Rheinmetall boomt und will zum „Worldwide Player“ in der Rüstungsbranche werden. Konzernchef Papperger erklärt, ein „europäisches Systemhaus“ könne zu den drei größten US-Rüstungsriesen aufschließen.
Der Rüstungskonzern Rheinmetall kündigt vor seiner diesjährigen Hauptversammlung am heutigen Dienstag an, er wolle zum „Worldwide Player“ in der Rüstungsindustrie aufsteigen. Grundlage ist ein rasanter Anstieg der Produktion von Waffen und Munition, der durch den Ukraine-Krieg ausgelöst wurde und Umsatz sowie Profit der Düsseldorfer Waffenschmiede in die Höhe schnellen lässt. Deren Rüstungssparte konnte ihren Umsatz im vergangenen Jahr auf 5,69 Milliarden Euro steigern und dabei einen Gewinn von 828 Millionen Euro erzielen – erheblich mehr als noch 2021 (491 Millionen Euro). Das Geschäft scheint mit einem Auftragsbestand, der bis Jahresende 60 Milliarden Euro erreichen könnte, auf Jahre gesichert. Die Aufträge gehen zum guten Teil auf das 100 Milliarden Euro schwere „Sondervermögen“ zurück, von dem Rheinmetall voraussichtlich rund ein Drittel erhält. Konzernchef Armin Papperger plädiert zudem dafür, „ein europäisches Systemhaus“ zu gründen, das einen Jahresumsatz von 30 bis 35 Milliarden Euro erzielen und damit zu US-Branchenriesen wie etwa Northrop Grumman oder Raytheon aufschließen könnte. Parallel nimmt die Bedeutung der Rüstungsbranche für Politik und Gesellschaft zu.
Munitionsproduktion verzehnfacht
Rheinmetall befindet sich seit dem Beginn des Ukraine-Kriegs in einem fast beispiellosen Wachstumsprozess. Der Konzern hat etwa die Herstellung von Artilleriemunition, die im Jahr 2021 noch bei ungefähr 70.000 Schuss lag, drastisch gesteigert und will bis Ende 2024 eine Jahresproduktion von 700.000 Schuss erreichen. Auf lange Sicht sind sogar 1,1 Millionen Schuss pro Jahr geplant. Allein die Produktion von Panzermunition, die vor dem Krieg bei 20.000 bis 30.000 Schuss pro Jahr lag, könne auf 150.000 bis 200.000 Schuss aufgestockt werden, teilt Konzernchef Armin Papperger mit.[1] Möglich wird dies nicht zuletzt durch den Bau neuer Fabriken etwa in Unterlüß oder in Litauen; als litauischer Standort wurde zuletzt Radviliškis unweit Šiauliai genannt. Auch im ungarischen Várpalota südwestlich von Budapest errichtet Rheinmetall eine neue Munitionsfabrik; zudem hat das Unternehmen Ende 2022 den spanischen Munitionshersteller Expal übernommen.[2] Noch weitere neue Werke sind in Planung; so entsteht in Weeze am Niederrhein eine Fabrik, in der ab kommendem Jahr Rumpfteile für den US-Kampfjet F-35 hergestellt werden sollen. In den schon bestehenden Fabriken wird die Produktion zusätzlich nach Kräften hochgefahren.
Auftragsbestand verdoppelt
Die rapide in die Höhe schnellende Produktion schlägt sich unmittelbar in rasant steigenden Umsatzzahlen nieder. War der Umsatz von Rheinmetall von 2019 bis 2021 noch geschrumpft – von 6,26 auf 5,66 Milliarden Euro –, so lag er 2023 bereits bei 7,2 Milliarden Euro; dieses Jahr wird er laut Schätzung von Papperger annähernd zehn Milliarden Euro erreichen.[3] Für 2026 ist von einem Umsatz von 13 bis 14 Milliarden Euro die Rede, vielleicht auch mehr. Grundlage sind stets neu eingehende Aufträge, die den Auftragsbestand des Konzerns schnell wachsen lassen. Gegenwärtig ist von Aufträgen im Wert von mehr als 32 Milliarden Euro die Rede; allein Munitionsbestellungen belaufen sich Berichten zufolge auf einen Wert von gut 7,1 Milliarden Euro. In diesem Jahr könnten Papperger zufolge weitere Aufträge im Wert von bis zu 30 Milliarden Euro hinzukommen.[4] „Ich erwarte, dass wir Ende des Jahres etwa 60 Milliarden Euro Auftragsbestand haben“, teilte der Konzernchef kürzlich mit.[5] Dazu tragen nicht zuletzt die Bestellungen der Bundeswehr bei, die zum guten Teil aus dem sogenannten Sondervermögen von 100 Milliarden Euro finanziert werden. Papperger zufolge wird der Konzern zwischen 30 und 40 Milliarden davon kassieren [6], mehr als jedes andere Rüstungsunternehmen.
Auf Augenhöhe mit den Branchenriesen
Darauf aufbauend strebt Rheinmetall den raschen Aufstieg in die erste Liga der globalen Rüstungskonzerne an. Im Jahr 2022 hatte das Unternehmen auf der SIPRI-Rangliste der 100 größten Rüstungsfirmen weltweit mit einem Rüstungsumsatz von 4,55 Milliarden US-Dollar auf Platz 28 gelegen.[7] Bereits 2023 ist es dem Konzern nun aber gelungen, seinen Rüstungsumsatz – Rheinmetall besitzt auch eine kleinere, schnell an Bedeutung verlierende zivile Sparte – auf ein Volumen von 5,69 Milliarden Euro zu steigern. Damit ist das Unternehmen zwar noch meilenweit von den US-Branchenspitzen entfernt, die im Jahr 2022 Rüstungsumsätze von 32,3 Milliarden US-Dollar (Northrop Grumman), 39,6 Milliarden US-Dollar (Raytheon) oder gar 59,4 Milliarden US-Dollar (Lockheed Martin) erzielten. Ein Aufschließen zu den kontinentaleuropäischen Spitzenkonzernen Thales (Frankreich, 9,4 Milliarden US-Dollar Jahresumsatz 2022) und Leonardo (Italien, 12,5 Milliarden US-Dollar Jahresumsatz 2022) scheint aber nicht mehr ausgeschlossen. Papperger schlug kürzlich vor, auf EU-Ebene einen Zusammenschluss vorzubereiten bzw. „ein europäisches Systemhaus zu gründen“. Mit einem Jahresumsatz in Höhe von 30 bis 35 Milliarden Euro könne es auf Augenhöhe mit den US-Marktführern operieren.[8]
Hoffnungsmarkt USA
Dabei setzt Rheinmetall in wachsendem Maß auch auf den US-amerikanischen Absatzmarkt – den größten Rüstungsmarkt der Welt. Da die Aufträge aus dem Berliner „Sondervermögen“ erst mit Verzögerung eintreffen und der Rheinmetall-Umsatz in Deutschland 2023 bei 1,72 Milliarden Euro stagnierte, verdankt der Konzern die Steigerung seines Umsatzes vor allem der Zunahme seines Umsatzes im übrigen Europa um rund 50 Prozent auf 3,40 Milliarden Euro.[9] Der Absatz in Asien, vor allem im Nahen und Mittleren Osten, ging dagegen zurück und lag nur noch ein wenig über 800 Millionen Euro. Der Absatz in den Vereinigten Staaten stieg von knapp 440 Millionen Euro im Jahr 2000 auf fast 600 Millionen Euro 2023 – und könnte dramatisch weiter wachsen. Rheinmetall ist es im vergangenen Jahr gelungen, bei der Bewerbung um die Herstellung eines Nachfolgemodells für den US-Schützenpanzer Bradley in die Endauswahl zu gelangen, wo er bloß noch mit dem US-Konzern General Dynamics konkurriert. Dabei ist inzwischen die Detailplanung angelaufen; anschließend muss die Düsseldorfer Waffenschmiede sieben bis elf Prototypen des Schützenpanzers bauen.[10] Die Entscheidung des Pentagon wird für Ende 2026 erwartet. Das Gesamtvolumen des Auftrags beläuft sich voraussichtlich auf 45 Milliarden US-Dollar.
Der Einfluss der Rüstungsindustrie
Mit dem rasanten Wachstum von Rheinmetall und weiteren deutschen Rüstungskonzernen nimmt die gesamtwirtschaftliche Bedeutung der deutschen Rüstungsindustrie in hohem Tempo zu. Laut Angaben des Informationsdiensts des Instituts der deutschen Wirtschaft (iwd) aus Köln beschäftigte die Branche im Jahr 2020 gut 55.500 Personen, und sie erwirtschaftete einen Umsatz von knapp 11,3 Milliarden Euro.[11] Dies waren damals ungefähr 0,33 Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts (BIP). Allerdings kamen noch Hersteller von Dual Use-Waren sowie Unternehmen, die nichtmilitärische Produkte zur Weiterverarbeitung an Rüstungsfirmen lieferten, hinzu. Mit der Fertigung von Waffen und Munition wie auch von militärischen Kampffahrzeugen waren im Jahr 2020 insgesamt rund 23.000 Personen unmittelbar befasst. Wie stark die Zahl der Beschäftigten in der Rüstungsproduktion zuletzt zugenommen hat, zeigt das Beispiel Rheinmetall: Arbeiteten im Jahr 2013 noch rund 10.100 Personen in der Rüstungssparte des Unternehmens, so lag ihre Zahl im Jahr 2023 schon bei fast 15.600 – und das mit rasch steigender Tendenz.[12] Diese Entwicklung ist nicht auf Rheinmetall beschränkt. Mit ihr nimmt auch der politische und soziale Einfluss der Rüstungsindustrie zu.
[1] Björn Finke, Thomas Fromm: „Wir sind keine Kriegsgewinnler“. Süddeutsche Zeitung 11.05.2024.
[2] S. dazu „Wie die USA im Zweiten Weltkrieg“.
[3] Rheinmetall sieht sich auf dem Weg zum „Worldwide Player“. n-tv.de 03.05.2024.
[4] Roman Tyborski, Christoph Schlautmann: Rheinmetall ist auf dem Weg zum europäischen Rüstungsgiganten. handelsblatt.com 13.05.2024.
[5] Rheinmetall sieht sich auf dem Weg zum „Worldwide Player“. n-tv.de 03.05.2024.
[6] Björn Finke, Thomas Fromm: „Wir sind keine Kriegsgewinnler“. Süddeutsche Zeitung 11.05.2024.
[7] The SIPRI Top 100 Arms-Producing and Military Services Companies, 2022. Solna, December 2023. S. auch Vor dem Rüstungssturm.
[8] Rheinmetall sieht sich auf dem Weg zum „Worldwide Player“. n-tv.de 03.05.2024.
[9] Umsatz der Rheinmetall AG nach Regionen von 2013 bis 2023. de.statista.com 14.03.2024.
[10] Milliardenschwerer US-Panzerauftrag: Rheinmetall kommt in Endauswahl. handelsblatt.com 07.08.2023.
[11] Deutsche Rüstungsindustrie: Eine Branche im Umbruch. iwd.de 29.03.2022.
[12] Roman Tyborski, Christoph Schlautmann: Rheinmetall ist auf dem Weg zum europäischen Rüstungsgiganten. handelsblatt.com 13.05.2024.