Bevor wir über die Rolle der Krisenerscheinungen in der Entstehung der modernen Krisen sprechen, ist es aus unser Sicht wichtig festzustellen, dass die Kriege eigentlich erstens aus der Natur des Herrschaftsmechanismus “DER STAAT” als solchen und zweitens aus den vielseitigen und vieldimensionalen Widersprüche des modernen Kapitalismus als Weltsystem resultieren.
Die meisten Analyse (auch von den Linken) sind eigentlich zu kurz und gehen nur ungenügend tief in die Wurzeln, da sie diese Komplexität normalerweise nicht ganz durchschauen.
Diese Widersprüche erscheinen auf verschiedenen Niveaus, und zwar auf einer globalen, regionalen, zwischenstaatlichen und innerstaatlichen Ebene, wobei der Drang nach Konkurrenz, Herrschaft, Dominanz und Expansion die eigentliche Natur des Kapitalismus und die eigentliche Rahmen seiner Existenz bilden.
Wenn die Rede z.B. über den Krieg in der Ukraine geht, so muss man vor allem die globalen Systemrahmen berücksichtigen. Diese bestehen in der schrittweisen Formierung von zwei konkurrierenden machtpolitisch-militären Blöcke und zwar eines niedergehenden um die USA und anderes im Aufwärts um China. Es ist klar, dass ihre endgültige Zusammensetzung noch nicht vollständig ausgearbeitet ist – dies kann noch ein paar Jahrzehnte dauern. Und es ist auch klar, dass innerhalb dieser Blöcke auch zwischen den Staaten Widersprüche und unterschiedliche Interessen bestehen bleiben. Ganz grob lässt sich dies mit den Entstehungsprozessen der Entente und des deutschen Blocks vor dem Ersten Weltkrieg vergleichen. Jeder ist bestrebt, neue Staaten in seinen Wirkungsbereich einzubeziehen und seinen Einflussbereich zu erweitern.
Darüber hinaus gibt es aus regionaler Sicht einen Kampf zwischen dem sozusagen Westlichen Block und Russland als Anwärter auf die regionale Hegemonie im postsowjetischen Raum um Kontrolle und Einfluss in der Region der ehemaligen Sowjetunion. Es geht um Dominanz, sowohl wirtschaftlicher als auch politischer, militärischer und so weiter. Hinzu kommen wirtschaftliche Widersprüche zwischen Europa und Russland, beispielsweise im Bereich der Energiestrategie.
Auf zwischenstaatlicher Ebene entsteht der Krieg in der Ukraine direkt aus dem Kampf zwischen den herrschenden Klassen und ihren Staaten, die auf dem Territorium der ehemaligen Sowjetunion entstanden. Dies ist ein Kampf um die Neuverteilung von bereits geteiltem Raum, Ressourcen usw.
Und schliesslich gehen wir auf die inländische Ebene zurück. Hier kommen wir zur Frage nach der Rolle der Krise beim Kriegsausbruch. Natürlich ist diese Krise global und systemisch. Dies ist die Sackgasse des staatlichen und kapitalistischen Systems selbst. Diese Krise hat weder heute noch gestern angefangen. Doch mittlerweile erleben wir fast überall auf der Welt ihre lawinenartige Verschärfung. Die Krise erfasst alle Lebensbereiche und geht mit einer schleichenden Faschisierung einher. Die Wirtschaft stolpert sozusagen, und der öffentliche Konsum wird nur durch Kreditblasen und den sogenannten „militärischen Keynesianismus“ gestützt.
Letzteres erfordert eine ständige Steigerung der Militärausgaben und der Waffenproduktion, und das Wettrüsten trägt unweigerlich zu Kriegen bei. Politisch funktionieren die alten Herrschaftsmethoden namens Demokratie nicht mehr, zumindest nicht mehr in gleicher Weise. Die Folge ist eine Krise der alten Eliten, eine schleichende Faschisierung und der Einzug konkurrierender Gruppen der herrschenden Klassen in die politische Arena in Form des Rechtspopulismus. In fast allen Ländern herrscht eine Vertrauenskrise gegenüber den Behörden und eine Legitimationskrise.
In solchen Situationen haben Staaten immer zum Krieg gegriffen. Sie müssen es erstens ermöglichen, die wachsende Unzufriedenheit der Bevölkerung abzulenken, indem sie auf einen äusseren Feind umgelenkt wird. Die mobilisierende Konsolidierung der Gesellschaft gegenüber einem äusseren Feind sollte die sogenannte „nationale Einheit“ und die Illusion „gemeinsamer Interessen verschiedener Klassen“ stärken.
Das heisst, das potenzielle Anwachsen des Klassenwiderstands zu verhindern. Zweitens sollte der siegreiche Ausgang des Krieges das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung stärken und ihr in den Augen der Massen neue Legitimität verleihen. In wirtschaftlicher Hinsicht ermöglicht der Krieg darüber hinaus eine Beschleunigung des Prozesses der Erneuerung des Anlagekapitals, und die Restauration nach dem Krieg verspricht neue enorme Gewinne für das Kapital.
Hier bedarf es einer Klarstellung, da oft gesagt wird, dass der Krieg für einige einflussreiche Gruppen des Grosskapitals unrentabel sei, da er ihre globalen Verbindungen und Interessen bedrohe. Das hört man zum Beispiel über russische Oligarchen. Daraus entsteht die illusorische Vorstellung von der Divergenz der wirtschaftlichen und politischen Interessen der herrschenden Klassen, von den Widersprüchen zwischen Staat und Kapital.
Ich möchte betonen, dass dies eine Illusion ist. Der kapitalistische Staat hat nie die Interessen jedes einzelnen Kapitalisten oder auch nur einer Gruppe von Kapitalisten zum Ausdruck gebracht. Der Staat ist ein konzentrierter Vertreter der Interessen der gesamten Kapitalistenklasse, was Konkurrenz und Interessenkonflikte innerhalb der Kapitalistenklasse keineswegs ausschliesst. Ein kapitalistischer Staat ist durchaus in der Lage, bestimmte Gruppen der Kapitalistenklasse zu unterdrücken, aber das macht ihn keineswegs unkapitalistisch oder insbesondere antikapitalistisch.
Darüber hinaus ist, wie der aktuelle Krieg in der Ukraine zeigt, mit der Position vermeintlich oppositioneller Gruppen des Grosskapitals nicht alles so einfach. So ist der Handel mit vielen der wichtigsten Exportgüter und Rohstoffe aus Russland nicht nur nicht rückläufig, sondern nimmt teilweise zu. Und sehr oft spielen dieselben sogenannten russischen Oligarchen, wie man im Schach sagen würde, auf beiden Brettern gleichzeitig.
Aber kommen wir zurück zur Frage der Krise. Generell kann man wohl sagen, dass die Verschärfung und Vertiefung der Krisen zu einer Zunahme der Häufigkeit und Schwere von Kriegen führt. Einer der Anreize für Staaten und herrschende Klassen ist in diesem Fall der Versuch, bei einem Erfolg, aus der Sackgasse der Krise herauszukommen, die die Machthaber mit sogenannten friedlichen Mitteln nicht lösen können.
Wenn sich der Krieg natürlich ohne erkennbare Aussicht auf ein Ende hinzieht, die Armee zur totalen Mobilisierung übergeht und die materiellen Schwierigkeiten unerträglich werden, beginnt sich die Stimmung in der Gesellschaft zu ändern. Es kommt zu spontanen Protesten, Unruhen, Streiks – und schon ist die Revolution nah. Genau das geschah im Ersten Weltkrieg. Es ist schwer zu sagen, wie möglich dies in Zukunft in Russland und der Ukraine sein wird. Im Westen, der bislang nur indirekt an diesem Krieg beteiligt ist, ist eine solche Entwicklung heute noch problematischer.
Es finden Klassenkämpfe statt, aber es ist unwahrscheinlich, dass die Arbeiterklasse derzeit beispielsweise zu einem allgemeinen Antikriegsstreik bereit ist. Und wenn es zu Massenprotesten gegen Kriege kommt, werden diese oft von Kräften organisiert, die eine der Kriegsparteien unterstützen. Dies ist leider bei Demonstrationen zum Krieg im Nahen Osten der Fall. Es gibt fast keine oder nur sehr wenige Demonstrationen, die beispielsweise fordern, den Krieg in der Ukraine nicht mehr zu unterstützen und die Parteien zu einem Waffenstillstand zu ermutigen.
Aber selbst wenn wir grundsätzlich sagen, dass nur der Massenkampf des Proletariats Kriege beenden kann, bedeutet das dann, dass es ausreicht, sich einfach mit dieser Schlussfolgerung zufrieden zu geben und nicht zu versuchen, etwas gegen diesen aktuellen Krieg zu unternehmen? Wir sind davon überzeugt, dass nein. Es ist nicht so.
Zunächst einmal besteht ein Unterschied zwischen der grundsätzlichen Beseitigung der Kriegsursachen und der Beendigung eines bestimmten Krieges. Ja, die Aussage, dass der kapitalistische Frieden streng genommen auch eine Form des Krieges ist, ist richtig. Aber in diesem Fall geht es nicht um „Frieden“, sondern darum, ein konkretes, andauerndes Massaker, den Massenmord an Menschen, zu stoppen. Es wäre grausam und unverantwortlich gegenüber den Hunderttausenden sterbenden Proletariern, einfach die Hände reinzuwaschen und zu sagen: „Im Moment kann man nichts tun.“ Proletarian Lives Matter!
Zweitens fallen das Ausmass des Klassenkampfes und das Klassenbewusstsein nicht vom Himmel. Ihre Entstehung ist kein automatischer Prozess. Der Kampf hat seine eigene Logik und seine eigene Dynamik. Konkrete und tagtägliche Klassen- und Gesellschaftskonflikte können zur Schule und Gymnastik für eine zukünftige soziale Revolution werden, wenn sie sich auf der Grundlage von Selbstorganisation und -Autonomie der Klasse entfalten und mit erhöhter Solidarität, der Bildung angemessener Kampfstrukturen und der Entwicklung von klassen- und revolutionären Bewusstsein einhergehen.
Natürlich denken wir als Anarchosyndikalisten dabei vor allem an den ökonomischen Klassenkampf. Aber auch der antimilitaristische Kampf kann hier eine Rolle von Schule und Gymnastik spielen. Es ist nur sehr wichtig, den eigentlichen antimilitaristischen Kampf nicht mit einer Unterstützung der einen oder anderen kriegführenden Seite zu verwechseln!
Was könnten internationalistische Sozialrevolutionäre jetzt tun, selbst wenn keine Aussicht auf eine unmittelbar bevorstehende Revolution besteht?
Die Strategie der sozialen Revolutionäre könne aus vier Teile bestehen:
a) “nicht mit den herrschenden Wölfe heulen”: d.h. keine Unterstützung der Staaten, des Krieges, der Nationalismen und jeglicher “Einheit der Nation” sowie jeglicher “Kollaboration der Klassen”. Der Schaden des Patriotismus, des Vaterlandes und der Idee, es zu schützen, sollte erklärt werden. Selbst nicht zur Armee gehen und womöglich auch die anderen Leute davon abbringen. Keine Teilnahme an den offiziellen patriotischen Massnahmen. Also eine Position “Ohne mich”
b) reale Kriegsgründe und ihre Klassenkonditionalität zu erklären (“es ist revolutionär, Wahrheit zu sagen”): Wir müssen erklären, in wessen Interesse der Krieg geführt wird und wer davon profitiert. Wir müssen erklären, dass die Arbeitsleute keinen Nutzen aus dem Krieg ziehen, dass es uns völlig gleichgültig ist, welche Sprache der Herr und der Boss sprechen und wo sie leben. Dieser Krieg wird vom Staat und dem kapitalistischen System erzeugt und man muss verstehen, dass wir den Krieg nicht loswerden können, ohne sie zu bekämpfen. Also: Krieg dem Kriege und dem System des Krieges!
c) praktische Aktivitäten gegen den Krieg (wie klein diese heute auch sein können!): Propaganda, Sabotage des Krieges und der Armeemobilisierung, praktische Solidarität mit den Deserteuren, Kriegsverweigerer, mit der Bevölkerung usw. In Ländern, die nicht direkt am Krieg beteiligt sind, kann dies neben der Unterstützung von Deserteuren auch Massnahmen umfassen, die darauf abzielen, Druck auf die Regierungen auszuüben, damit diese ihre Unterstützung für den Krieg einstellen, und im Gegenteil die Kriegsparteien zu ermutigen, das Feuer einzustellen. Um den unmittelbaren Verlust von Menschenleben zu verhindern, würde heute sogar die „koreanische Option“ ausreichen. Darüber hinaus wäre es, wie uns anarchistische Internationalisten in der Ukraine immer wieder gesagt haben, wichtig, wenn Druck auf den ukrainischen Staat ausgeübt würde, seine Grenzen zu öffnen und allen, die nicht kämpfen wollen, die Ausreise zu ermöglichen!
d) Partizipation (streng mit eigener Position) in den konkreten Klassenkonflikte, sozialen Kämpfe, eventuellen Proteste, Hungerrevolten usw. Wenn es zu solchen Unruhen und Aufständen kommt, dann kann man auch mit der internationalistischen Option der Zeit des Ersten Weltkriegs rechnen, also mit einem revolutionären Ende des Krieges.
Konföderation der Revolutionären Anarchosyndikalisten (KRAS)