Unsere Demokratie wird von inneren und äußeren Feinden bedrängt. Höchste Zeit, diese zu verteidigen, meint Ruprecht Polenz und fordert dazu auf, mehr zu tun, damit wir weiter ein freies und selbstbestimmtes Leben führen können. Sein Buch will ein Mutmacher sein.

Von Helmut Ortner

Wir leben im permanenten Krisenmodus. Alte Gewissheiten verlieren ihre Gültigkeit, etwa die vom steten Wachstum, Frieden und Wohlstand. Krisen sind in der modernen Gesellschaft kein Ausnahmefall, sondern der Normalzustand. Die einzige verlässliche Erwartung an die Zukunft besteht darin, dass noch weitere Krisen auf uns zukommen: Krieg, Flucht, Klima. Kurzum: Wir leben in einer fragilen Wirklichkeit. Politiker und Parteien verlieren an Vertrauen, auch die tragenden politischen und parlamentarischen Institutionen. Wo Vertrauen aber fehlt, entsteht Enttäuschung, Rückzug, Ignoranz und Teilnahmslosigkeit. Kein guter Zustand, denn unsere Demokratie lebt auch von der Hoffnung, dass Dinge besser werden. Der Verlust von Zukunftsglauben ist ein Problem für die Demokratie.

Demagogen, Populisten Verschwörungs-Erzähler und Untergangs-Propheten aller Couleur erkennen und nutzen ihre Chance, die Demokratie zu schwächen. Sie zeichnen ein Bild einer kaputten Republik, die von Eliten okkupiert wird. Sie geloben, diesen Beutezug zu beenden, so wie Hubert Aiwanger, der bei einer Demonstration im bayrischen Erding gegen die »Berliner Politik« ankündigte, »sich die Demokratie zurückzuholen…«. Ob Aiwanger oder AFD-Politiker wie Höcke oder Weidel: unisono nehmen sie für sich in Anspruch, für das »wahre Volk« zu sprechen. Sie halten sich nicht für Anti-Demokraten, sondern für die «wahren« Demokraten im Land.

Populisten – gleich von rechts oder links – überhöhen die Probleme der Demokratie, zu Identitäts- und Existenzfragen. Kritik als Schicksalskampf zur Rettung der Nation: gegen das Fremde, gegen die Eliten, die Medien, gegen die »Alt-Parteien« und »die da oben«. Ein bewährtes Muster. »Sie kreieren Schicksalsgemeinschaften und kostümieren sich als Retter des Abendlandes, als Verfechter des Normalen“, konstatiert der Kölner Politikwissenschaftler Marcel Lewandowksi (in: seinem gerade erschienenem Buch »Was Populisten wollen«, Kiepenheuer & Witsch). Sie nutzen die demokratischen Errungenschaften und Rechte, um diese zu bekämpfen.

»Es braucht jetzt die Bereitschaft des Einzelnen, unsere Demokratie zu verteidigen. Nicht zuschauen, sondern engagieren. Kurzum: Sich trauen!«

Für den Ruprecht Polenz sind Populisten Demokratie-Feinde. Für ihn ist „Demokratie nichts Selbstverständliches“, sondern eine andauernde Herausforderung, die von Teilnahme und Teilhabe lebt, von Verpflichtung und Verantwortung. Nach vierzig Jahren in der Politik, davon fast zwanzig im Bundestag, könnte er es sich inzwischen gemütlich machen. Doch der CDU-Politiker wirft sich noch immer gerne in die politische Diskussion. Seit Jahren engagiert er sich gegen Rechtsextremismus und gegen Demokratie-Verachtung. Er gilt als „liberales Gewissen der Union“, als einer, der sich einmischt. Und seine Meinung ist gefragt. Auf Facebook und X folgen ihm über 100.000 Menschen. Hier tritt er rechtsextremen Schwurblern und Demokratieverächtern seit Jahren energisch entgegen. Polenz ist ein Demokratie-Influencer im Dienst von Freiheit und Vielfalt, seine Posts in den sozialen Medien werden täglich tausendfach kommentiert.

Nun hat er ein Buch geschrieben in dem er uns zuruft: Es reicht heute nicht mehr, die Demokratie als gegeben hinzunehmen – tut etwas, um sie zu verteidigen! Sein Anliegen: es braucht jetzt die Bereitschaft des Einzelnen, unsere Demokratie zu verteidigen. Sein Appell: Nicht zuschauen, sondern engagieren. Kurzum: Sich trauen!

Der mittlerweile 78-jährige ehemalige CDU-Generalsekretär ist kein Zuschauer, der aus dem moderaten Hochsitz eines ehemaligen Berufspolitikers wohlfeile Ratschläge gibt. Stattdessen stürzt er sich mit Verve, in die Niederungen politischer und gesellschaftlicher Realität und beschreibt knapp und verständlich, was wir an der Demokratie haben, was sie uns wert sein sollte – und wir sie schützen und müssen. Verständlich und empathisch vermittelt in seiner kurzen Intervention den Wert unserer Staats- und Gesellschaftsform und benennt mehr als ein Dutzend konkrete Möglichkeiten, um sich politisch zu engagieren. Die Widerstandsfähigkeit der Demokratie, sagt er, beginnt bei uns zu Hause. Es ist Zeit zum Handeln, denn: „Innere und äußere Feinde untergraben systematisch unser Vertrauen in die Demokratie.“

Ruprecht Polenz weiß, gegen die Erosion demokratischer Errungenschaften gibt es keine »Wunderwaffe«. Es ist ein beständiger, mitunter mühsamer Weg. Sein Buch ist ein ebenso kluger wie knapper Leitfaden zur Verteidigung der offenen, demokratischen Gesellschaft, ein leidenschaftlicher Appell, der uns auffordert zu handeln und ins Gewissen redet. Ein wichtiges Buch.


Ruprecht Polenz

Tu Was! Kurze Anleitung zur Verteidigung der Demokratie

C.H. Beck Verlag, 108 Seiten, 12 Euro