Seit 2005 können sich in Venezuela Haushalte zu kommunalen Räten zusammenschließen und basisdemokratisch über die Belange in der Nachbarschaft entscheiden. Ab 2009 propagierte der damalige Präsident Hugo Chávez so genannte Comunas als Zusammenschluss mehrerer Räte. Eine der erfolgreichsten ländlichen Comunas ist heute El Maizal. Jenseits der tiefgreifenden Krise, die Venezuela seit Chávez‘ Tod 2013 durchlebt, geht die Kommune ihren eigenen Weg. Mit der aktuellen Regierung unter Nicolás Maduro bleibt sie trotz einiger Differenzen verbunden. Und unterstützt ihn bei der Präsidentschaftswahl am 28. Juli.
Die Geburtsstunde von El Maizal
Kurz vor der Mautstation Simón Planas zweigt ein schmaler Weg ab. Auf der Straße zwischen den Großstädten Barquisimeto und Acarigua im zentralen Westen Venezuelas rauschen mit Gemüse beladene LKWs vorbei. Ein Schild weist den Eingang zur „Sozialistischen Kommune El Maizal“. Der 2013 verstorbene Ex-Präsident Hugo Chávez ist hier überall präsent. Seine Augen blicken von Wandbildern am Wegesrand, den zentralen Platz für Versammlungen ziert eine Büste. Tatsächlich ist die Geschichte von El Maizal, was auf Deutsch „Das Maisfeld“ bedeutet, ohne Chávez nicht zu verstehen. „Als Chávez am 5. März 2009 in dieser Gegend unterwegs war, berichtete ihm eine Gruppe von Kleinbäuerinnen und Kleinbauern von Problemen mit lokalen Großgrundbesitzern“, erzählt der Comunero José Luís Sifontes, der in der Verwaltung von El Maizalarbeitet. Er habe ihnen zugehört und anschließend 2.500 Hektar Agrarland enteignet. „Dies war gewissermaßen die Geburtsstunde von El Maizal.“
„Eine Comuna bedeutet für uns, dass die Instanzen der Selbstverwaltung funktionieren“
Nach der Enteignung übernahm zunächst der Staat das Land. Seit 2014 befindet es sich in kollektivem Eigentum. Gerade endet die Trockenzeit, die ersten Regenwolken ziehen über das ausgedörrte Land. Es ist bereits alles für die Aussaat des Mais vorbereitet, der der Comuna ihren Namen gegeben hat. Stolz zeigt Sifontes, was sich die etwa 100 Comuneros in den vergangenen Jahren aufgebaut haben. 600 Hektar stehen für die Aussaat von Mais und anderen Pflanzen wie Kaffee oder Bohnen zur Verfügung. Auf dem übrigen Land werden zurzeit mehr als 700 Rinder gehalten. Die Kinder der Comuneros bekommen in der Comuna-eigenen Grundschule zusätzlich zum staatlichen Rahmenlehrplan Unterricht über Landwirtschaft und die rebellische Geschichte Venezuelas. Zudem vertreibt El Maizal Gas und liefert dieses an andere Comunas in der Region. Im eigenen kommunalen Parlament entscheiden die Mitglieder gemeinsam, was produziert wird und wie sie Überschüsse verwenden wollen. „Eine Comuna bedeutet für uns, dass die Instanzen der Selbstverwaltung funktionieren“, betont Sifontes. „Doch ohne Produktion ist die Comuna tot, denn dann kannst du dich tausendmal treffen, setzt aber kein Projekt um.“ Das kommunale Parlament besteht aus Delegierten der 27 kommunalen Räte, die sich zur Comuna zusammengeschlossen haben. In den Räten definieren Nachbar*innen ihre Bedürfnisse selbst und können für konkrete Projekte staatliche Finanzmittel erhalten. Die Grundidee dahinter ist, dass die Menschen vor Ort am besten beurteilen können, was gebraucht wird und zudem die Verwaltung und Kontrolle der Mittel besser umsetzen können als Funktionär*innen in Behörden.
Die Comuna als Keimzelle des Sozialismus
Laut offiziellen Zahlen von 2018 sind in Venezuela mehr als 47.000 Räte registriert. Ab 2009 rief Chávez dazu auf, Comunas als Zusammenschlüsse mehrerer Räte aufzubauen. Diese sollten als Keimzelle des angestrebten „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ dienen. „Die Comuna muss der Raum sein, in dem wir den Sozialismus hervorbringen werden“, erklärte Chávez. Dieser werde nicht dekretiert, sondern von der Basis aus geschaffen. Jeder beteiligte Rat schickt nach einem Gründungsreferendum eine*n Delegierte*n in das kommunale Parlament, das die maßgeblichen Entscheidungen trifft. Bis 2016 waren offiziell mehr als 1.500 Comunas registriert, die sich mittlerweile teilweise miteinander vernetzen. Dabei ist jede Comuna anders. Nicht jede ist unabhängig oder arbeitet intern zwangsläufig hierarchiefrei. In seiner letzten programmatischen Rede im Oktober 2012 konzentrierte sich Chávez erneut auf das Thema. „Wo ist die Comuna?“, fragte er erbost und prägte den bis heute an der Basis verbreiteten Slogan „Comuna o Nada!“ („Kommune oder nichts“). Tatsächlich waren bis zu dem Zeitpunkt nur wenige Comunas gegründet, geschweige denn offiziell registriert worden. Chávez‘ Nachfolger Nicolás Maduro berief nach seinem Amtsantritt den anerkannten Basis-Chavisten Reinaldo Iturriza zum Minister für Comunas. Dieser ermöglichte erstmals eine breite offizielle Registrierung, konnte sich jedoch nur anderthalb Jahre im Amt halten. Als Verfechter der Comuna-Idee, der es wirklich ernst meint, war Iturriza nicht wenigen Funktionär*innen ein Dorn im Auge. „Wir haben durchgehend daran gearbeitet, den Abstand zwischen Ministerium und Bewegung so weit wie möglich zu verringern“, sagt er rückblickend. Dies allerdings habe eine Menge Probleme mit sich gebracht. „Es bedeutet, dass man mit einem Teil der Institutionen, die einen umgeben, in Konflikt gerät.“
Weitgehende Unabhängigkeit und gute Zusammenarbeit mit der Regierung
Zwischen 2018 und 2022 unterband die Zentralregierung die Neuwahl von Sprecher*innen in den kommunalen Räten. Sie befürchtete, dass dort inmitten des politischen Machtkampfs oppositionelle Kräfte gewinnen würden. Zudem blieben durch die Krise nicht nur die Gelder aus. Auch die Partizipation ging deutlich zurück. Obwohl El Maizal kaum staatliche Unterstützung erhält, kam es wiederholt zu Konflikten mit Institutionen. Die Regierung versucht, das Thema als Chávez‘ Vermächtnis einerseits nicht aufzugeben und andererseits einzuhegen. Gemäß der chavistischen Bewegungsgeschichte strebt El Maizal aber keine absolute Autonomie an, sondern versucht, weitgehende Unabhängigkeit und möglichst gute Zusammenarbeit mit der Regierung zu verbinden. „Viele Bürgermeister*innen und Gouverneur*innen haben Chávez‘ Idee zum Aufbau der Comunas und kommunalen Räte nicht verstanden. Und wenn die Bevölkerung damit beginnt, selbst Regierung im Territorium zu sein, fühlen sie sich bedroht, weil sie glauben, dass diese Leute gegen die Revolution sind“, so Sifontes. „Doch das Problem besteht nicht nicht an der Basis, sondern liegt in den mittleren und oberen Strukturen.“
El Maizal unterstützt Nicolás Maduro bei den Wahlen im Juli
Um den Draht zu den lokalen Behörden zu verbessern, kandidierte der Comunero Ángel Prado selbst für den Bürgermeisterposten der Gemeinde Simón Planas, auf deren Gebiet der überwiegende Teil der Comuna Maizal liegt. 2017 trat er als chavistischer Dissident gegen die Regierungspartei an. Der Nationale Wahlrat erklärte aus umstrittenen formalen Gründen jedoch den Kandidaten der Regierungspartei PSUV zum Sieger. Bei der Regionalwahl 2021 setzte sich Prado bei den internen Vorwahlen der Regierungspartei durch und gewann anschließend auch die Bürgermeisterwahl. Im Juni gelang Maduro dann ein kleiner Coup, indem er Prado zum Minister für Comunas ernannte. Er band somit einen prominenten Vertreter des rebellischen Basis-Chavismus in seine Regierung und den laufenden Wahlkampf ein. „An der Spitze des Ministeriums für Comunas brauche ich einen Anführer, der unbedingt von der Basis kommt. Mit einem erfolgreichen Projekt wie es die Comuna El Maizal ist“, erklärte Maduro während eines Besuchs der Comuna. „Deshalb habe ich Ángel Prado mitgeteilt, dass ich ihn mit dem heutigen Tag zum neuen Minister für Comunas ernennen werde.“ Der Schritt ist für Prado und die Bewegung der Comuneros nicht ohne Risiko. Denn ein derartiges Amt birgt auf Dauer immer die Gefahr, sich von der Basis zu entfernen.
Bei der anstehenden Präsidentschaftswahl am 28. Juli unterstützt El Maizal offiziell Maduro, auch wenn die Beziehung zum Staat nicht immer einfach ist. Die rechte Opposition tritt erstmals seit Jahren weitgehend geeint an. Linke Gegenkandidaturen ließ die Regierung hingegen nicht zu. Viele Comuner@s sind der Ansicht, dass sie im Falle eines oppositionellen Wahlsieges künftig deutlich weniger Spielraum hätten, um ihr kommunales Projekt voranzutreiben.