Paris stellt für Donnerstag die Entscheidung über die Entsendung von mehreren hundert Soldaten in die Ukraine in Aussicht. Moskau kündigt harte Reaktionen an, hochrangiger Offizier warnt vor Drittem Weltkrieg.

BERLIN/PARIS/KIEW (Eigener Bericht) – Paris stellt für den morgigen Donnerstag die Entscheidung über die erste offizielle Entsendung französischer Soldaten in die Ukraine in Aussicht. Demnach sollen mehrere hundert französische Militärausbilder zur Durchführung von Trainingsmaßnahmen für ukrainische Soldaten ins Kriegsgebiet geschickt werden. Die Details würden zuvor von einem Vorauskommando aus einigen Dutzend Militärs geklärt, ist zu hören. Ein französischer Oberst a.D., der zwei Präsidenten seines Landes beraten hat, bestätigt erstmals, dass französische Soldaten längst in der Ukraine präsent sind – allerdings bislang lediglich verdeckt und in geringer Zahl. An der jetzt geplanten Truppenentsendung beteiligen sich eventuell auch Soldaten aus Polen, Tschechien und wenigstens einem der baltischen Staaten, wird berichtet; von einer „Koalition der Willigen“ ist die Rede. Russland kündigt harte Reaktionen an und erklärt, Militärausbilder aus Drittstaaten würden in der Ukraine zur „Zielscheibe“ für die russischen Streitkräfte. Ein erfahrener Offizier warnt vor dem „Einstieg in den Dritten Weltkrieg“. Die Kulisse für die Bekanntgabe der Entscheidung sind die Feiern zum 80. Jahrestag der Landung der Alliierten in der Normandie.

Geschichte wird entsorgt

Dass die Entscheidung über einen faktischen Eintritt Frankreichs und womöglich weiterer EU-Staaten in einen Krieg gegen Russland am Rande der Feiern zum 80. Jahrestag der Landung der Alliierten in der Normandie fallen soll, ist grotesk. Am 6. Juni 1944 landeten insbesondere US-amerikanische und britische, aber auch französische und polnische Truppen an der nordfranzösischen Küste, um die deutsche Besatzung zu beenden und Frankreich zu befreien. An der Seite der westlichen Alliierten kämpfte in Osteuropa unter hohen Opfern die Sowjetunion. Paris hat den Botschafter Russlands, des Nachfolgestaates der Sowjetunion, explizit von den Feiern ausgeladen. Eingeladen hat es hingegen Olaf Scholz, den Kanzler des Rechtsnachfolgers der damaligen deutschen Besatzer. Ebenfalls eingeladen hat es den Präsidenten der Ukraine, Wolodymyr Selenskyj, obwohl die heutige Ukraine dem NS-Kollaborateur Stepan Bandera höchste Ehren erweist. Es feiern in der Normandie demnach Nachfahren der Täter und Anhänger von deren Kollaborateuren, während ein zentraler damaliger Alliierter, Moskau, ausgesperrt wird.[1]

„Schon lange in der Ukraine“

Französische Soldaten sind „schon seit langem vor Ort“ in der Ukraine tätig. Dies bestätigt Oberst a.D. Peer de Jong, ein ehemaliger Berater der französischen Präsidenten François Mitterrand und Jacques Chirac sowie Ex-Kommandeur des 3. Marineinfanterie-Regiments der französischen Streitkräfte, der heute als Vizepräsident des Pariser Institut Themiis tätig ist.[2] De Jong zufolge handelt es sich dabei um einen durchaus üblichen Vorgang, der seine Ursache in der Lieferung komplexer Waffensysteme an die Ukraine hat. Demnach werden derlei Lieferungen – es geht etwa um die französische Haubitze CAESAR – gewöhnlich um die Entsendung einer geringen Zahl an Militärs ergänzt, die den Umgang mit den Waffen beherrschen und unerfahrene Kräfte unterstützen können. Dabei muss es sich keinesfalls um reguläre Soldaten handeln. Wie die ultrarechte Zeitschrift Valeurs actuelles unter Berufung auf de Jong berichtet, sind mehrmals auch Zivilisten oder Mitarbeiter privater Militärfirmen als Begleitpersonal für die Waffenlieferungen in die Ukraine geschickt worden. Zuweilen hätten auch französische Militärausbilder ukrainische Trupps, die sich zum Training in Frankreich aufgehalten hätten, zurück in die Ukraine begleitet, bestätigte ein Ex-Militärausbilder dem Blatt.[3]

„Vorerst“ keine Kampftruppen

Laut de Jong hat die jetzt wohl bevorstehende Entsendung französischer Soldaten eine neue Qualität, da sie nicht mehr nur wenige, sondern eine beträchtliche Zahl an Franzosen umfasst, die zudem nicht mehr klammheimlich, sondern ganz offiziell in die Ukraine verlegt werden. Die Maßnahme ist laut Berichten am 20. Mai beim Besuch von Generalstabschef Thierry Burkhard in Kiew besprochen und Anfang vergangener Woche in einem Telefongespräch von Verteidigungsminister Sébastien Lecornu mit seinem ukrainischen Amtskollegen Rustem Umerow im Kern beschlossen worden.[4] Demnach soll zunächst eine kleine Gruppe Militärs in die Ukraine geschickt werden, um dort präzise Handlungsoptionen zu ermitteln; von „ein paar Dutzend“ ist die Rede. Anschließend sollten mehrere hundert Soldaten entsandt werden, heißt es. „Vorläufig“ gehe es nicht um Kampftruppen, wird Élie Tenenbaum, Direktor des Centre des Études de Sécurité am Institut français des relations internationales (Ifri) zitiert; es gehe zunächst nur darum, die Ausbildung ukrainischer Einheiten in größerer Nähe zur Front durchzuführen.[5] Damit spare man kostbare Zeit und könne die Trainingsmaßnahmen zudem besser auf die Gegebenheiten des Geländes im Kriegsgebiet ausrichten, erklärt Tenenbaum.

Nur „ein erster Schritt“

Frankreich werde voraussichtlich nicht allein Soldaten ins Kriegsgebiet entsenden, berichtet Tenenbaum. Es sei bekannt, dass weitere Staaten ähnliche Absichten verfolgten – etwa Polen, Tschechien, „zweifellos mehrere baltische Staaten“, auf jeden Fall aber Estland. Denkbar sei es, eine „Koalition der Willigen“ zu bilden und den Einsatz von einem Staat – mutmaßlich Frankreich – koordinieren zu lassen. Der Ifri-Mitarbeiter Léo Péria-Peigné urteilt, man werde allerlei Einschränkungen hinnehmen müssen; so werde man weder allzu nahe an der Front noch unter offenem Himmel trainieren können, um die Gefahr russischer Angriffe wenigstens zu reduzieren.[6] Vorstellbar seien Ausbildungsmaßnahmen, die in überdachter Umgebung durchzuführen seien, so etwa Ausbildung in der Instandhaltung von Kriegsgerät, in der Kommandoführung oder auch in der Minenräumung. „Interessant“ sei es allerdings, das alles „als einen ersten Schritt zu betrachten“ und genau zu beobachten, ob es letzten Endes „auf etwas anderes“ hinauslaufen könne, sobald man einmal in der Ukraine präsent sei.

„Eine legitime Zielscheibe“

Während es heißt, die endgültige Entscheidung über die Truppenentsendung in die Ukraine werde am morgigen Donnerstag am Rande der Feiern zum 80. Jahrestag der Landung der Alliierten in der Normandie fallen, kündigt Russland bereits jetzt harte Reaktionen an. „Kein Ausbilder, der sich mit dem Training ukrainischer Militärs beschäftigt, hat Immunität“, ließ sich am gestrigen Dienstag der Sprecher des russischen Präsidialamts, Dmitri Peskow, zitieren.[7] Außenminister Sergej Lawrow äußerte am Rande eines Besuches in der Republik Kongo, französische Militärs stellten – unabhängig davon, ob es sich bei ihnen „um Soldaten der französischen Armee oder um Söldner“ handle – „eine völlig legitime Zielscheibe für unsere Streitkräfte dar“. Der Druck auf Russland, militärisch gegen die jetzt angekündigten französischen Soldaten einzuschreiten, steigt umso mehr, als in Paris – wie erwähnt – offen davon die Rede ist, bei der Entsendung von Ausbildern handle es sich womöglich nur um einen „ersten Schritt“, dem weitere folgen könnten.

Kriegspartei

Vor den Konsequenzen hat in der vergangenen Woche Oberst a.D. Ralph D. Thiele gewarnt, der im Verlauf seiner Karriere unter anderem im Planungsstab des Verteidigungsministeriums und als Stabschef am NATO Defense College tätig gewesen ist. Thiele konstatiert, dass sich einige westliche Staaten „mit eigenen militärischen Kräften“ in der Ukraine betätigen wollen. „Praktisch bedeutet das: Die dafür eingesetzten westlichen militärischen Einheiten übernehmen Schlüsselaufgaben der ukrainischen Streitkräfte“, hält der Oberst a.D. fest – „sie werden zur Kriegspartei und absehbar auch zum Ziel russischer Angriffe“.[8] Thiele urteilt mit Blick auf das Kriegsgeschehen, „ein für die Ukraine positiver Ausgang dieses Konflikts“ sei „nicht mit militärischer Hilfe möglich“; aufgrund ihrer „prekären militärischen Lage“ sei für die Ukraine vielmehr „ein Waffenstillstand … dringlich“. „Die Alternativen dazu sind Wunschdenken“, hält Thiele fest, der mit Blick auf die Entsendung westlicher Truppen in die Ukraine vor einem „Einstieg in den Dritten Weltkrieg“ warnt.

Mehr zum Thema: Die Erweiterung des Schlachtfelds.

 

[1] D-Day: What you need to know about the 80th anniversary ceremony. reuters.com 03.06.2024.

[2], [3] Gaspard de Malherbe: Guerre en Ukraine : « Cela fait déjà longtemps qu’il y a des Français sur place ». valeursactuelles.com 03.06.2024.

[4] Michaela Wiegel: Ausbildung im Kriegsgebiet. Frankfurter Allgemeine Zeitung 01.06.2024.

[5], [6] L’envoi de soldats français en Ukraine se précise. rfi.fr 02.06.2024.

[7] “Aucun instructeur“ français n’aura “d’immunité” en Ukraine, prévient la Russie. france24.com 04.06.2024.

[8] Ralph D. Thiele: „Einstieg in 3. Weltkrieg“: Experte warnt Nato-Länder wegen Hilfe für Ukraine vor Ort. focus.de 29.05.2024.

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