Es ist eine symbolische Grossoffensive im Namen der „Kriegstüchtigkeit“: Deutschland hat wieder einen nationalen Veteranentag. Alljährlich am 15. Juni soll dieser Tag nun begangen werden.

Dies ist ein konkretes Ergebnis der seit dem russischen Einmarsch in die Ukraine immer wieder ausgerufenen „Zeitenwende“ – und von beachtlicher Tragweite, da es eine revanchistische geschichtspolitische Zäsur markiert.Es gibt allerdings keine eindeutige offizielle Definition – und schon gar keine überzeugende -, wer Veteran ist (Wissenschaftliche Dienste Deutscher Bundestag, 3000-105/ 18 vom 9. Juli 2018). Irgendwas mit altgedienten, um nicht zu sagen ausgemusterten Soldaten eben. Die Beschränkung auf ehemalige Bundeswehr-Soldaten, die die damalige Bundesverteidigungsministerin von der Leyen Ende 2018 dann in einem Tagesbefehl via „Bild am Sonntag“ verkünden liess, wirkt willkürlich, zumal es ja auch die Nationale Volksarmee (NVA) in der DDR gab.

Insofern ist der Beginn der Erhebung eines Kalendertages zum deutschen Veteranentag nun gut gewählt: ehemalige Soldaten, das wären schliesslich, beispielsweise, auch jene der Wehrmacht. Veteranen der Wehrmacht machten sich übrigens schon 1949 an den Aufbau einer Geheimarmee, die der kommunistischen Gefahr aus dem Osten – auch damals das Hauptfeindbild – widerstehen sollte. Federführend dabei war der Wehrmachts-Veteran und spätere, mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnete Bundeswehr-Heeresinspekteur Albert Schnez.Biologisch ist dieser gedenkpolitische Ernstfall nun wohl weitestgehend gelöst. Auch Schnez starb 2007. Die Zahl der nach Wehrmachtsangehörigen benannten Bundeswehreinrichtungen geht seit Mitte der 1990er Jahren ebenfalls – endlich – zurück. Aber eben: wenn die Bundesregierung nun von 10 Millionen ehemaligen Soldaten spricht (wohlweislich: ehemalige Soldaten der Bundeswehr), so sind von jenen, die in den 1950ern oder 60ern den Dienst antraten, auch etliche nicht mehr unter den Lebenden.Um als Veteran geehrt zu werden, muss man also nicht mehr leben. Alte Krieger, kalte Krieger. Womit wieder eine offene Flanke zu den Soldaten der Wehrmacht gegeben ist, wenngleich nach offizieller Diktion nun Wehrmacht-Angehörige „nur“ geehrt werden sollen, wenn sie ihren Militärdienst in der Bundeswehr abermals aufgriffen (siehe Schnez) – gemäss der „Rot = Braun“-Totalitarismustheorie somit den ehemaligen NVA-Soldaten gleichgestellt, für die eben dies gilt.Jedenfalls wurde angesichts grosser Empörungs-Demonstrationen noch vor Kurzem anlässlich rechter „Remigrations“-Pläne auffallend wenig wahrgenommen, was für eine grosse Koalition nun den Veteranentag befürwortete. Der Bundestag stand stramm: neben SPD, FDP, Grünen, CDU und CSU waren eben auch die Abgeordneten der AfD dafür (warum wohl?), einzig die vaterlandslosen Linken verweigerten sich der symbolischen Gedenk-Aufrüstung. Auch wenn ich mich keiner parteipolitischen Präferenz verdächtig machen will, so ist „vaterlandslos“ hier ein Prädikat. Denn natürlich ist so ein Tag ohne Nationalismus als ideologischen Kitt sinnfrei, gälte dies doch als Verrat gegenüber jenen, die das Leben für das Land gaben.„Wer nicht nationalistisch ist, beschmutzt das Andenken der gefallenen Helden – dieser armen, missbrauchten, gefallenen Helden, die alle gern noch gelebt hätten“ (Erich Maria Remarque: Der schwarze Obelisk). Und wenn nun „das Verständnis und Bewusstsein in der Gesellschaft für die Leistungen, Entbehrungen und Opfer, die mit dem Militärdienst verbunden sind“ (so der Antrag für den Veteranentag) gestärkt werden sollen, so ist diese allgemeine Formulierung allemal weit nach rechts anschlussfähig.

SPD-Parteioffizier Johannes Arlt – als Offizier war er auch bei der Bundeswehr – ist ganz rührselig angesichts des Gedenktages: „Wir haben sehr lange dafür gekämpft“. Das ist allerdings nur bedingt richtig. Als nämlich der damalige Verteidigungsminister de Maizere (CDU) 2012 einen Veteranentag anregte, waren nicht nur die Linken, sondern auch SPD und Grüne dagegen – die waren damals auch noch in der Opposition. De Maizere hatte aber auch etwas ungeschickt argumentiert: er wollte die Erinnerung an die bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr gestorbenen Soldaten hervorheben. Das klang manchen vielleicht gar zu sehr nach Heldengedenktag. Von wegen „auf dem Feld der Ehre gefallen“. Wobei der Gefallenen-Begriff ein blanker Euphemismus ist: man wird als Soldat zum Töten ausgebildet, man mordet – oder wird ermordet. Aber man stolpert nicht mal eben – so klingt das mit dem Fallen ja.

Natürlich, wenn die Nation meint, es fehlte an Gedenktagen, so hätte es andere Möglichkeiten gegeben. Man könnte auf die Idee kommen angesichts der Menschen, die als „Kollateralschäden“ in Kriegen getötet werden doch lieber einen Antikriegstag einzurichten. Aber in Zeitenwende-Zeiten gilt das Primat eben dem Militär, nicht den Zivilpersonen. Trotz immer krasser werdendem Pflegenotstand nicht geehrt werden – wohl aus selbigem Grund – nun die ehemaligen Zivildienstleistenden.

Ebenso fehlt bis heute ein Gedenktag für jene, die sich dem Wahnsinn des Krieges widersetzten, oft genug unter Einsatz ihres Lebens – den Deserteuren. Endlich den 8. Mai als Tag der Befreiung vom Faschismus offiziell zu feiern (wie dies in einigen Ländern, etwa den Niederlanden, Frankreich, Tschechien und der Slowakei schon geschieht) wäre ein wichtiges Symbol der historischen Verantwortung der Täternation gewesen, und es hätte auch den Lippenbekenntnissen der deutschen Politiker*innen „gegen Rechts“ mehr Glaubwürdigkeit gegeben. Zumal: nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus – jahrzehntelang war im öffentlichen Bewusstsein präsent, dass das eine ohne das andere nicht zu haben ist. Insofern ist der Veteranentag eine geschichtspolitische Wende von grosser Bedeutung und Aussagekraft.

Warum aber der 15. Juni? Er war einfach noch „frei“. Gut, irgendwas ist immer. Am 15.Juni 1502 „entdeckte“ Christoph Kolumbus die Karibik-Insel Martinique, am 15. Juni 1908 wurde der Mafioso Sam Giancana geboren, und am 15. Juni 1924 rollte beim damals grössten Automobilhersteller Ford der zehnmillionste Wagen vom Band. Aber alles in allem wirkt das Datum doch eher ausgelost.

Die eigentlich naheliegende Überlegung, den Veteranentag mit dem Volkstrauertag zu würdigen, war wohl nicht opportun, da dieses Event dann doch zu sehr auf tote Soldaten fokussiert gewesen wäre. Auch der Verkündungstag des Grundgesetzes (12. Mai) und der Vereidigungstag der ersten Bundewehrsoldaten 1955 (12. November) standen zur Auswahl – wobei 2024 ja auch „75 Jahre Grundgesetz“ gefeiert werden, und die Väter (und nicht zuletzt Mütter!) des Grundgesetzes aus guten Gründen eine deutsche Armee gar nicht vorgesehen hatten.

Einen faden Tag wie den 15. Juni rauszusuchen, scheint zu unterstreichen, was einige Zeitungskommentatoren hervorhoben, denen ein Veteranentag offenbar noch nicht weit genug reicht: Deutschlands Versöhnung mit dem Militär kommt nur schleichend voran.

Doch wozu braucht es auch eine Versöhnung mit dem Militär? Vielleicht ist das Beste, was man über den Veteranentag am 15. Juni sagen kann, dies: es ist eine Provokation – und es ist somit ein Tag, den man wunderbar umwidmen kann in einen Aktionstag gegen Militär & Krieg. Eine Steilvorlage, die nicht ungenutzt bleiben sollte.

Gerald Grüneklee

 

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