„Viele Mütter arbeiten von 9-12 Uhr. Dann gehen Sie nach Hause, versorgen ihre Kinder und arbeiten dann wieder von 17-22 Uhr. In unserer Freizeit kümmern wir uns um unseren Haushalt und verbringen Zeit mit unseren Kindern. Wir sind wie alle Mütter “, so eine der über 100 Sexarbeiterinnen, die 1975 die Kirche Saint-Nizier in Lyon besetzten, um gegen zunehmende polizeiliche Schikane zu kämpfen.
Der in die Geschichte eingehende Hurenstreik war Ausgangspunkt für den jährlich stattfindenden internationalen Hurentag, bei dem die Selbstorganisation von Sexarbeitenden im Fokus steht. Ausschnitte dieses Interviews werden gerade in dem Schwulenmuseum Berlin ausgestellt. Es wird nichts beschönigt, natürlich wünschen sich einige Befragte diesen Beruf nicht für immer auszuüben, vielleicht eine Ausbildung zu beginnen oder einer anderen Arbeit nachzugehen, aber trotzdem wird klar: Frauen, Männer und Non-binäre Personen, die die Sexarbeit freiwillig gewählt haben, sind selbstbestimmt und kämpfen für bessere Arbeitsbedingungen, so wie das in jedem anderen Beruf üblich ist. Das im historisch Rotlichtmilieu gelegene Museum schafft mit seiner Ausstellung „With Legs Wide Open – Ein Hurenritt durch die Geschichte“ einen beeindruckend intimen Raum, bei dem die Menschen zur Sprache kommen, die in der Debatte um Sexarbeit oft außen vorgelassen werden.
Die Reise der Hurengeschichte beginnt bereits im Mittelalter. Kondome aus Fischblasen, spezielle Arbeitskleidung, um die Sexarbeiter*innen erkenntlich zu machen und die ersten aufgezeichneten Aufstände für bessere Arbeitsbedingungen. Das Prostitutionsgesetz, welches Hurenpässe und Anmeldepflichten fordert und in Deutschland seit 2001 in Kraft getreten ist, folgt einer langen Geschichte des Kontrollwahns über den weiblichen Körper und einem bürokratischen Hürdenlauf, mit der die Regierung versucht Sexarbeiter*innen statistisch festzuhalten. Das Gesetz würde Sexarbeit jedoch nur erschweren und kriminalisieren, die Menschen, die die Regelungen eigentlich mitgestalten sollten, werden bei der Gesetzgebung übergangen, so die Kritik der Betroffenen. Mit beeindruckenden Archivmaterial und persönlichen Gegenständen schaffen die Kurator*innen eine Verbindung zwischen Besuchern und Sexarbeiter*innen, das Verständnis schafft, für eine Profession, die von vielen stigmatisiert und verurteilt wird.
Dieselbe Stigmatisierung führte dazu, dass von Verfolgung, Ausbeutung und medizinischen Zwangsuntersuchungen (die oft zu Sterilisationen führten) gebrandmarkte „Asoziale“ keine Entschädigung oder überhaupt Anerkennung erhielten, nachdem das NS-Regime unterging. Durch Erzählungen über mutige Sexarbeiter*innen, die Fluchtversuche aus KZs starteten, Schönheitsrituale unter den grauenvollsten Bedingungen aus Stolz an ihrem Beruf aufrechterhielten und Mitinhaftierten und Gefährtinnen auf den Straßen Schutz anboten, wirft das Schwulenmuseum mit einem kraftvollen Scheinwerferlicht auf einen unbeleuchteten Teil der deutschen Geschichte und fragt zu Recht: Wo bleibt das Denkmal an die, im Nationalsozialismus verfolgten und ermordeten Sexarbeiter*innen!
Während des zweiten Weltkrieges, als Bordelle an den deutschen Frontlinien aufgestellt wurden und das NS-Regime gleichzeitig versuchte eine aggressive Sexualhygiene-Politik in der Gesellschaft durchzusetzen, wird die besonders perfide Doppelmoral zwischen Sexarbeiter*innen und ihren überwiegend männlichen Freiern eindeutig, die sich wie ein roter Faden durch die Geschichte zieht. Bis heute hat sich die Vorstellung in der Gesellschaft verfestigt, dass es sich bei Sexarbeiter*innen um unverbesserliche Delinquenten handelt, während die männlichen Kunden oftmals ihren natürlichen Bedürfnissen nachgingen, und das Privileg genießen sich bei den Debatten über gekauften Sex oftmals im dunklen Schatten der Anonymität zu verflüchtigen. Den Stempel, welcher Prostituierten auferlegt wird, wird man zu Lebzeiten nicht mehr los. 2016 berichtete der Tagesspiegel darüber, dass eine Kommune gerichtlich gegen die Eröffnung einer Kita vorging, die von einer ehemaligen Prostituierten geleitet werden sollte.
Wie sieht die (idealisierte) Zukunft der Sexarbeit aus? Desinfektionsmittel in den aus Samt bezogenen Bettgemachen von Bordellen, die Vergewerkschaftlichung, Destigmatisierung und -Kriminalisierung von Sexarbeit und die Mitbeteiligung von Sexarbeit Betroffenen bei Rechtsgrundlagen, die ihre Arbeitsbedingungen verbessern sollen. In aufgezeichneten Videomaterial von Panel-Diskussionsrunden, kommen endlich die zu Wort, die historisch systematisch entmündigt wurden. Verletzlich, offen und ehrlich berichten Sexarbeiter*innen von ihren Erfahrungen, Schwierigkeiten und Zukunftsvorstellungen.
Teils humoristisch, teils bestürzend, informativ und Augen öffnend, zeigt das Schwulenmuseum die Repressalien auf, denen Huren, vom Mittelalter über das NS-Regime und bis heute auferlegt wurden. In einem Gedicht, dass über einer kleinen Glaskapelle, die mit einem Wunschbrunnen ausgestattet ist, gedenkt die Ausstellung all den Sexarbeiter*innen, die unter den unterschiedlichsten Bedingungen verstorben sind und mit denen sie sich durch ihre Geteilte Profession bis heute verbunden fühlen.
Wirft den Groschen an, zünd‘ an ein Licht,
In Andacht, Trauer oder Lobpreis
Für die unsrigen, die gelebt und gestorben
All jenen, die wir innig gekannt, geliebt und verloren
Sowie denen, die wir nie gekannt und gleichwohl geliebtHier schließt sich die Zeit zum Kreis
Vergangenheit wird gewahr und Abschaum heilig
Von wem, wenn nicht uns, lernte Christus bedingungslos lieben?
Wir, die wir unendlich lieben und grenzenlos verzeihenWirf den Groschen, zünd‘ an ein Licht,
Für uns, die wir in der Asche tanzen
Und unseren Glauben ineinander finden
Wir, die in ungeweihter Erde begraben
Erinnern uns an eine Zeit, da wir noch heilig waren
Ausstellung:
With Legs Wide Open – Ein Hurenritt durch die Geschichte
26. März 2024 – 26. August 2024
Kuratiert von einem Sexarbeiter*innen-Kollektiv.
Beteiligte Künstler*innen: Emre Busse, Ernestine Pastorello, Ginger Angelica, Gómez Diego, L’Adios, Rori Dior, Una You, Valentin Rion.
Im Schwules Museum Berlin