In zehn deutschen Städten finden ab nächster Woche die Spiele der Fußball-Europameisterschaft statt. Die Spielorte mussten der UEFA weitreichende, teure und sogar grundgesetzwidrige Zusicherungen machen. Hier könnt ihr die Verträge nachlesen.
Es soll die Neuauflage eines deutschen Sommermärchens sein. Am 14. Juni fällt der Startschuss für die Fußball-Europameisterschaft der Männer, die dieses Jahr in zehn deutschen Städten ausgetragen wird. Wenig märchenhaft hingegen sind die knallharten Verträge der UEFA mit den Austragungsorten. Wer diese Anforderungen liest, dem wird laut Spiegel schnell klar, dass die UEFA vor allem ein Ziel habe: „Sie kassiert die Einnahmen, während Kosten und Risiken beim Ausrichter bleiben, also letztlich bei der Allgemeinheit.“ Wir veröffentlichen die Dokumente hier, damit ihr einfach selbst lesen könnt, welche harten Regeln die UEFA den Städten auferlegt.
Gemeinsam mit Correctiv.Lokal haben wir in den letzten Monaten recherchiert, welche Folgen die Europameisterschaft für die zehn Austragungsorte mit sich bringt. Wir haben auf Basis der Informationsfreiheitsgesetze (IFG) alle Verträge angefragt, welche die Städte unterzeichnen mussten, damit sie zu einer sogenannten „Host City“ der Europameisterschaft werden. Die Dokumente, die wir hier für alle leicht zugänglich machen, stammen aus Hamburg und Dortmund. Die Vertragsunterlagen der anderen Host Citys sollen im Wesentlichen identisch sein.
Hunderte Seiten Versprechen an die UEFA
Die Verträge zeigen detailliert, wie umfangreich die Versprechen sind, die Host Citys abgeben mussten. Die Zusicherungen gehen zurück bis ins Jahr 2017, als noch gar nicht entschieden war, dass die EM 2024 in Deutschland stattfinden wird. Vertragspartner der Städte ist teils der Deutsche Fußballbund (DFB) als lokaler Organisator des Turniers, teils die UEFA und teils die EURO 2024 GmbH, ein Gemeinschaftsunternehmen von DFB und UEFA, das extra für diese Europameisterschaft gegründet wurde.
Neben den grundlegenden Verträgen, in denen die Städte zu Host Citys erklärt werden, gibt es diverse Zusatzvereinbarungen („Sideletter“). Dort werden die Verpflichtungen der Städte für einzelne Teilbereiche detailliert erklärt. Zudem führt die UEFA in einem 190-seitigen Dokument die allgemeinen Anforderungen für die Ausrichtung des Turniers („Tournament Requirements“) aus. Die Host Citys müssen alle Verpflichtungen erfüllen, die in den Tournament Requirements aufgeführt werden. Zwar sind in den Verträgen nur einzelne Abschnitte der Turnieranforderungen als Anhang aufgeführt – durch eine gelbe Markierung gekennzeichnet – allerdings scheint diese Einschränkung ohne rechtliche Relevanz. „Die Stadt Dortmund wusste jederzeit, dass sie auch für Textteile einstehen muss, die sich außerhalb der gelben Markierungen befinden”, schreibt uns dazu der EM-Beauftragte aus Dortmund.
Wunsch nach Demonstrationsverboten
In ihren Turnieranforderungen scheint die UEFA ihre Entscheidungsgewalt höher anzusetzen als die der deutschen Behörden – und der Verfassung. So fordert der Fußballverband, dass rund um die Stadien nur Werbung von Sponsoren der Großveranstaltung zu sehen sein dürfe. Die Host Citys verpflichten sich, alles zu verhindern, was die UEFA nicht ausdrücklich genehmigt. Dazu zählt die UEFA auch explizit politische und religiöse Demonstrationen – ungeachtet der im Grundgesetz festgeschriebenen Versammlungsfreiheit.
Auf Nachfragen zu dieser weitreichenden Verpflichtung antworteten die Host Citys teils ausweichend, teils offensiv. Ein generelles Verbot von Demonstrationen gebe es nicht, heißt es aus Leipzig. Allerdings könne es wie bei allen Großveranstaltungen zu Einschränkungen bei Demonstrationen kommen. Berlin räumt offen ein, dass es in den Bereichen, die als Veranstaltungsfläche genutzt werden, zu „Einschränkungen der Versammlungsfreiheit” kommen kann. Es gelte, einen guten Ausgleich herzustellen zwischen der „Bedeutung der UEFA Euro 2024 für unsere Stadt als herausragendes internationales Sportereignis” und dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit. Aus Köln wird knapp betont, es gebe keine grundsätzlichen Versammlungsverbote.
Die UEFA erklärt auf Anfrage, dass die operative Ausgestaltung der Vereinbarungen „in Absprache mit den Städten und jeweiligen Behörden auf der Basis des geltenden Rechts“ erfolge. Eine Einschränkung der Versammlungsfreiheit ergebe sich dadurch nicht. Ob es tatsächlich möglich sein wird, in den kommenden Wochen rund um die EM-Stadien sein Demonstrationsrecht wahrzunehmen, wird sich zeigen.
Die EM wird erheblich teurer
Gründe für Protest gibt es genug. Denn während die UEFA ihren Gewinn aus der EM dank eines Steuergeschenks der Bundesregierung nicht versteuern muss, explodieren die Kosten für die Host Citys. Mindestens 66 Millionen Euro mehr als ursprünglich geplant müssen die zehn Städte für die EM ausgeben. Das zeigt die Recherche von Correctiv.Lokal und FragDenStaat. Allein in Frankfurt und Berlin haben sich die Kosten für das Fußballspektakel seit der Prognose von 2017 fast verdoppelt. Im Fall von Berlin bedeutet das zusätzliche Ausgaben in Höhe von 40 Millionen Euro, mit denen im Bewerbungsprozess noch nicht gerechnet wurde.
Allein 24 Millionen Euro gibt Berlin für zwei „Fan Zones“ am Brandenburger Tor und am Reichstag aus. Auf den Festgeländen werden die Spiele auf Großleinwänden übertragen. Zugleich sollen sich dort die Sponsoren der EM präsentieren können. Jede Host City ist laut Vertrag verpflichtet, mindestens eine solche Fanzone zu organisieren – und die Kosten für Planung, Betrieb und Abbau zu tragen. Die UEFA hingegen behält dabei alle kommerziellen Rechte. Vertragspartner der UEFA haben Vorrang bei der Vergabe von Essens- und Getränkeständen auf dem Festgelände.
Hinzu kommen etliche weitere Aufgaben, die die Host Citys erfüllen und zugleich bezahlen müssen: Etwa umfangreiche Werbung für die UEFA-Veranstaltung in der gesamten Stadt, die Verpflichtung einer prominenten lokalen Person, die als Botschafter*in der EM auftritt oder die Schulung und Betreuung der freiwilligen Helfer*innen. Außerdem müssen die Städte der UEFA die kommerziellen Nutzungsrechte ihrer lokalen Wahrzeichen kostenlos überlassen. Zugleich sind sie verpflichtet, auf eigene Kosten ein Komitee einzurichten, das die kommerziellen Ansprüche der UEFA schützen und etwa unautorisiertes Public Viewing und nicht genehmigte Werbung unterbinden soll.
Mehr als 1,7 Milliarden Euro Gewinn erwartet die UEFA durch die diesjährige Europameisterschaft. Es wäre ein Rekordgewinn. Die Risiken dafür hat der Verband dank seiner Monopolstellung erfolgreich an die Steuerzahler*innen in Deutschland ausgelagert.
Hamburg hat die Verträge kurz nach unserer Anfrage auf seinem Transparenzportal veröffentlicht. Dortmund hat uns als einzige Host City die Unterlagen, so wie wir es beantragt haben, auch zugeschickt. Andere Städte haben unsere IFG-Anfrage abgelehnt, sich mit ihrem extra für die EM-Organisation gegründeten Unternehmen gegenseitig die Zuständigkeit hin und her geschoben oder einfach gar nicht geantwortet.