Die Europawahl ist, was Deutschland betrifft, mit einem Donnerhall zu Ende gegangen und hat das Parteiengefüge durcheinandergewirbelt. Das Ergebnis lässt sich so zusammenfassen: Parteien wie das Bündnis Sahra Wagenknecht, aus dem Stand mit 6,2% und somit mit 6 Sitzen im Europaparlament vertreten (gleichauf mit der CSU und einen Prozentpunkt mehr als die FDP), oder VOLT und DIE PARTEI, zukünftig mit 3 bzw. 2 Sitzen dabei, haben Grund zum Jubeln. Die etablierten Parteien, besonders die Ampelregierung, nicht; die Wahlschlappe war überdeutlich.
Das nennt man lebendige Demokratie, aber das sehen nicht alle so. Der einzige Wahlgewinner dieser Wahl, die CDU/CSU der europäischen Fraktion EVP, hat zu dieser Art Demokratie ein ganz anderes Verhältnis. Während die Präsidentin des Europaparlaments, Ursula von der Leyen (CDU), für ihre Wiederwahl die gern als „Postfaschistin“ titulierte Giorgia Meloni aus Italien hofiert, sieht ihr Parteikollege in Deutschland, Friedrich Merz, das ganz anders – Doppelmoral statt Demokratie.
Nach der Wahl ist vor der Wahl, und der Wahlkampf für die Bundestagswahl 2025 hat schon begonnen: in der Sendung „Brennpunkt“ nach der Europawahl hat der voraussichtliche Kanzlerkandidat, Friedrich Merz, Rede und Antwort gestanden, auch zum Thema Koalitionsfähigkeit anderer Parteien. Seine Aussagen klangen verbindlich, als wäre das Thema schon heute relevant. Man muss allerdings feststellen, dass er Mühe hat, das politische Geschäft zu verstehen, was vielleicht an seiner langjährigen Auszeit bei BlackRock liegt.
Sein Arbeitgeber, das Volk, hat gewählt und die CDU ist stärkste Partei geworden (rund 24%). Wenn man den fixen Koalitionspartner, die CSU, noch dazu rechnet, die ja ohne das Bündnis mit der CDU bundesweit eine Splitterpartei wäre und nur in ihrer Region Bayern punkten kann, dann kommt diese Union sogar auf rund 30%.
Nehmen wir an, die Bundestagswahl 2025 beschert Herrn Merz dasselbe Ergebnis. Dann hält nicht ganz ein Drittel des wahlberechtigten deutschen Volkes ihn für fähig, die deutsche Politik zu bestimmen. Abgesehen davon, dass es noch eine wahlunlustige Menge von Wahlberechtigten gibt (2021 haben nur 76,4 % von ihrem demokratischen Stimmrecht Gebrauch gemacht, d.h. 23,7 % haben sich verweigert). Eine unbestimmbare Menge – man weiß nie, ob und wie sie plötzlich wählen, wenn es ihnen zu bunt wird.
Jüngst bei der Europawahl kamen nochmal rund 14 % dazu, die „Sonstige“ gewählt haben – das sind mehr als die, die „grün“ gewählt haben, etwa soviele, wie die SPD eingefahren hat und etwas weniger als die AfD. Also quasi eine „Fünfte Gewalt“.
Aber bleiben wir bei der Annahme, das Ergebnis wäre gleich, dann hätte es zur Folge, dass der Volkssouverän von der Union verlangt, eine Regierung zu stellen. Da das mit rund 30% allein nicht zu erreichen ist, braucht es einen sehr potenten, eher zwei oder drei andere Parteien, um eine Koalition auf die Beine zu stellen. Das ist nicht immer schön, weil es mitunter zu harten Kompromissen kommen muss (siehe Ampel), die letztlich zu Unbill im politischen Gefüge führen, aber: Ein Drittel ist eben keine Mehrheit.
Und hier wird in der letzten Zeit oft übersehen, dass der Auftrag lautet: Regierung bilden! Egal, ob einem die Nasen gefallen, die zur Verfügung stehen – es geht nicht um parteiinterne Befindlichkeiten. Es geht um die Erfüllung des Auftrags, die Regierung in möglichst kurzer Zeit mehrheitsfähig zu machen.
Christian Lindner übrigens versteht das Geschäft so wenig wie Friedrich Merz. Der hat, wir erinnern uns, schon mal einen Regierungsauftrag in letzter Sekunde platzen lassen und dem Volk aus lauter Eitelkeit eine regierungsfreie Zeit zugemutet. Aber gut, der steht zur nächsten Bundestagswahl sowieso nicht mehr zur Verfügung.
Es geht voraussichtlich um Merz und seine Eitelkeiten. Und der erzählt bei der erstbesten Gelegenheit nach der Europawahl im TV, wer von Koalitionsgesprächen schon jetzt ausgeschlossen ist: Links- und Rechtsextremisten. Wohlgemerkt all die, die in einer zugelassenen Partei demokratisch gewählt wurden. Wie war das eigentlich mit der Werteunion? Hätte Herr Maaßen seiner langjährigen Partei, der CDU, Anfang dieses Jahres nicht den Gefallen getan, eine eigene Partei zu gründen, hätte die CDU auch „in Teilen rechtsextrem“ eingestuft werden müssen. Aber das nur nebenbei.
Es ist auf jeden Fall für nicht rechtschaffen, noch nicht einmal den Anschein zu erwecken, dass man „Volkes Wille“ ernst nimmt.
Aber bleiben wir bei dem, was unter Links- und Rechtsextremen zu verstehen ist. Daraus wird gar kein Hehl gemacht: Die AfD und der Überraschungsaufsteiger, das Bündnis Sahra Wagenknecht. Und das musste in aller Deutlichkeit gleich einmal festgehalten werden, dass diese Partei sowohl rechts- als auch linksextremistisch ist und damit vollkommen inakzeptabel. Selbst wenn sich in den nächsten 16 Monaten herausstellen sollte, dass die Programme der AfD und der CDU doch eine größere Schnittmenge haben, als bisher zugegeben – das BSW kann da als auch linksextreme Partei auf gar keinen Fall mithalten.
Bei dieser Aussage kam sogar parteiintern Bewegung ins Spiel. Besonders die Parteifreunde aus dem Osten, wo noch in diesem Jahr drei Wahlen anstehen, wollen sich die Option nicht nehmen lassen, die populäre neue Partei BSW mit in die zu bildende Regierung zu nehmen. So wie die Prognosen im Augenblick aussehen, taugt das BSW vermutlich allein zur Mehrheitsbeschafferin, ohne dass noch eine der altetablierten Parteien dazu gebeten werden muss.
Eine interessante Einschätzung übrigens: links- UND rechtsextrem. Wäre das dann nicht die „Mitte“ von Rändern, oder im Volksmund: Vernünftig?
Aber Herr Merz hat Glück, er muss das nicht erklären. Seine Wähler haben sich dank der politischen Statements in den Mainstreammedien schon so an den Terminus „Rechts- und linksextrem“ gewöhnt, dass ihnen allein bei der Erwähnung von einem der beiden Extreme schon die Gesichtszüge entgleisen. Herr Klingbeil von der SPD darf ja auch „Nazi“ vor laufender Kamera zur Vorsitzenden der AfD sagen, ohne dass ein Aufschrei durch das Land schallt. Das ist die neue Realität, oder besser: Der ganz normale Irrsinn.
Da die CDU und ihr voraussichtlicher Kanzlerkandidat Friedrich Merz bereits beim Auswahlverfahren angekommen ist und es ja unter diesen Umständen wirklich nicht leicht ist, Mehrheiten aus dem Topf zu zaubern, möchte man ihm zurufen: Bilden Sie, wenn es denn dazu kommt, eine Minderheitsregierung und lockern Sie die Parteiräson.
Das erspart uns allen viel unappetitlichen Hickhack nach der Wahl und dann schau’n wir einfach mal, was geht. Man darf gespannt sein.
Text von Ute Stürmer