgt der Logik von Profit und Kapitalakkumulation. Wer die Produkte herstellt und unter welchen Bedingungen, ist zweitrangig. Darüber hinaus stellen die Regierungen der wirtschaftlich mächtigen Länder die westliche, imperiale Produktions­ und Lebensweise nicht in Frage (Brand/Wissen 2012) und halten an einer Form der kapitalistischen Globalisierung fest, die auf Liberalisierung und Deregulierung beruht. Der Wettbewerb um Weltmarktanteile und das Ziel des Wirtschaftswachstums stehen im Vordergrund. Für die Wirtschaft ist eine kurze Lebensdauer von rohstoffintensiven Produkten oft profitabler als die umweltfreundliche Produktion von hochwertigen Gütern.

Strategien für eine Grüne Wirtschaft bleiben innerhalb der kapitalistischen Rationalität. Die Logik der kontinuierlichen Ausrichtung an neuen Investitionen, am Profit und an der Dynamik des Wettbewerbs wird nicht in Frage gestellt. Grüne Wirtschaft richtet sich nicht gegen kapitalintensiven Bergbau, groß angelegte Infrastrukturprojekte, teure Offshore­Windparks oder den Emissionshandel. Sehr oft werden Umweltprobleme nicht gelöst, sondern nur verlagert. Ein Beispiel dafür wäre, wenn Autos in Europa mit ‚erneuerbaren‘ Agrotreibstoffen betrieben werden, während Kleinbäuer*innen in Indonesien ihre Lebensgrundlage entzogen wird, weil Regenwälder gerodet werden, um Palmölplantagen anzulegen.

Geschlechterperspektiven und ihr Fokus auf soziale Reproduktion und reproduktive Arbeit fehlen weitgehend in der Debatte um eine Grüne Wirtschaft, deren Verfechter*innen in der Regel die kapitalistische Marktwirtschaft meinen, also Güter und Dienstleistungen, die als Ware produziert und verkauft werden. Im Gegensatz dazu konzentrieren sich feministische Ökonominnen auf alltägliche, nicht­marktförmige Aktivitäten, die gesamtgesellschaftliches Wohlergehen generieren, und auf qualitative Bedingungen wie den Spielraum und die Fähigkeit zu selbstbestimmtem Handeln oder darauf, mehr Verfügungsgewalt über die eigene Zeit zu haben (Biesecker/ Hofmeister 2010). Darüber hinaus betonen Ökofeministinnen den Schutz der globalen Ressourcen durch die Wahl eines einfachen, ökologisch angemessenen Lebensstils.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Vorschläge für eine Grüne Wirtschaft das Risiko in sich tragen, die irreführende kapitalistische Inwertsetzung der Natur zu verstärken. Als Antwort auf die Umweltzerstörung in einigen Teilen der Welt bleiben sie auf die Bedürfnisse von Konzernen und der Reichen ausgerichtet und ermöglichen die Stabilisierung der kapitalistischen, patriarchalen und imperialen Produktions­ und Lebensweise.

Um die genannten vorherrschenden Dynamiken auf kritische Weise zu verstehen, schlagen wir vor, von Grünem Kapitalismus statt von Grüner Wirtschaft zu sprechen. Dieses alternative Konzept verweist auf die historische Entstehung einer neuen kapitalistischen Formation, die den alten, krisengeschüttelten ‚postfordistisch­neoliberalen‘ Entwicklungsmodus und sein finanzdominiertes Akkumulationsregime ablöst. In Ländern wie Deutschland oder Österreich könnte grünes Kapital stärker werden und traditionelle Branchen wie die Autoindustrie könnten grüner werden. Ein ‚grüner‘ Machtblock, ein ‚grüner‘ Staat und ein ‚grüner‘ Korporatismus – unter Einbindung von Arbeitnehmer*innen und Gewerkschaften – wären Teil einer solchen Stabilisierung, die mit kapitalistischen Imperativen wie Wirtschaftswachstum und Wettbewerbsfähigkeit und mit Verteilungsspielräumen für Unternehmen und staatliche Institutionen vereinbar wäre. Sicherlich wird sich eine grün­kapitalistische Gesellschaftsformation nur in einigen Ländern und Regionen herausbilden; sie wird sehr exklusiv und – angesichts der Externalisierung von Kosten in andere Weltregionen – keineswegs umweltfreundlich sein. In der Tat bedeutet Grüner Kapitalismus in einigen Teilen der Welt eine fortgesetzte Oligarchisierung der imperialen Lebensweise.

Übersetzung ins Deutsche von Hannelore Zimmermann.

Pressenza veröffentlicht in einer Reihe Auszüge aus „Pluriversum: Ein Lexikon des Guten Lebens für alle“ mit freundlicher Genehmigung der Herausgeber und unter Creative Commons Lizenz: CC-BY-NC-ND. Das Buch ist als PDf-Datei unter agspak.de/pluriversum kostenlos abrufbar.

Alle Beiträge in der Reihe Pluriversum gibt es hier.

Weitere Quellen

Biesecker, Adelheid and Sabine Hofmeister (2010), ‚(Re) productivity: Sustainable Relations Both between Society and Nature and between the Genders‘, Ecological Economics. 69 (8): 1703–11.

Brand, Ulrich and Markus Wissen (2012), ‚Global Environmental Politics and the Imperial Mode of Living: Articulations of State–Capital Relations in the Multiple Crisis‘, Globalizations. 9 (4): 547–60.
— (2015), ‚Strategies of a Green Economy, Contours of a Green Capitalism‘, in Kees van der Pijl (ed.), The International Political Economy of Production. Cheltenham: Edward Elgar.

Fatheuer, Thomas, Lili Fuhr and Barbara Unmüßig (2016), Inside the Green Economy: Promises and Pitfalls. München: Oekom. (deutsch: Kritik der Grünen Ökonomie. München: Oekom 2015.

Salleh, Ariel (2012), ‚Rio+20 and the Extractivist Green Economy‘, Arena. 119: 28–30.

United Nations Environment Programme (UNEP) (2011), Towards a Green Economy: Pathways to Sustainable Development and Poverty Eradication. Paris and Nairobi: UNEP.


Ulrich Brand ist Professor für Internationale Politik an der Universität Wien. Seine Forschungs­ und Lehrschwerpunkte sind globale Umwelt­ und Ressourcenpolitik, sozialökologische Transformation, Lateinamerika und die ‚imperiale Lebensweise‘. Er war Mitglied der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages ‚Wachstum, Wohlstand und Lebensqualität‘ (2011­13) und ist derzeit Mitglied der Ständigen Arbeitsgruppe ‚Alternativen zur Entwicklung‘ der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Miriam Lang lehrt Sozial­ und Globalstudien an der Universidad Andina Simón Bolívar in Quito, Ecuador. Sie forscht zu Systemalternativen, Entwicklungskritik und den Überschneidungen von Interkulturalität, Gender und gesellschaftlichen Beziehungen zur Natur. Von 2011 bis 2015 war sie im Auftrag der Rosa-Luxemburg-Stiftung Koordinatorin der Ständigen Arbeitsgruppe ‚Alternativen zur Entwicklung‘.

Der Originalartikel kann hier besucht werden