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Flucht aus der Kirche

(Bild von Christian Mayrhofer via flickr | CC BY-NC-ND 2.0)

Immer mehr Menschen in Deutschland kehren den Kirchen den Rücken zu. Die Anzahl der Kirchenmitglieder sinkt kontinuierlich, Austritte steigen. Unter klerikalen Gottesverwaltern herrscht Krisenstimmung – und fromme Arroganz.

Von Helmut Ortner

Die katholische Kirche in Deutschland verliert vor dem Hintergrund von Missbrauchsskandalen und einem gesellschaftlichen Wertewandel seit Jahren massiv Mitglieder. Wie die Deutsche Bischofskonferenz nun mitteilte, sind im 2023 weitere 402.694 Menschen aus der Katholischen Kirche ausgetreten. Demnach gehörten den 27 katholischen Bistümern zum Stichtag 31. Dezember 2023 noch rund 20,3 Millionen Menschen an. Das entspricht einem Rückgang im Verglich zum Vorjahr von 2,8 Prozent.

Im krisengeschüttelten Erzbistum Köln – einem der reichsten Bistümer der Welt – traten mit knapp 40.100 die meisten Menschen aus. Der skandalöse Umgang mit dem Missbrauchsskandal, hochriskante Finanz- und Immobiliengeschäfte, zuletzt starre Reformverweigerungen auf dem Synodalen Weg, all das lässt Gläubige verzweifeln – und austreten. Nicht nur im Kölner Sprengel. In Hamburg lag der Anteil der Austritte an der Mitgliederzahl des Vorjahres bei 3,3 Prozent, in Berlin bei drei Prozent.

Die Zahlen repräsentieren nach Worten des Limburger Bischofs Georg Bätzing, der auch Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz ist, die „tiefgreifende Krise“ der katholischen Kirche in Deutschland. Er sei „zutiefst erschüttert“ über die extrem hohe Zahl an Austritten. Die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Irma Stetter-Karp, sagt: „Wir müssen uns darauf einrichten, dass auch in den kommenden Jahren mehrere hunderttausend Menschen aus der Kirche austreten.“ Das zeige, dass ein Wandel der Kirche unvermeidlich sei. Doch in den Niederungen des Kirchen-Alltags fehlt Gläubigen mittlerweile nicht nur jedwede Hoffnung an einem schöngeredeten »Wandel« und überfällige Reformen, es fehlt vor allem an Vertrauen und Glaubwürdigkeit. Nicht nur unter Katholiken herrscht Krisenstimmung. Die Erosion ist konfessionsübergreifend.

Auch die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) verzeichnet sinkende Mitgliederzahlen. Sie hatte ihre Statistik bereits im März veröffentlicht. Demnach blieb die Zahl der Kirchenaustritte im Vergleich zum Vorjahr mit 380.000 unverändert hoch. Zum Stichtag 31. Dezember 2023 gehörten rund 18,6 Millionen Menschen der Evangelischen Kirche an. Erstmals sind die Mitglieder der beiden Kirchen in der Minderheit.

Ob Katholik oder Protestant – Tatsache ist, die meisten Kirchenmitglieder sind schon lange keine überzeugten Anhänger ihrer Kirche mehr, sondern sogenannte »Taufscheinchristen«. Gerade etwas über 3 Prozent der evangelischen und knapp 10 Prozent der katholischen Kirchenmitglieder besuchen regelmäßig noch den sonntäglichen Gottesdienst. Taufen und kirchliche Trauungen gehen zurück. Die Bindekraft bröckelt. Die große Mehrheit, ob Katholiken oder Protestanten, nennt einer Studie der Ev. Kirche zufolge überhaupt keinen konkreten Anlass für ihren Austritt. Sie haben sich im Laufe der Jahre einfach von der Kirche entfremdet und ziehen irgendwann den Schlussstrich. Hinzu kommt: in Zeiten grassierender Teuerungen der Lebenshaltungskosten wird der jahrelang aufgeschobene Austritt aus einer Kirche, die einem ohnehin nichts bedeutet, nun endlich vollzogen. Freilich: Nicht mehr Mitglied der Kirche zu sein, muss nicht zur Folge haben, von seinem Glauben abzufallen. Glaube geht auch ohne Kirche. Doch nicht allein diese Entfremdungsprozesse sind für den Mitliederschwund verantwortlich, maßgeblich ist vor allem die fromme Arroganz der klerikalen Gottesverwalter.

Obwohl die Mitglieder der beiden Kirchen mittlerweile in Deutschland in der Minderheit sind, scheint die Politik den eklatanten Bedeutungsverlust zu ignorieren. Noch immer gibt es eine Fülle anachronistischer Gesetze und Subventionen, etwa bei der horrenden öffentlichen Finanzierung von Kirchentagen oder der Ablösung der Staatsleistungen an die Kirchen, die Finanzierung theologischer Fakultäten an staatlichen Universitäten bis hin zu Kirchenredaktionen in Landes-Rundfunkanstalten, an denen parteiübergreifend noch immer festgehalten wird. Zu stark ist der klerikale Lobbyismus – und die Kirchenhörigkeit der Politik. Damit sollte es ein Ende haben.


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