Die Biden-Administration sattelt Sinophobie auf grassierende Russophobie auf.
Von John V. Walsh
Am Ende seiner jüngsten Reise nach China, am 26. April, noch in Peking weilend, gab Außenminister Anthony Blinken eine äußerst kriegerische Erklärung gegenüber der Presse ab. Blinkens Worte markierten eine neue Phase der Erklärunsmuster, mit denen die amerikanische und europäische Öffentlichkeit auf weitere Konflikte mit China vorbereitet werden sollen. Wie Caitlin Johnstone uns vor Augen geführt hat: „Bevor sie die Bomben abwerfen, lassen sie Begründungen dafür fallen.“ Worin besteht also die Begründung, die Blinken fallen ließ?
Blinken behauptet, dass Chinas Unterstützung für Russland für dessen Erfolg in der Ukraine verantwortlich sei
In seiner Erklärung sagt Blinken, dass die USA „ernsthafte Besorgnis“ wegen „Bauteilen“ aus China haben, die Russlands Krieg gegen die Ukraine „antreiben“. Er fährt fort, dass China der Hauptlieferant „von Gütern mit doppeltem Verwendungszweck ist, die Moskau dazu verwendet, seine industrielle Basis auszubauen, eine industrielle Basis für die Verteidigung …“ Es ist allgemein unumstritten, dass die USA ihren Stellvertreterkrieg in der Ukraine verlieren. Blinken gibt uns nun zu verstehen, dass das von den USA installierte ukrainische Regime verliert, weil China Russland hilft. China die Schuld zu geben, ist im Argumentationsbaukasten des Westens nichts Neues, aber hier wird dies neu verwendet, um so eine Entschuldigung für eine weitere peinliche Niederlage der USA zu liefern.
Blinken listet „Werkzeugmaschinen, Mikroelektronik, Nitrozellulose“ als Schlüsselkomponenten auf, die China an Russland liefert. Aber „Güter mit doppeltem Verwendungszweck“ sind eine ungenau definierte und dehnbare Kategorie. Potenziell kann jeder Handelsgegenstand unter dem Begriff subsumiert werden. Wenn Russland zum Beispiel chinesische Werkzeugmaschinen importiert, um Autos herzustellen, dann kann man ohne weiteres behaupten, dass sie zum Bau von Panzern verwendet werden. Oder wenn Russland Nitrozellulose zur Herstellung von Fingernagellack importiert, kann man vorwerfen, dass die Chemikalie zur Herstellung von Schießpulver oder Sprengstoff verwendet wird. Wenn die USA also verlangen, dass China die „indirekte“ Unterstützung für Russlands Kriegsanstrengungen einstellt, verlangen sie letzten Endes, dass China den gesamten Handel mit Russland einstellt.
Blinken legt keine Beweise dafür vor, dass solche „Dual-Use“-Artikel für die Schlappe verantwortlich sind, die seine ukrainischen Stellvertreter einstecken. Und China ist nicht verpflichtet, seinen Handel mit Russland einzuschränken. Genauso wenig wie Indien und andere wirklich souveräne Nationen, die weiterhin mit Russland Handel treiben, ist China nicht an die Verordnungen der Vereinigten Staaten gebunden.
Wie steht China eigentlich zum Stellvertreterkrieg in der Ukraine? Zunächst einmal sagt China, dass es keine Waffen oder direkte Unterstützung für Russlands Kriegsanstrengungen liefert. Und die USA versuchen nicht, dies anzufechten; es ist unbestrittener Fakt. Im Gegensatz dazu werfen die USA und die EU Milliarden für Waffen in den Krieg in der Ukraine.
In gleicher Weise bestehen die USA darauf, dass sie „alles Nötige“ „so lange wie nötig“, zur Verfügung stellen werden, damit die Ukraine den Krieg gewinnt. Im Gegensatz dazu hat China Verhandlungen zur Beendigung des Konflikts gefordert und angeboten, als Vermittler zu fungieren. Eine Verhandlungslösung würde sicherlich den Konflikt beenden, der bereits Hunderttausende ukrainische Soldaten und eine große, aber unbekannte Zahl von Russen verschlungen hat. Man sollte meinen, dass Chinas Aufruf allgemein begrüßt würde.
„China die Schuld geben“ entwickelt sich zu einer neuen Propagandalinie für den Stellvertreterkrieg in der Ukraine
China für das Scheitern der USA in der Ukraine verantwortlich zu machen, ist nicht nur eine kurzzeitige, in eine Rede Blinkens eingefügte Randbemerkung. Es wird von anderen in der Regierung und darüber hinaus auch in der NATO aufgegriffen. Und es ist die Begründung für eine neue Runde von Anti-China-Sanktionen. Kurz gesagt, es hat alle Merkmale einer gut geplanten Propagandakampagne.
Tatsächlich war Blinken nicht der erste, der diese Ansicht vertrat. In einem wenig beachteten Vortrag etwa 3 Wochen zuvor am 3. April, im Center for a New American Security (CNAS), brachte der stellvertretende Außenminister Kurt Campbell, der Architekt der „strategischen Neuausrichtung“ nach Ostasien unter Obama und jetzt Bidens „Asien-Zar“ und Stellvertreter im Außenministerium, das gleiche Argument vor. Wie Business Insider berichtete, „sagte Campbell, Moskau habe während des Ukraine-Krieges anfängliche Rückschläge erlitten, sich aber ‚umgerüstet und stelle nun eine Bedrohung für die Ukraine dar‘. „Aber nicht nur für die Ukraine“, sagte Campbell. „Seine neu entdeckten Fähigkeiten stellen eine längerfristige Herausforderung für die Stabilität in Europa dar und bedrohen die NATO-Verbündeten.“ Der stellvertretende Außenminister wies darauf hin, dass Russland industrielle und kommerzielle Unterstützung aus China erhält, als er in einer größeren Diskussion über die Sicherheit im Indopazifik sprach.
Tatsächlich ließ Finanzministerin Janet Yellen vier Tage später, am 1. Mai, Campbells Rede und Blinkens Drohung Taten folgen, indem sie neue Sanktionen gegen 280 „Ziele“ ankündigte, mit Schwerpunkt auf die VR China, aber auch Unternehmen in Aserbaidschan, Belgien, der Slowakei, der Türkei und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) mit eingeschlossen.
Und die Botschaft war auch mit der NATO abgestimmt. Am 25. April, einen Tag vor Blinkens Erklärung, hatte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg China für das Vergehen des Handels mit Russland gescholten. Es ist nicht schwer zu erkennen, dass die Kampagne, die China mit dem Stellvertreterkrieg in der Ukraine in Verbindung bringt, schon seit einiger Zeit in Arbeit ist und Priorität für die Biden-Administration besitzt.
Das Aufsatteln von Sinophobie auf eine intensive Russophobie im Westen
Blinken machte deutlich, dass seine Äußerungen auch dazu gedacht waren, die NATO in seinen Anti-China-Kreuzzug einzubeziehen, und sagte: „Bei meinen Treffen mit NATO-Verbündeten Anfang des Monats und mit unseren G7-Partnern erst letzte Woche habe ich dieselbe Botschaft gehört: Die Befeuerung der russischen Verteidigungsindustrie bedroht nicht nur die ukrainische Sicherheit; sie bedroht die europäische Sicherheit. Peking kann nicht bessere Beziehungen zu Europa erlangen und gleichzeitig die größte Bedrohung für die europäische Sicherheit seit dem Ende des Kalten Krieges unterstützen. Wie wir China seit einiger Zeit zu verstehen geben, ist die Gewährleistung der transatlantischen Sicherheit ein Kerninteresse der USA.“ Blinken schließt dann, in seiner Art diesem ach so großen Diplomaten Don Corleone sehr ähnlich, diesen Teil seiner Erklärung ab: „In unseren heutigen Gesprächen habe ich deutlich gemacht, dass, wenn China dieses Problem nicht angeht, wir es tun werden.“ Diese Erklärung erregte internationale Aufmerksamkeit auf Grund ihrer Aggressivität.
Die Botschaft, die China mit Russlands Militärkampagne in der Ukraine in Verbindung bringt, richtet sich direkt an die amerikanische und europäische Öffentlichkeit. Russland und seine Führung, aktuell Putin, werden seit langem erfolgreich als Verkörperung des aggressiven Bösen im Westen dargestellt. Diese Russophobie hat Wurzeln, die bis zur Großen Kirchenspaltung des Christentums von 1054 zurückreichen , und ist, mit nur kurzen Atempausen, in der einen oder anderen Form bis heute zu finden. In den letzten Jahren hat sie sich wieder verschärft, beginnend mit „Russia Gate“, das längst durch die Mueller- und Durham-Ermittlungen und von Wissenschaftlern wie dem verstorbenen, großartigen Stephen F. Cohen endgültig als Schwindel aufgedeckt wurde. Aber der Mythos lebt weiter, gestärkt durch den anderen Angstgegner des Establishments, Donald Trump, den Busenfreund Putins gemäß der Russia Gate-Mythologie. Russophobie und Dämonisierung Putins wurden benutzt, um die Osterweiterung der NATO und den aktuellen Stellvertreterkrieg in der Ukraine zu rechtfertigen.
Diese Russophobie mit China zu verknüpfen, hilft den USA, ihre EU-Vasallenstaaten für ihren Kreuzzug gegen China zu gewinnen. Die Botschaft ist einfach: „Wenn Sie Russland nicht mögen, sollten Sie China hassen. Und Sie sollten Sanktionen gegen China lieben.“
Ein Ausweg vor der demütigenden Niederlage durch eine „Tankstelle“
Das neue Erklärungsmuster bewahrt auch die USA und ihre Eurovasallen vor dem peinlichen Augenblick, wenn Russland, das oft als „Tankstelle, die sich als Land tarnt“ abgetan wird, die Ukraine besiegt, obwohl die Ukraine stark durch Geld, Waffen, Geheimdienste und militärische „Beratern“ unterstützt wird. Wie demütigend muss es für die USA sein, von einer „Tankstelle“ besiegt zu werden! Eine solche Niederlage wird den USA sicherlich nicht helfen, wenn sie den Planeten auf der Suche nach anderen Ländern durchkämmen, die ihnen helfen, ihr Ziel der totalen globalen Hegemonie zu erreichen, ein Ziel, das sie sich in den Jahren kurz vor dem Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg gesetzt haben.
Aber haben Blinken und seine Kollegen das zu Ende durchdacht? Im Grunde sagen sie ja, dass die USA und die EU die Ukraine unterstützt haben, während China Russland unterstützt hat; und Russland gewann. Bei ihrem Bestreben, antichinesische Verbündeten zu gewinnen, geben die USA damit kein gutes Bild ab.
Auch die Strategie, China mit Russland in Verbindung zu bringen, birgt einen Widerspruch. Die USA haben seit mindestens 2011 erklärt, dass China ihr Hauptgegner ist, aber sie lassen sich immer wieder ablenken und bleiben an verschiedenen Klebefallen (sogenannten Teer-Babys) hängen, von denen Russland die prominenteste ist. (Einige andere waren Libyen, Syrien, Venezuela, Nordkorea, der Völkermord in Gaza.) Indem sie China mit Russland in Verbindung bringen, machen die USA einmal mehr ihre Unfähigkeit deutlich, ihre Besessenheit von Russland abzuschütteln, und stehen so mehreren Gegnern gegenüber statt nur einem. Dies ist das typische Dilemma eines überdehnten Imperiums.
Blinkens Äußerungen im Lichte des Völkermords in Gaza
Im Verlauf seiner Erklärung in Peking deutete Blinken an, dass er und die USA große Besorgnis hinsichtlich Putins „brutalem“ Krieg haben, der „das Leben unschuldiger Kinder, Frauen und Männer gekostet hat“. Aber wenn man diese Worte hört, drängt sich Gaza den Gedanken auf. Und sofort klingen Blinkens Worte, gelinde gesagt, hohl, da sie von einem Mann stammen, der eine führende Figur bei der Unterstützung und Bewaffnung des israelischen Massakers an den Palästinensern in Gaza war. Dieses Massaker ist nur die jüngste Phase des langen, langsamen Völkermords am palästinensischen Volk, den der Westen seit seinem Beginn, seit der Nakba von 1948 unterstützt hat. Zum jetzigen Zeitpunkt wurden in etwas mehr als 6 Monaten mindestens 34.000 Bewohner des Gazastreifens abgeschlachtet, 42% davon Kinder. Gaza ist, wie Anya Parampil es ausgedrückt hat, ein „Moment, wo die Maske fällt“, der so das brutale Antlitz des US-Imperiums, das in so vielen Ecken des Planeten am Werk ist, beleuchtet und enthüllt. Es beeinflusst alle unsere Einschätzungen, einschließlich die des US-Stellvertreterkriegs in der Ukraine.
Dieser Artikel erschien zuerst bei Antiwar.com
Die Übersetzung aus dem Englischen wurde von Ulrich Karthaus vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!
John V. Walsh, bis vor kurzem Professor für Physiologie und Neurowissenschaften an der Chan Medical School der University of Massachusetts, hat für den San Francisco Chronicle, EastBayTimes/San Jose Mercury News, Asia Times, LA Progressive, Antiwar.com, CounterPunch und andere über Fragen des Friedens und der Gesundheitsfürsorge geschrieben.