Das Weltgeschehen dient der ständigen Suche nach der Frage, wie die Gesellschaft am besten aufgebaut und erhalten werden kann, gleichsam als Bühne, was ein grundlegendes Thema ist, das sich vor einigen Jahrzehnten in den Werken von Herbert Marcuse (1898 – 1979) wiederfindet, einem deutsch-amerikanischen Philosophen von herausragendem Ruhm in den 1960er Jahren, der als intellektueller Gigant seiner Zeit galt.

Charles Reitz, weithin anerkannt als Schüler von Herbert Marcuse, hat dessen Idee von einer wohlhabenden, gesunden Gesellschaft dadurch wiederbelebt, indem er in seinem Buch The Revolutionary Ecological Legacy of Herbert Marcuse (Das revolutionäre ökologische Vermächtnis von Herbert Marcuse), vorschlägt, dass „die Natur ein Verbündeter ist“. (Daraja Press, 2023, 284 Seiten)

Man kann aktuell den Standpunkt vertreten, dass in einer byzantinischen Welt von widerstreitenden Aspekten, als da sind (1) globaler Ultra-High-End-Kapitalismus, (2) Neofaschismus, (3) Rassismus, (4) Ablehnung des Establishments, (5) schwächelnde Demokratie, diese sich zu einem explosiven Gemisch miteinander verbinden und ein neues Kapitel der Menschheitsgeschichte aufschlagen, und nebenbei hoffentlich eine dauerhafte Fusionstechnologie (die wirklich funktioniert) entwickelt wird, was aber sicher noch Jahrzehnte dauern kann, um die globale Erwärmung dadurch zu bremsen.

Die Werke von Herbert Marcuse sind hochaktuell bezogen auf ein Wiedererstarken einer Neuen Linken und könnten in der heutigen Welt dafür wichtig sein, einen Anschein von Vernunft wiederherzustellen, indem sie für eine geopolitischen Ordnung, die völlig konfus und richtungslos zu sein scheint und in der sich alle gegenseitig an die Gurgel gehen, ein Gleichgewicht herstellen.

Als Autor von „Eros und Zivilisation“ (1955) und „Der eindimensionale Mensch“ (1964) wurde Marcuse als herausragender Theoretiker der Neuen Linken in den Vordergrund geschoben, und ist heute wohl noch relevanter als in den 1960er Jahren. Sein viel gelesenes Buch „Der eindimensionale Mensch“ enthüllt die dem Kapitalismus und Kommunismus innewohnenden Schwächen, die in einer erstickenden Gleichförmigkeit der Lebensgestaltung (ein wenig im Geiste von Aldous Huxleys „Schöne neue Welt“), ausgestaltet durch moderne Formen der Herrschaft und sozialen Kontrolle, zu finden sind. Und ist dennoch hoffend auf menschliche Freiheit und Glück durch Befreiung, wie es in Eros und Zivilisation zum Ausdruck kommt.

„Das charakteristische Merkmal der fortgeschrittenen Industriegesellschaft ist ihre effektive Erstickung jener Bedürfnisse, die nach Befreiung verlangen.“ (Der eindimensionale Mensch, S. 7) Charles Reitz‘ in seiner umfassenden Studie über Marcuse: „Diese Werke enttarnten die Vortäuschung von Demokratie seitens des korporativen Kapitalismus in Form von Konsumismus, kultureller Betäubung, intellektueller Nachgiebigkeit, Umweltzerstörung und Krieg als nicht hinnehmbare Formen der Vernichtung von Reichtum und politischer Freiheit.“

Und weiter: „Wenn die Neue Linke den Kampf für die Wiederherstellung der Natur, für öffentliche Parks und Strände, für Räume der Ruhe und Schönheit betont, wenn sie eine neue Sexualmoral, die Befreiung der Frau fordert, dann kämpft sie gegen die materiellen Bedingungen, die das kapitalistische System auferlegt und die dieses System reproduzieren. (Marcuse 1972, 17)

Marcuses politisch-philosophische Vision bietet nach wie vor intelligente strategische Perspektiven auf aktuelle Probleme – insbesondere auf Fragen der neofaschistischen weißen Vorherrschaft, Hassreden, Hassverbrechen, Polizeibrutalität, Umweltzerstörung und Bildung als monokulturelle soziale Manipulation. Diese Probleme sind tiefgreifend, aber sie können durch eine von Marcuse entwickelte Strategie der revolutionären ökologischen Befreiung und der Emanzipation der Frau bekämpft werden – durch einen radikalen Sozialismus, wie ich in meinem abschließenden Kapitel 10 unten zu zeigen versuchen werde. Marcuses posthum veröffentlichte Pariser Vorlesungen an der Universität Vincennes im Jahr 1974 unterstrichen seine Überzeugung, dass die Frauenbewegung eine der wichtigsten politischen Kräfte für einen Systemwandel darstellt.“ (The Revolutionary Ecological Legacy of Herbert Marcuse, S. 145)

Marcuses Arbeit legt den Grundstein dafür, dass die 99% sich bewusst, politisch vorbereitet und gestärkt werden, und so ein neues ökosozialistisches Weltsystem fordern, das Charles Reitz als „EarthCommonWealth“ bezeichnet, mit Betonung auf Gleichheit und Befreiung der Arbeit in einer Welt, in der die Natur sich erholen wird. Er verknüpft die Grundelemente eines guten Lebens miteinander, indem er den verrottenden Einfluss kapitalistischer Auswüchse beseitigt, die das Unterbewusstsein heimlich einer Gehirnwäsche unterziehen, ununterbrochen, tagein, tagaus durch – das Fernsehen, soziale Netzwerke in Hülle und Fülle, Plakatwerbung in Bussen, dröhnende Radiowerbung, Plakate an Autobahnen, dummdreiste Handywerbung, „wie ein Promi sein“ Kaufangebote auf Kredit, auf Raten an U-Bahn-Wänden.

Wie Reitz deutlich macht, ist EarthCommonWealth eine revolutionäre Alternative zum „Missbrauch begrenzter natürlicher Ressourcen für Profit“. Dementsprechend ist dieser Missbrauch der Kern eines zerstörerischen Weltklimasystems und einer benachteiligten Lebensweise der Arbeitenden auf der ganzen Welt.

Im Kontext von Marcuses Kritik an der zeitgenössischen Gesellschaft nimmt Reitz Amerika ins Visier: „Rassenfeindlichkeit, Einwanderer zu Sündenböcken machen und ein wiederauflebender Nationalismus/Patriotismus werden heute im problembehafteten System des amerikanischen/globalen Kapitalismus instrumentalisiert. Dies sind neopopulistische/neofaschistische Instrumente der sozialen Kontrolle und wirtschaftlichen Stabilisierung… All dies lässt sich feststellen, ohne den Namen Donald Trump zu erwähnen, obwohl es eine klare Relevanz für die jüngsten politischen Entwicklungen im Sinne eines Wiederauflebens reaktionärer Rhetorik und rassistischer Tendenzen auf der Seite der Rechten hat.“

„Eindimensionales Denken wird systematisch von den Machern der Politik und ihren Lieferanten von Masseninformationen gefördert. Ihr Diskursuniversum ist bevölkert von sich selbst bestätigenden Hypothesen, die, unaufhörlich und monopolistisch wiederholt, zu hypnotischen Definitionen oder Diktaten werden.“ (Der eindimensionale Mensch, S. 14)

Hinter Amerikas extremer Rassenfeindlichkeit, die als politische Waffe eingesetzt wird, bringt die Radikalisierung des Bildungswesens eine verachtenswerte Bequemlichkeit hervor, die „Marcuse bereits in den 1960er Jahren antizipierte, als konterrevolutionäre Tendenzen, die jetzt in der Hochschulbildung wüten, um die freien Künste in der amerikanischen Allgemeinbildung auf die konservativ gefilterten monokulturellen Überreste eines elitären, anglozentrischen Lehrplans zu reduzieren“.

Reitz umreißt das kapitalistische Experiment seitens der Demokratie, vor allem aus dem Blickwinkel der jüngeren Generation, als einen Hinweis auf eine mögliche andere Zukunft, die die älteren Generationen ins Auge fassen sollten: „Angesichts der heutigen Unzufriedenheit und Destabilisierung der Arbeiterschaft ist es kein Wunder, dass sich bei den Jüngeren eine Offenheit für sozialistische Alternativen durchsetzt. Ein Kommentar in der New York Times (Goldberg 2017) trug die Überschrift „Kein Wunder, dass Millennials den Kapitalismus hassen“. Millennials sind die „älteren Cousins“ der Generation Z (Volpe 2). Der Beitrag kommt zu dem Schluss, dass die „verdorbene Moral“ hinter den sich verschärfenden Ungleichheiten heute offensichtlicher denn je ist und daher junge Menschen radikalisiert. Dies spiegelt das stetige Wachstum dessen wider, was Marcuse die „Neue Sensibilität“ nannte – neue Bedürfnisse, die im Kapitalismus entstehen, die der Kapitalismus aber nicht erfüllen kann, nämlich die nach Gleichberechtigung der Geschlechter, ökologischer Ökonomie und Antirassismus.“

Es wird für alle sichtbar, dass „neue Bedürfnisse vom gegenwärtigen System nicht erfüllt werden“, offen gelegt durch Amerikas zusammengebrochene, dysfunktionale Politik der Machtkämpfe als eine Art normales Regierungsgeschehen, welches es versäumt, auf „neue Bedürfnisse“ einzugehen. Wie kann man das noch ernst nehmen?

„Heute ist das eine Prozent mit seiner eigenen Theorie ausgerüstet; die 99% sind es nicht. Eine grundlegend andere Sichtweise ist notwendig. Das Hauptproblem besteht meiner Meinung nach darin, eine prägnante Vision für die Menschheit zu entwickeln, als eine sinnhafte lebendige Arbeitswelt. Ich habe in diesem Band eine ethische Theorie der Arbeit entwickelt, einen ethischen Realismus, der auf gegenseitigen Respekt, Kooperation und der Wechselseitigkeit von Arbeit im Gemeinwesen beruht. EarthCommonWealth zielt auf die Ablösung und Überwindung der kapitalistischen Oligarchie als solcher, nicht nur auf die ihrer hässlichsten und zerstörerischsten Komponenten. Dies ist eine grüne ökonomische Alternative, denn ihre ökologische Vision begreift alle Lebewesen und deren unbelebte irdische Umgebung als eine globale Gemeinschaft, die zu einer würdevollen, bewussten Koexistenz fähig ist.“

The Revolutionary Ecological Legacy of Herbert Marcuse von Charles Reitz mit einem Nachwort von Nnimmo Bassey ist ein Gegenmittel, ein Hauch frischer Luft, gegen den Zustand der Verwirrung und Irreführung der Gesellschaft, aber vor allem auch ein Gefühl der Erleichterung, zu wissen, dass es einen anderen Weg gibt, der so viel besser ist.

Dieser kurze Rückblick wird Reitz‘ bemerkenswerter Arbeit nicht annähernd gerecht, die mit beeindruckender Detailgenauigkeit und brillantem Quellenmaterial einen Strahl der Erleuchtung für eine bessere Ausrichtung für die 99% der Welt aufscheinen lässt. Es sollte in der Bibliothek eines jeden ernsthaften Verfechters für eine bessere ökologisch sichere Existenz sein, für eine viel bessere Existenz.

The Revolutionary Ecological Legacy of Herbert Marcuse muss studiert werden, es muss wieder und wieder gelesen und wieder studiert und dann geteilt werden. Es lohnt sich!

Die Übersetzung aus dem Englischen wurde von Ulrich Karthaus vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!