Sea Watch ist eine deutsche NGO, die sich insbesondere mit eigens dafür gecharterten Schiffen an der Rettung schiffbrüchiger Migrant*innen im Mittelmeer beteiligt. Wir sprachen mit der jungen Deutschen Giulia Messmer, der Pressesprecherin von Sea Watch.
Nach ihrem Studium der Internationalen Beziehungen in Dresden (Deutschland) und einer Spezialisierung auf Konfliktmanagement in Stockholm hat sich Giulia Messmer in antifaschistischen und feministischen Bewegungen, gegen sexuelle Gewalt sowie in der Bewegung „No-Borders“ für ein freies Aufenthaltsrecht engagiert. Dort lernte sie Menschen kennen, die für Sea Watch arbeiten und engagiert sich dort deshalb ganz folgerichtig seit etwa zwei Jahren.
Ihre Arbeit umfasst die Kommunikation mit der Presse, sie nimmt aber auch an operativen Einsätzen teil.
Aktuell hat Sea Watch im Mittelmeer zwei Schiffe zur Rettung von Menschen in Not sowie zwei „Seabird“-Flugzeuge im Einsatz, die permanent die Schiffsbewegungen im Mittelmeer überwachen, Rechtsverletzungen melden und Kontakt mit den zuständigen Behörden aufnehmen.
Fakt ist – die Politik trägt die Verantwortung für die Toten im Meer! Sea Watch benennt die Verantwortlichkeit und betreibt mit zahlreichen anderen Organisationen intensive Lobbyarbeit in den politischen Gremien.
Es muss festgestellt werden, dass die europäischen Gesetze scheinheilig sind und in ihren Ausführungen die Missachtung der Menschenrechte legalisieren. Das neue Parlament kapitalisiert all diese Aktionen und ebnet der extremen Rechten den Weg.
Aktuell hat sich die extreme Rechte überall in Europa etabliert. Das ruft Angst, aber auch Wut hervor. Es wird Zeit für eine stärkere Bewegung gegen die Migrationspolitik.
Dafür sind Medien wie Pressenza sehr wichtig, denn sie stellen ein Gegengewicht zu den in den Medien sehr beachteten Vorstellungen der Rechten dar. Es gilt, Informationen zu verbreiten und Druck auf die Politik auszuüben.
Bedenken wir auch, dass die Stimmen für die Rechtsextremen nicht die wirkliche Bevölkerung eines Landes repräsentieren, da angesichts der Restriktionen für den Zugang zu legalen Papieren ein Teil der Menschen vom Wahlrecht ausgenommen ist.
Was Sea Watch auch Sorge bereitet, ist die Kriminalisierung der ankommenden Menschen. Während sie aus ihrem Land fliehen müssen, finden sie sich in einem Gerichtsverfahren wieder.
Interview von Tatiana De Barelli
Zur Vervollständigung hier die Geschichte von Sea Watch, entnommen von ihrer Homepage.
Sea-Watch ist Ende 2014 aus einer Initiative von Freiwilligen entstanden, die dem Sterben im Mittelmeer nicht mehr länger tatenlos zusehen konnten.
Die EU bekennt sich zu Demokratie und Menschenrechten, wendet sich aber gleichzeitig weiterhin von Menschen auf der Flucht ab – sei es durch milliardenschwere Sicherheitsvorrichtungen an den Grenzen oder durch zweifelhafte und umstrittene Abkommen in Bezug auf internationales Recht mit Drittländern wie der Türkei. Als Folge dieser Abschottung ertrinken jedes Jahr tausende Menschen – viele davon bereits in Sichtweite unserer Küsten und Strände. Sie alle hatten die Hoffnung, einen sicheren Hafen in Europa zu erreichen.
Deshalb haben wir uns der Seenotrettung verschrieben. Niemand hat es verdient, auf der Suche nach einem sichereren und menschlicheren Leben an den Außengrenzen der EU zu sterben.
Wir versuchen, die Lücke zu schließen, die durch die institutionalisierte Seenotrettung wie die Operation Mare Nostrum entstanden ist, die mit einem klaren Mandat über 130.000 Menschen gerettet hat, aber von der Europäischen Union nicht dauerhaft verankert wurde und daher zu Ende ging. Wir versuchen, diese Lücke so lange wie möglich und im Rahmen unserer Möglichkeiten zu füllen. Wir sehen dies als unsere humanitäre Pflicht. Dass private Organisationen anstelle von Staaten die Seenotrettung im Mittelmeer übernehmen, darf jedoch nicht zum Dauerzustand werden! Wir fordern daher eine internationale und institutionalisierte Seenotrettung mit klarem Mandat. Außerdem fordern wir die Einrichtung legaler und sicherer Einreisemöglichkeiten für diejenigen, die Schutz im Sinne von #SafePassage suchen.
Seit 2015 wächst unsere Organisation beständig. Sie besteht im Wesentlichen aus Freiwilligen aus ganz Europa, die an der Projektorganisation und der Umsetzung von Sea Watch arbeiten. Wir finanzieren uns ausschließlich über Spenden.
Wir versuchen, so viele Personen wie möglich vor dem Ertrinken zu retten. Bis jetzt hat Sea Watch zur Rettung von mehr als 35.000 Menschen beigetragen.
Wie läuft die Rettung von Geflüchteten ab?
Sobald ein Boot gesichtet wird, kommen wir zur Hilfe. Zuerst lassen wir unsere Schnellboote zu Wasser und fahren ihnen entgegen, da die Schlauchboote oder Holzboote zu instabil sind, um von einem großen Schiff angefahren zu werden. Außerdem wird damit das Risiko einer Panik vermieden. Ein gut funktionierendes Rettungssystem sorgt für mehr Sicherheit für Menschen in Not und für unsere Crew. Wenn wir das Boot erreicht haben, retten wir zuerst Personen in kritischem Gesundheitszustand, Kinder und schwangere Frauen, indem wir ihnen eine Rettungsweste geben und sie auf die Sea Watch 3 bringen, wohin ihnen die anderen Geflüchteten bald folgen. An Bord angekommen, erklären dann ÜbersetzerInnen den weiteren Ablauf und versuchen, die Geretteten zu beruhigen.
Befinden sich Personen im Wasser, werden ihnen große Rettungsringe zugeworfen, an denen sie sich festhalten können. Auch Bojen und Rettungswesten werden ins Wasser geworfen. Dann retten unsere zwei Schnellboote die Personen im Wasser und sichern die Boote der Geflüchteten, damit niemand mehr ins Wasser fallen kann.
An Bord der Sea Watch 3 kümmert sich unser Medizinteam um unsere Gäste: dabei verteilen wir zuerst Trinkwasser an die Schiffbrüchigen, die oftmals stark dehydriert sind. Dann konzentrieren wir uns auf die dringenden Fälle. Unbehandelte Wunden und Frakturen, die oftmals durch Folter in Libyen verursacht wurden, Dehydrierung und starke Verbrennungen (durch das Benzin und Salzwasser) werden dabei direkt von unserem Notfallteam aus ÄrztInnen, Krankenschwestern und Pflegern versorgt.
In Absprache mit der Seenotrettungsleitstelle MRCC Rom werden alle geretteten Personen entweder an Partnerorganisationen oder an die italienische Küstenwache übergeben, um in einen sicheren Hafen gebracht zu werden. Wir bringen nur dann gerettete Personen selber in einen sicheren Hafen, wenn uns MRCC Rom explizit dazu aufgefordert hat. Das ermöglicht uns, länger in der SAR-Zone (Seenotrettungszone) zu bleiben.
Die Übersetzung aus dem Französischen wurde von Silvia Sander vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!
Für weiterführende Informationen zur NGO: https://sea-watch.org/