EU steht vor Verlust von Privilegien in Senegal, unter anderem beim Fischfang. Die neue Regierung in Dakar strebt nach echter Unabhängigkeit von den Ex-Kolonialmächten – wie die Regierungen in Mali, Burkina Faso und Niger.

Die EU und ihre Mitgliedstaaten stehen vor einem Verlust bisheriger Privilegien in Senegal. Ursache ist, dass die dort zu Monatsbeginn neu ins Amt gekommene Regierung darauf besteht, die Souveränität ihres Landes zu stärken sowie den Ausverkauf seiner Ressourcen – von den Erdgasvorräten bis zu den Fischbeständen – zu stoppen. Unter anderem wollen Präsident Bassirou Diomaye Faye und Ministerpräsident Ousmane Sonko den an den Euro gebundenen Franc CFA durch eine neue eigene Währung ersetzen und bestehende Verträge über die Erdgasföderung sowie über den Fischfang vor der senegalesischen Küste zugunsten ihres Landes neu verhandeln, darunter insbesondere auch Vereinbarungen mit der EU. EU-Ratspräsident Charles Michel war am Montag zu ersten Gesprächen in Dakar. Präsident Diomaye Faye hatte die Wahl in Senegal vor einem Monat nicht zuletzt deshalb gewonnen, weil er für größere Unabhängigkeit von Frankreich und den anderen westlichen Mächten eintritt. Senegal folgt einem Trend, der in Mali, Burkina Faso und Niger zum Durchbruch gekommen und mit einem rasanten Einflussverlust der europäischen Mächte, auch Deutschlands, in Westafrika verbunden ist.

Gegen die alten Eliten

Senegals neue Regierung ist Anfang April nach langen und heftigen Auseinandersetzungen ins Amt gekommen. Sie entstammt der Partei PASTEF (Patriotes africains du Sénégal pour le travail, l’éthique et la fraternité), die Anfang 2014 von Ousmane Sonko gegründet worden war; Sonko machte sich vor allem als Kämpfer gegen die Korruption der eng mit Paris kooperierenden senegalesischen Eliten einen Namen. 2021 wurde er auf der Grundlage von Vorwürfen, die er selbst und seine Anhänger als fingiert einstufen, angeklagt und 2023 schließlich zu einer Haftstrafe verurteilt. Dies löste schwere Proteste in der Bevölkerung aus, die wiederum Senegals damalige Regierung unter Präsident Macky Sall zum Anlass nahm, am 31. Juli 2023 die offizielle Auflösung von PASTEF wegen angeblicher Unruhestiftung zu verfügen.[1] Die weiter aktiven PASTEF-Strukturen, jetzt oft als „Ex-PASTEF“ bezeichnet, ernannten am 19. November 2023 als Ersatz für ihren inhaftierten Vorsitzenden Sonko Bassirou Diomaye Faye zu ihrem Kandidaten für die Präsidentenwahl.[2] Diomaye Faye war zwar zuvor gleichfalls unter dubiosen Vorwänden inhaftiert und vor Gericht gestellt worden [3], saß aber nur in Untersuchungshaft und durfte im Unterschied zu dem rechtskräftig verurteilten Sonko noch kandidieren.

Sieg im ersten Wahlgang

Die Auseinandersetzungen spitzten sich zu, als Senegals Präsident Sall am 3. Februar 2024 die für den 25. Februar vorgesehene Präsidentenwahl unbestimmt verschob.[4] Ursache waren Befürchtungen in der Regierungspartei, man könne einen Verlust der Macht an die Ex-PASTEF und deren Kandidaten Diomaye Faye womöglich nicht verhindern. Nach massiven Protesten aus der senegalesischen Bevölkerung gegen die Wahlverschiebung und auf starken Druck auch aus dem Ausland hin – hätte man Sall einen kalten Putsch durchgehen lassen, dann wäre jede westliche Kritik an den Putschregierungen in Mali, Burkina Faso und Niger unglaubwürdig geworden – erklärte der senegalesische Verfassungsrat die Wahlverschiebung für ungültig und legte einen neuen Wahltermin auf den 24. März fest.[5] Knappe zehn Tage vor der Wahl, am 14. März, wurden Sonko und Diomaye Faye aus der Haft freigelassen.[6] Diomaye Faye konnte die Wahl schließlich mit 54,3 Prozent der Stimmen im ersten Wahlgang klar für sich entscheiden; der Hauptkandidat der alten senegalesischen Eliten hingegen erreichte bloß 35,8 Prozent. Diomaye Faye trat das Präsidentenamt am 2. April an und ernannte umgehend Sonko zum neuen senegalesischen Ministerpräsidenten.

Wut auf die Ex-Kolonialmacht

Der Wahlerfolg von Diomaye Faye und Sonko beruht in hohem Maß auf der seit Jahren anschwellenden Wut auf die ehemalige Kolonialmacht Frankreich sowie ihren fortdauernden neokolonialen Einfluss in den frankophonen Staaten Westafrikas. In den drei Sahelstaaten Mali, Burkina Faso und Niger hat diese Wut jeweils Militärregierungen an die Macht gespült, die ihre Vorgängerregierungen per Putsch stürzten, aber mit ihrem Versuch, tatsächliche Unabhängigkeit zu erlangen, in ihren Ländern weithin Popularität erlangt haben.[7] Auch in Senegal wächst der Unmut über Frankreich schon seit Jahren; Kolonialdenkmäler wurden gestürzt [8], und bei den Massenprotesten gegen die Inhaftierung von PASTEF-Gründer Sonko wurden insbesondere Filialen französischer Konzerne angegriffen und geplündert [9]. Eine Umfrage im Jahr 2020 ergab, dass 68 Prozent aller jungen Menschen in Senegal den Einfluss Frankreichs negativ bewerteten.[10] Zugleich zeigte sich, dass panafrikanische Einstellungen vor allem in Westafrika an Verbreitung gewannen. Eine klar gegen Frankreich gerichtete Grundstimmung reicht weit über die Sahelstaaten und Senegal hinaus; sie wird längst auch im Pariser Establishment mit erheblicher Sorge thematisiert.[11]

Schluss mit dem Ausverkauf

Senegals neuer Präsident Diomaye Faye und Ministerpräsident Sonko zielen mit ihren Regierungsvorhaben und mit ihren ersten konkreten Maßnahmen darauf ab, zum einen den Einfluss Frankreichs zurückzudrängen, zum anderen Senegals Souveränität so umfassend wie möglich zu stärken. So hat Diomaye Faye angekündigt, nicht nur den „Kampf gegen die Korruption“ voranzutreiben und eine „Senkung der Lebenshaltungskosten“ anzustreben; er will zudem die Abhängigkeit des Landes von Lebensmittelimporten so umfassend wie möglich reduzieren und dazu in die senegalesische Landwirtschaft investieren.[12] Zudem plant er den Ausstieg aus dem Franc CFA, der auf die Kolonialära zurückgehenden Währung, die einst fest an den Franc gebunden war und heute an den Euro gebunden ist und damit jegliche eigenständige Währungspolitik vollständig unmöglich macht. Den Ausstieg aus dem Franc CFA hatten erst kürzlich die Regierungen Malis, Burkina Fasos und Nigers als Ziel genannt. Diomaye Faye hat nicht zuletzt bestätigt, die Verträge mit ausländischen Konzernen zur Förderung von Erdgas vor der senegalesisch-mauretanischen Küste neu verhandeln zu wollen – mit dem Ziel, seinem Land einen größeren Anteil an seinen Reichtümern zu verschaffen.[13]

„Die Partnerschaft überdenken“

In diesem Sinn fordert Senegals neue Regierung auch eine Neuverhandlung der bestehenden Fischereiabkommen mit der EU. Für den westafrikanischen Küstenstaat hat die Fischerei traditionell große Bedeutung. Allerdings werden die Fangaktivitäten senegalesischer Fischer stark durch industriell arbeitende Fangflotten eingeschränkt, die aus dem Ausland kommen – darunter Mitgliedstaaten der EU. Die deutlich verschlechterten Aussichten einheimischer Fischer tragen dazu bei, immer mehr Senegalesen in die Emigration nach Europa zu treiben, um dort den Lebensunterhalt für sich und ihre Familien zu verdienen. Diomaye Faye will die bestehenden Fischereiabkommen mit der EU nun zugunsten von Senegals Fischern ändern. Während eines Besuchs von EU-Ratspräsident Charles Michel am Montag in Dakar erklärte Senegals Präsident, die Kooperation seines Landes mit der EU sei „dicht und vielgestaltig“; nun aber werde man gemeinsam „die Partnerschaft überdenken“.[14] Details sind bislang noch nicht bekannt. Klar ist jedoch, dass die Union und ihre Mitgliedstaaten, sollte Senegals neue Regierung sich durchsetzen, auf bisherige Privilegien werden verzichten müssen.

[1] Sénégal: le gouvernement dissout le parti de l’opposant Ousmane Sonko, 2 morts dans des manifestations. rfi.fr 31.07.2023.

[2] Sénégal: avec le plan Bassirou Diomaye Faye, la stratégie électorale du Pastef. rfi.fr 20.11.2023.

[3] Sénégal: le bras droit de l’opposant Ousmane Sonko arrêté et placé en garde à vue. rfi.fr 15.04.2023.

[4] Marième Soumaré: Présidentielle au Sénégal : Macky Sall acte le report de l’élection. jeuneafrique.com 03.02.2024.

[5] Présidentielle reportée au Sénégal : le Conseil constitutional s’aligne sur la date du 24 mars. lemonde.fr 07.03.2024.

[6] Au Sénégal, les opposants Ousmane Sonko et Bassirou Diomaye Faye sont sortis de prison. jeuneafrique.com 15.03.2024.

[7] S. dazu Auf dem Weg zur EigenständigkeitAuf dem Weg zur Eigenständigkeit (II) und Der nächste Hinauswurf aus dem Sahel.

[8] Paul Munzinger: Hauptsache, keine Franzosen. Süddeutsche Zeitung 18.09.2023.

[9] Cyril Bensimon: Au Sénégal, une colère antifrançaise très ciblée. lemonde.fr 25.03.2021.

[10] African Youth Survey 2020: The Rise of Afro-Optimism. Published by the Ichikowitz Family Foundation. 2020.

[11] Jean-Marc Simon: Le sentiment anti-français en Afrique. De quoi parle-t-on? revueconflits.com 14.06.2023.

[12] Sénégal : les chantiers prioritaires du prochain président Bassirou Diomaye Faye. lemonde.fr 01.04.2024.

[13] Renégociation des contrats d’hydrocarbures au Sénégal : l’option « risqué » du president Faye. lemonde.fr 22.04.2024.

[14] Sénégal : Bassirou Diomaye Faye plaide pour un partenariat « repensé » avec l’Europe. lemonde.fr 23.04.2024.

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