Für die Aktivisten Maoz Inon und Aziz Abu Sarah ist die Wiederbelebung einer gemeinsamen Friedensbemühung, die aus den Hemmnissen der Vergangenheit lernt, „das stärkste Gegenmittel gegen Extremismus“.
Von Oren Ziv
Maoz Inon und Aziz Abu Sarah sind ein ungleiches Paar. Inon, 49, ist ein israelischer Tourismusunternehmer und Gründer von Abraham Hostels. Er verlor beide Eltern, die im Kibbuz Netiv HaAsara lebten, während des von der Hamas angeführten Angriffs am 7. Oktober.
Abu Sarah, 44, ist ein palästinensischer Friedensaktivist, Journalist und Tourismusunternehmer, der MEJDI Tours gegründet hat. Er lebt in Ostjerusalem (und ist ein ehemaliger +972-Mitarbeiter). Als Aziz 9 Jahre alt war, wurde sein älterer Bruder Taiseer verhaftet und fast ein Jahr lang im Gefängnis festgehalten. Kurz nach seiner Freilassung starb Taiseer an den inneren Verletzungen, die ihm bei der Folter im Gefängnis zugefügt wurden.
Die beiden trafen sich, nachdem Abu Sarah in den Tagen nach dem 7. Oktober an Inon geschrieben und sein Beileid für Inons ermordete Familie ausgesprochen hatte. Seitdem führen sie eine persönliche und öffentliche Kampagne gegen Rache und für Versöhnung. Sie haben sich in Interviews, auf Konferenzen und auf privaten Veranstaltungen geäußert, ein offenes Gespräch auf einer TED-Konferenz geführt, sich mit Diplomaten und kürzlich mit dem Papst getroffen.
Zusammen mit Dutzenden von Organisationen leitet Inon nun eine Veranstaltung mit dem Titel „It’s Time – The Great Peace Conference“ (Es ist an der Zeit – Die Große Friedens-Konferenz), die am 1. Juli in Tel Aviv stattfinden wird und die voraussichtlich die größte formelle Zusammenkunft der Linken in den letzten Jahrzehnten sein wird. Es werden weite Teile der israelischen und palästinensischen Gesellschaft repräsentierende Delegationen anwesend sein, Künstler, Politiker und Intellektuelle werden Reden halten. Bei der Veranstaltung wird eine Videobotschaft von Abu Sarah gezeigt, der sich derzeit im Ausland aufhält.
In einem Interview mit +972 und Local Call sprachen Inon und Abu Sarah über den neuen Friedensprozess, den sie fördern, die Ziele der Konferenz und darüber, wie sie ihre jeweilige Öffentlichkeit davon überzeugen wollen, ihre Arbeit zu unterstützen. Das Gespräch wurde wegen seiner Länge und aus Gründen der Klarheit überarbeitet.
Woher kam die Idee für die Konferenz?
Inon: Angefangen hat alles im März in Genf. Aziz und ich waren dort mit 70 anderen Palästinensern und Israelis. Wir schrieben eine Charta für eine gemeinsame Zukunft und begannen, über einen Fahrplan nachzudenken, um Frieden zwischen dem Fluss und dem Meer zu erreichen. Dies ist ein erster Schritt, um zum Frieden aufzurufen und einen Anspruch auf Anerkennung für den Friedensprozess und für uns – die Führer der Zukunft – aufzubauen.
Die Konferenz ist die erste öffentliche Veranstaltung in der israelischen Gesellschaft, bei der jüdische und palästinensische Bürger öffentlich auf die Straße gehen und einen Friedensprozess beginnen, der vom Volk ausgeht. Dies ist das erste Mal, zumindest soweit ich mich erinnere, dass mehr als 50 zivilgesellschaftliche Organisationen zusammenarbeiten, um das Fundament für einen solchen Prozess aufzubauen. Da wir danach streben, Anerkennung zu erlangen, wird sie in der Menora-Halle stattfinden und nicht als Demonstration auf der Straße. Dies ist nur die erste von einer Reihe von Veranstaltungen, die wir organisieren wollen.
In den letzten Monaten waren Proteste gegen den Krieg, aber auch Demonstrationen, die einen Waffenstillstand forderten, zu sehen. Was ist der Unterschied zwischen diesen und der Konferenz?
Inon: Wir grenzen uns von niemandem ab, die Demonstrationen sind wichtig, und einige von uns nehmen daran teil. Aber uns geht es nicht um eine Demonstration. Wir ändern den Rahmen und sprechen mehr über Hoffnung und die Zukunft. Die Idee dahinter ist, Koalitionen zu bilden und zusammenzuarbeiten.
Abu Sarah: Wenn ich mir die Zeit meiner Kindheit in Ostjerusalem anschaue, dann habe ich ehrlich gesagt nie eine israelische Friedensbewegung gesehen oder von ihr gehört, und es gibt Israelis, die noch nie eine palästinensische Friedensbewegung gesehen haben. Das Unvermögen, diese Bewegungen wahrzunehmen, hat dazu geführt, zu glauben, dass es auf der anderen Seite niemanden gibt, der Frieden herbeiführen will, der sich um die Menschenrechte kümmert und so weiter. Dieses Ereignis, das viel Aufsehen erregen wird, wird Tausende von Menschen dazu bringen, zu sagen, dass sie zusammenzuleben möchten, um einen Weg zu finden, das Blutvergießen zu beenden und mit Partnern auf der anderen Seite zusammenzuarbeiten. Diese Aussage an sich ist sehr stark und wird eine wichtige Botschaft an die palästinensische Seite sein.
Das ist etwas Neues. Der einzige Weg, wie wir etwas bewirken können, ist eine Art Einheit zu bilden, auch wenn wir nicht genau gleich sind und es hier und da Unterschiede gibt. Ein Treffen von Tausenden von Menschen wird das Blutvergießen nicht beenden und morgen keinen Frieden bringen, aber es ist ein wichtiger Schritt. Und wenn wir auf diesem Weg weitergehen und Organisationen lernen, zusammenzuarbeiten, wird sich die Kraft aller verdoppeln.
Sie fordern ein „Alle für Alle“-Abkommen, d.h. die Freilassung aller palästinensischen Gefangenen und aller israelischen Geiseln. Zu Beginn des Krieges wurde dieser Ruf auch in Israel vernommen, aber seitdem ist er an den Rand gedrängt worden.
Inon: Wir müssen wieder auf das „All for All“-Abkommen zurückkommen, das auf dem Tisch lag. Gefangene können eine wichtige Rolle bei der Versöhnung und Herstellung eines Friedens spielen.
Abu Sarah: Wenn man sich anschaut, wer die Leute sind, die im Namen der Palästinenser sprechen können, die die Macht und Anerkennung dafür besitzen, dann sind dies alles Gefangene. Ich verstehe, dass die Leute sagen: „Aber wie kann das sein, wenn man bedenkt, was sie getan haben?“ Aber in Konflikten haben alle Beteiligten Blut an ihren Händen, und dies sind die Menschen, die ein Abkommen legitimieren können, das Bestand hat, wie in Nordirland und Südafrika. Ohne die Gefangenen wird es kein Abkommen geben.
[Ehemaliger US-Präsident] Barack Obama sagte, dass wir uns eingestehen müssen, dass wir alle die Schuld daran tragen, nicht vor dem 7. Oktober gehandelt zu haben. Wenn es zu einem Waffenstillstand kommt, wollen wir nicht sagen: „Alles ist gut“ und es dabei belassen, wie vor dem Oktober. Wir wollen nicht behaupten, dass der Status quo tragfähig ist; Wir hoffen, darauf drängen zu können, dass der Status quo nicht aufrechterhalten wird.
Anfang des Monats war ich in Nordirland. Es scheint, als ob es vor dem Karfreitagsabkommen auf allen Seiten das Gefühl gab, dass sie genug hatten. In Israel hat man das Gefühl, dass die Öffentlichkeit, oder zumindest ein Teil davon, immer noch nicht des Krieges und der Gewalt müde ist, und vielleicht sogar im Gegenteil, dass die Menschen mit aller Macht weitermachen wollen.
Inon: Es gab eine Umfrage von „aChord„, die zeigte, dass 74 Prozent der israelischen Bürger eine diplomatische Vereinbarung unterstützen. Die Umfrage zeigt, dass wir die Situation vielleicht nicht richtig einschätzen. Außerdem bietet derzeit niemand eine Alternative an, und da kommen wir ins Spiel. Zum ersten Mal seit vielen Jahren schlagen wir eine Lösung für den untragbaren Status quo und das anhaltende Blutvergießen vor. Das ist unsere Mission.
Abu Sarah: Ich habe viel in Nordirland gearbeitet. Ich traf Soldaten und Mitglieder von Organisationen, Polizisten und Militärs. Irgendwann erkannten sie, dass es zum Frieden kommen würde. Sie verstanden, dass das, was sie taten, den Krieg und das Leid nur verlängern würde, und sie sahen, wie Freunde und ihre Familien den Preis für das zahlten, was sie getan hatten. Es brauchte Zeit, aber sobald eine Einsicht für die Intensität der Auswirkungen auf Familien und ihr Leben im Bewusstsein entstand, half dies, den Wandel herbeizuführen.
Bis heute ist die Gesellschaft in Nordirland sehr zersplittert. Etwa 92 Prozent der Schulen sind konfessionell getrennt. Dennoch wurde verstanden, dass das Karfreitagsabkommen zwar nicht perfekt, aber die Alternative viel schlimmer war. Jeder, den ich dort traf, sagte, dass es nicht das Abkommen war, dass sie sich erträumt hatten, aber dass es besser war als die Alternative. Wir müssen die Menschen hier dazu bringen, dies auch so zu sehen.
Seit den 1990er Jahren haben Treffen zwischen Palästinensern und Israelis zum Meinungsaustausch stattgefunden, und es gab viel Kritik an ihnen, unter anderem, dass sie das Machtungleichgewicht aufrechterhalten und nur der starken Seite dienen.
Abu Sarah: Ich bin ein bisschen zynischer als Maoz. Ich stand der Idee des Herangehens „von Mensch zu Mensch“ sehr kritisch gegenüber. Ich hatte das Gefühl, dass es nicht ausreichend war, dass viel geredet wurde, aber nicht viel passiert ist. Die Friedensbewegung muss diesbezüglich sehr achtsam sein.
Ich erinnere mich, dass es, als ich in den späten 1990er Jahren zur Friedensbewegung kam, sehr viel Hoffnung gab. Ich erinnere mich an ein großes Treffen von Israelis und Palästinensern in Gaza im Jahr 2000, bevor alles explodierte. Aber diese Friedensbewegung hat sich schließlich selbst delegitimiert, und deshalb ist, wie Maoz sagte, eines unserer Ziele, uns Anerkennung zu erarbeiten.
In der Vergangenheit waren sie nicht in der Lage, über einen Meinungsaustausch hinauszukommen. Jetzt ist es zumindest für einige insofern anders, als dass es mehr als nur Gerede gibt. Man sieht es an Bewegungen wie Standing Together, Combatants for Peace, Rabbis for Human Rights. Hier ist zu sehen, dass es nicht nur um einen Meinungsaustausch geht, sondern auch um Zusammenarbeit, um stärkere Brücken zu bauen, um zu sehen, was gebraucht wird und wie wir diese Bedürfnisse erfüllen können. Diese Bewegung ist viel stärker und lernt aus der Vergangenheit.
Inon: Wir träumen davon, aber mit einem Plan – bis 2030 Frieden zu schließen. Wir müssen ständig überprüfen, ob unsere Maßnahmen wirksam sind. Um Hoffnung zu erzeugen ist es genau das richtige Rezept, sich gemeinsam eine bessere Zukunft vorzustellen und diese Zukunft Wirklichkeit werden zu lassen. Wir waren bereits sehr effektiv und wir wachsen. Der Dialog ist nur eine Phase des Plans. Das Ziel ist nicht der Dialog, sondern der Frieden.
Bezogen auf diesen Friedensplan bis 2030: Beabsichtigen Sie, ein konkretes Konzept zu veröffentlichen, das Maßnahmen und Forderungen der Beteiligten enthält?
Abu Sarah: Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt, um genau zu sagen, wo die Grenzen verlaufen werden, meiner Meinung nach war das nie das Problem. Das Problem bestand darin, den Willen aufzubringen, eine kritische Masse, die ein Abkommen unterstützen würde. Das Problem war, dass Leute den politischen Prozess gekapert haben. Im Bereich der Ideen gibt es zum Beispiel die, eines Landes für alle (A Land for All) [was eine Konföderation befürwortet], dann die Genfer Initiative [die zwei Staaten befürwortet] und mehr. An Ideen mangelt es nicht.
Beabsichtigen Sie, sich mit kontroversen Kernfragen zu befassen, wie z.B. dem Recht auf Rückkehr?
Abu Sarah: Ich denke, wir werden uns alle diese Fragen ansehen. Worüber wir ganz grundsätzlich reden, das sind Gleichheit, Würde und Sicherheit. Es spielt keine Rolle, ob sich das auf ein Land oder auf zwei Länder bezieht. Es wird keinen Frieden unter Besatzung oder Ungerechtigkeit geben. Es ist irrsinnig, zu glauben, es sei möglich, über Frieden zu sprechen und nicht auch all diese Fragen zu behandeln. Die Frage ist, was sind die grundlegenden menschlichen Werte, deren wir uns einig sind.
Menschen auf der ganzen Welt haben ihr Mitgefühl und ihre Unterstützung für Ihr Projekt zum Ausdruck gebracht. Glauben Sie, dass das Projekt zum jetzigen Zeitpunkt auch hier akzeptiert werden kann, angesichts der aktuellen politischen Situation – in Gaza, im Westjordanland, in Jerusalem, in Israel und angesichts all der Kritik am Friedensprozess in der Vergangenheit?
Abu Sarah: Ich denke schon. Die Menschen sind immer noch sehr pragmatisch, trotz des Schmerzes und der Wut. Einer meiner liebsten Freunde aus Gaza, 50 Mitglieder seiner Familie wurden getötet, seine ganze Familie wurde ausgelöscht – Onkel, Tanten, Cousins, alle sind verschwunden. Ich wollte bei der Veranstaltung über die Geschichte dieses Freundes sprechen, also fragte ich ihn, was er davon hielt, dass ich das tat. Er zögerte nicht einmal und antwortete: „Hundertprozentig, das ist es, was wir brauchen.“
Die Übersetzung aus dem Englischen wurde von Ulrich Karthaus vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!