Daniela Gschweng für die Onlinezeitung INFOsperber
Von der kleinen Pazifiknation Vanuatu hört man meistens dann, wenn es um Länder geht, die der steigende Meeresspiegel in nicht allzu ferner Zukunft auslöschen wird. Die meisten Menschen müssen nachsehen, wo Vanuatu liegt. Bilder von dort zeigen meist Pazifikinseln, wie man sie sich erträumt: einsame, weisse und saubere Strände. Fische in klarem, blauen Wasser.
Von dem äusserst erfolgreichem Kampf gegen Plastikmüll, den die Regierung seit sechs Jahren führt, ist selten die Rede.
Schlechte Voraussetzungen, Riesenerfolg
In Vanuatu kommen mehrere Umstände zusammen, die auch in anderen Inselnationen Abfallberge garantieren: Das Land ist weitläufig, hat wenig personelle und finanzielle Ressourcen und kaum Möglichkeiten, ein sinnvolles Recycling oder wenigstens eine zentrale Abfallverwertung zu organisieren.
Vanuatu besteht aus 83 Inseln. Auf etwa 70 davon verteilen sich nach jüngsten Schätzungen 342’000 Einwohner. Die anderen sind nicht bewohnt. 49’000 Personen leben in der Hauptstadt Port Vila. Abfall wird häufig verbrannt oder deponiert, wenn überhaupt. Jeden Tag erreichen mehrere Tonnen Plastikverpackungen die Insel, denn der Inselstaat ist in seiner Versorgung stark von Importen abhängig. Und der Pazifik schwemmt ständig neues Plastik an.
Von glasklarem Wasser zu Plastikinseln in der Bucht
Das war einmal anders. Ken Andrew, ein lokaler Häuptling, der in Erakor in der Nähe der Hauptstadt lebt, erinnert sich, dass die Leute früher ihre Freizeit damit verbrachten, in der örtlichen Lagune zu schwimmen. Als Kind habe er dort Fische gejagt, die in der Lagune laichten.
Heute ist das Schwimmen wegen Verschmutzung verboten. Andrew, der jetzt 52 Jahre alt ist, konnte zusehen, wie sich mit der Zeit immer mehr Abfall sammelte. «Das Plastik bildete eine kleine Insel in der Lagune, so viel war es», berichtet er dem «Guardian». Die Einwohner hätten versucht, es mit Netzen herauszuholen, aber es sei einfach zu viel gewesen.
Anders als viele andere Geschichten über Umweltverschmutzung endet diese damit nicht. Das Wasser werde wieder sauberer, sagt Andrews. Die Verschmutzung gehe zurück. Vielleicht ist es dank des entschlossenen Handelns der Regierung Vanuatus und der Unterstützung der seiner Bevölkerung in einigen Jahren wieder möglich, in der einst glasklaren Lagune zu schwimmen.
Der Wendepunkt war eine Petition
Der Wendepunkt kam 2017. Vanuatus grösstes Pech war zugleich sein Glück: Das meiste Plastik kommt von aussen. In Folge einer Petition, die forderte, die allgegenwärtigen Plastiksäcke zu verbieten, verbot Vanuatu im Juli 2018 nicht nur Einwegplastiktüten, sondern auch Take-Away-Boxen aus Styropor und Plastikstrohhalme. Die Inselnation war damit eines der ersten Länder mit einem Plastikverbot.
Im Dezember 2019 kamen Plastikgeschirr und -besteck, Plastiknetze für Lebensmittel, Eierkartons aus Plastik und Plastikblumen dazu. Wer sich nicht an das Verbot hält, dem droht eine empfindliche Strafe von 20’000 Vatu (154 Franken).
Was wohl eher eine theoretische Möglichkeit ist. «Es ist ziemlich schwierig, die Vorschriften durchzusetzen, weil die Umweltbehörde nur über sehr geringe Kapazitäten verfügt», sagt Ralf Regenvanu, der unter anderem Umwelt-, Klima- und Aussenminister Vanuatus ist, gegenüber dem «Guardian».
Ein äusserst erfolgreiches Verbot
Laut einer Organisation, die seit 2015 Clean-Ups (Aufräumaktionen) in Vanuatu durchführt, ist der Anteil der eingesammelten verbotenen Plastikgegenstände zwischen 2018 und 2023 von 25 auf zwei Prozent gesunken.
Kurze Plastikstrohhalme, die an kleinen Saft- und Milchtüten befestigt sind, gelangten weiter in die Umwelt, ebenso wie die kleinen Plastikgabeln, die manchmal in Nudelpackungen zu finden seien, erklärt die Organisation die Restmenge.
Der Plastikbann hat zu Veränderungen geführt. Plastiksäckli findet man auf den Inseln kaum noch. Auch keine dünnen Raschelsäckchen, die in Deutschland als Ausnahme zum 2022 eingeführten Verbot gelten.
Viele weben ihre Taschen nun selbst
Bei Veranstaltungen, die draussen stattfinden, wird Essen öfter in Bananenblättern statt in Kunststoffboxen verkauft. Auf dem Markt gibt es kaum noch Plastiktaschen oder -behälter, stattdessen nachhaltigere Alternativen. Nur Fischer sind vom Verbot ausgenommen und dürfen ihre Waren in Plastik verpacken.
Die Marktfrau Anna George berichtet, dass viele Verkäuferinnen und Verkäufer nun ihre eigenen Taschen aus Kokos- oder Pandanusblättern weben. Dieses Handwerk hat eine lange Tradition auf den Inseln. Dennoch findet sie: «Es gibt nichts Besseres als Plastik».
Neben Weberei sind noch andere Sekundärindustrien entstanden. Auf der Insel Pentecost hätten die Gemeinden damit begonnen. Pflanzenkübel aus Plastik durch biologisch abbaubare Gefässe aus Pandanusblättern zu ersetzen, berichtet der «Guardian». Ein soziales Unternehmen, das vor dem Verbot Damenbinden aus Stoff verkaufte, hat sein Angebot inzwischen auf Stoffwindeln, Masken und Taschen ausgeweitet.
Plastikflaschen sind noch immer erlaubt
Die Umstellung sei anfangs nicht einfach gewesen, sagt eine Marktfrau in einer BBC-Dokumentation vom Oktober 2023. Dennoch wünscht sie sich, dass auch Plastikflaschen verboten werden. «Am besten wäre es, wir würden nur noch lokale Produkte verwenden», sagt sie. Die BBC zeigt Körbe aus geflochtenen Blättern, aus denen auf dem Markt Gemüse verkauft wird
Nicht immer ist es so einfach. Neben Plastikflaschen gibt es viele Verpackungen, bei denen die Einwohner Vanuatus von den Herstellern abhängig sind. «Der grösste Teil des Plastikmülls stammt heute aus Nudel-, Reis- oder Kekspackungen», sagt der Leiter einer lokalen Jugendgruppe, die regelmässig Abfall aus dem Meer fischt.
Die Regierung Vanuatus plant schon die nächsten Schritte. Etwa, das Plastikverbot auf Wegwerfwindeln auszuweiten und ein Pfandsystem für Plastikflaschen einzuführen.