Pluriversum ist eine Reihe von Beiträgen aus dem gleichnamigen Buch, gewidmet all jenen, die für das Pluriversum kämpfen, indem sie sich gegen Ungerechtigkeit wehren und nach Wegen suchen, in Harmonie mit der Natur zu leben. Die Welt, die wir wollen, ist eine Welt in die viele Welten passen. Die Einführung zur Serie gibt es hier und die Entstehungsgeschichte hier.

von George C. Caffentzis

Da Entwicklung dazu führt, dass digitale Werkzeuge in fast allen Bereichen des täglichen Lebens eingesetzt werden, wurde der Ausdruck „Blutcomputer“ geprägt. Die Analogie zu „Blutdiamanten“ ergibt sich aus den zunehmenden Hinweisen auf die Blutspur, die die Computerproduktion nach sich zieht. Konkreter ist die Verbindung zwischen einigen digitalen Unternehmen und Milizen, die für die Vertreibung und Ermordung von Millionen von Menschen in der Demokratischen Republik Kongo verantwortlich sind. Der Begriff geht auf einen Bericht zurück, der im Jahr 2009 von der in England ansässigen NGO Global Witness veröffentlicht wurde: „Faced with a Gun: What Can You Do?“ (Angesichts einer Waffe: was kannst du tun?). Darin wurden Bergbau­, Metall­ und Elektronikunternehmen beschuldigt, stillschweigende Komplizen der Gewalt bewaffneter Gruppen zu sein, die vor allem in den mineralienreichen Provinzen Nord­ und Süd­Kivu operieren und „häufig Zivilisten zum Abbau der Mineralien zwingen, Steuern erpressen und sich weigern, Löhne zu zahlen“ (Dias 2009).

Coltan, ein Mineral, das für die Herstellung von Smartphones und Laptops benötigt wird, ist von besonderer Bedeutung. Der Zweck des Berichts von Global Witness und anderer darauf folgender Berichte war es, Verbraucher*innen und Behörden zu alarmieren und auf die Notwendigkeit schärferer Kontrollen des Prozesses aufmerksam zu machen, durch den solche abgebauten Mineralien den internationalen Markt und die Käufer*innen erreichen. Infolge von Kampagnen, die 2010 unter dem Motto „Kein Blut für mein Handy“ organisiert wurden, verabschiedete der US­Kongress ein Gesetz, das auch als Dodd-Frank-Gesetz bekannt ist und die Unternehmen zur Offenlegung der Herkunft von Mineralien verpflichtete. Es wird eingeräumt, dass es so etwas wie konfliktfreie Telefone oder Computer nicht gibt, weil die „Kanäle, durch die Coltan zirkuliert, … labyrinthisch und häufig geheim sind“ (Brophy und de Peuter 2014: 63).

Weitergehende Fragen zum Stellenwert digitaler Werkzeuge in der sozialen Produktion und in sozialen Kämpfen werden von Bewegungen für soziale Gerechtigkeit jedoch nicht ausreichend thematisiert. Allzu oft wird die digitale Technologie unkritisch als zentrales Organisationsinstrument gepriesen, das Aktivist*innen auf der ganzen Welt verbindet und schnelle, effektive Mittel zur Debatte und Mobilisierung bietet, wobei die ökologischen und sozialen Kosten der Produktion wenig oder gar nicht erwähnt werden. Wie der Theoretiker Saral Sarkar in Eco-Socialism or Eco-Capitalism? feststellte, ist die digitale Produktion eine ökologische Katastrophe: „Die Tatsache, dass Computer und die meisten elektronischen Geräte immer kleiner werden, ist auch ein Nachteil für die Umwelt. Solche Produkte sind hochkomplex und enthalten einen Mix aus verschiedenen Materialien. Die Miniaturisierung macht es immer schwieriger, manchmal unmöglich, diese Materialien zu trennen, und das ist ein Hindernis für das Recycling“ (Sarkar 1999: 128). Er fügte hinzu, dass allein in Deutschland jährlich 120.000 Tonnen Computerschrott anfallen, die alle hochgiftige Stoffe enthalten.[1]

Ein Schlüsselelement der selbstgefälligen ideologischen Aura, die die Computerindustrie ausstrahlt, ist ihre angebliche ‚Sauberkeit‘. Sprecher*innen der Computerindustrie stellen ihre industrielle Revolution der Information und Entmaterialisierung immer wieder dem schmutzigen Zeitalter der Dampfmaschinen und Verbrennungsmotoren mit Kohle und Öl gegenüber. Diese Ideologie ist ein unbeabsichtigtes Geschenk des ursprünglichen Theoretikers des Computers, Alan Turing, der in den 1930er Jahren den Computer in völlig abstrakten Begriffen beschrieb. In diesem Rahmen konnte er zeigen, dass es interne Grenzen für die Rechenleistung gibt, das heißt, es gibt Zahlen, die von keinem Computer berechnet werden können. Doch Turing war es vollkommen gleichgültig, woher die Materialien stammten, aus denen ein Computer besteht, was die Quelle seiner freien Energie war und was mit der Abwärme geschehen soll, die sein Betrieb erzeugen würde. Wie Charles Bennett schrieb, „kann man sich Computer als Motoren vorstellen, die freie Energie in Abwärme und mathematische Arbeit umwandeln“ (Gleick 2011: 360). Der Bedarf an freier Energie und die damit verbundene Abwärme nehmen unweigerlich zu, da der Einsatz von Kommunikations­ und Computertechnologie mehr denn je zuvor in den Produktions­ und Reproduktionszyklus des kapitalistischen Systems integriert ist.

Die Tatsache, dass digitale Elektronikprodukte eine Spur der Zerstörung hinterlassen, wird auch durch die notorisch ausbeuterischen Bedingungen, unter denen sie produziert werden, bestätigt. Die Arbeiter in den Foxconn­Werken auf dem chinesischen Festland – dem größten Computerhersteller der Welt – haben oft mit Selbstmord gedroht, um gegen lange Arbeitszeiten und Hungerlöhne zu protestieren. Natürlich wurden digitale Werkzeuge auch eingesetzt, um politische Kämpfe auf der ganzen Welt zu unterstützen (Brophy und de Peuter 2014: 66). Wissenschaftler­ und Aktivist*innen sollten jedoch davon absehen, die Digitalisierung zu feiern, ohne die Bedingungen zu berücksichtigen, unter denen ihre Technologien produziert werden. Es ist zum Beispiel unhaltbar, einfach problemlos zu behaupten – wie es einige radikale Kreise tun –, dass das Internet eine neue Art von Gemeingut darstellt, solange seine materielle Produktion auf der Zerstörung vieler natürlicher Commons, der Enteignung und toxischen Verseuchung riesiger Landflächen und der Vertreibung oder Ermordung derjenigen, die einst dort lebten, beruht.

Diese Bedenken sind besonders wichtig, da die Frage der Technologie für alle transformativen Projekte des 21. Jahrhunderts von zentraler Bedeutung ist. Es ist wesentlich, eine umfassende Perspektive auf die Frage der Computer zu entwickeln, indem sowohl die Bedingungen ihrer Herstellung als auch die Auswirkungen ihrer Nutzung untersucht werden. Ein Leitfaden in diesem Prozess sollte die Erkenntnis sein, dass die kapitalistische Technologie historisch gesehen geschaffen wurde, um den Kampf der Arbeiterklasse zu kontrollieren und bestehende Organisationsformen an der Basis des Widerstands der Arbeiterklasse zu zerstören. Die Digitalisierung kann nicht einfach angeeignet und auf andere Ziele ausgerichtet werden.

Übersetzung ins Deutsche von Elisabeth Voß.

Pressenza veröffentlicht in einer Reihe Auszüge aus „Pluriversum: Ein Lexikon des Guten Lebens für alle“ mit freundlicher Genehmigung der Herausgeber und unter Creative Commons Lizenz: CC-BY-NC-ND. Das Buch ist als PDf-Datei unter agspak.de/pluriversum kostenlos abrufbar.

Alle Beiträge in der Reihe Pluriversum gibt es hier.

Anmerkung

[1] Für 2019 ermittelte der Globale E­Waste­Monitor für Deutschland knapp 2 Mio. Tonnen Elektroschrott. (Anm. d. Übers.)

Weitere Quellen

Brophy, Enda and Greig de Peuter (2014), Labor Mobility: Communicative Capitalism and the Smartphone Cybertariat‘. In: Andrew Herman, Jan Hadlaw and Thomas Swiss (eds), Theories of the Mobile Internet: Materialities and Imaginaries. New York: Routledge.
Dias, Elizabeth (2009), First Blood Diamonds Now Blood Computers?, Time Magazine. http://www.time.com/time/world/article/08599%2C1912594%2C00.html (unter dieser Internetseite nicht mehr abrufbar, Stand 20.05.2023)
Gleick, James (2011), The Information: A History, A Theory, A Flood. New York: Vintage Books. (deutsch: Geschichte, Theorie, Flut. München: Redline Verlag, 2011)
Sarkar, Saral (1999), Eco-Socialism or Eco-Capitalism? A Critical Analysis of Humanity’s Fundamental Choices. London: Zed Books. (deutsch: Die nachhaltige Gesellschaft: eine kritische Analyse der Systemalternativen. Zürich: Rotpunktverlag, 2001).


George C. Caffentzis ist emeritierter Professor am Fachbereich Philosophie an der University of Southern Maine, Portland, und Autor von In Letters of Blood and Fire: Work, Machines, and the Crisis of Capitalism (2013) und No Blood for Oil: Essays on Energy, Class Struggle and War 1998-2016 (2017).

Der Originalartikel kann hier besucht werden