Scholz will Globalen Süden zur Beteiligung an der Schweizer Ukraine-Konferenz drängen. Die zielt nicht auf Waffenstillstandsgespräche, sondern soll möglichst viele Länder auf Seiten Kiews positionieren.
Bundeskanzler Olaf Scholz drängt die führenden Länder des Globalen Südens zu einer Teilnahme an der geplanten Ukraine-Konferenz in der Schweiz und fordert sie zum wiederholten Mal zur Positionierung gegen Russland auf. Man müsse durchsetzen, „dass Russland Truppen zurückziehen muss“, erklärt Scholz; dabei solle nun der Globale Süden „eine wichtige Rolle spiel[en]“. Die für Mitte Juni angekündigte Ukraine-Konferenz am Vierwaldstättersee geht von der sogenannten Friedensformel des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj aus, die faktisch eine totale Kapitulation Russlands fordert und damit als Grundlage für ernsthafte Verhandlungen über einen Waffenstillstand nicht geeignet ist. Die Schweizer Konferenz soll laut Aussage des Kiewer Außenministers Dymtro Kuleba denn auch vor allem dazu dienen, möglichst viele Staaten auf die Positionen der Ukraine festzulegen. Ziel ist es, mangels militärischem Druckpotenzial diplomatischen Druck aufzubauen. Mehrere Staaten gehen mittlerweile zu den Machenschaften der Schweiz auf Distanz und dringen auf ernsthafte Waffenstillstandsgespräche, so der Außenminister Italiens. Der Präsident der Slowakei fordert, die „Diplomatie zu mobilisieren“.
Verbesserte Ausgangspositionen
Bereits Mitte vergangener Woche hatte der stellvertretende Direktor des ukrainischen Militärgeheimdienstes HUR, Wadim Skibizkij, im Interview mit der Zeitschrift Economist offen eingeräumt, er könne nicht erkennen, wie die Ukraine den Krieg auf dem Schlachtfeld für sich entscheiden solle. Selbst wenn es den ukrainischen Streitkräften gelinge, Russland auf die Grenzen von 1991 zurückzuwerfen, seien Verhandlungen unvermeidlich: Das sei die Art und Weise, wie Kriege gewöhnlich beendet würden.[1] Aktuell seien beide Seiten dabei, sich vor künftigen Verhandlungen in „die günstigste Position“ zu bringen. Skibizkij ging in diesem Kontext davon aus, Russland werde zum einen die Gebiete Donezk und Luhansk vollständig unter seine Kontrolle zu bringen versuchen und darüber hinaus womöglich eine neue Offensive auf die Gebiete Charkiw und Sumy einleiten. Der Hauptstoß werde wohl „Ende Mai oder Anfang Juni“ bevorstehen, sagte Skibizkij voraus. Mit wirklich ernsthaften Verhandlungen sei allerdings erst in der zweiten Hälfte des Jahres 2025 zu rechnen. Denn Anfang 2026 werde Russland aufgrund von Knappheit an Material wie auch an Ingenieuren in ernste Schwierigkeiten mit seiner Rüstungsproduktion geraten – eine günstige Zeit, Moskau unter Druck zu setzen.
Keine Friedenskonferenz
Lediglich dem Versuch, wenn schon nicht den militärischen, so doch zumindest den diplomatischen Druck auf Russland zu erhöhen, dient nach derzeitigem Stand die Ukraine-Konferenz, die die Schweiz am 15./16. Juni in einem Nobelhotel am Vierwaldstättersee abhalten will. Sie wird als „Friedenskonferenz“ angepriesen. Offiziell eingeladen sind über 160 Delegationen. Russland gehört nicht dazu. Verhandlungsgrundlage soll, wie es heißt, die sogenannte Friedensformel des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj sein. Diese sieht unter anderem den Abzug aller russischen Truppen aus allen Gebieten vor, die 1991 zur Ukraine gehörten, darunter die Krim. Zudem will sie Moskau zur Zahlung umfassender Reparationen verpflichten und fordert die Einrichtung eines Sondertribunals zur Aburteilung russischer Kriegsverbrechen. Damit kommt sie der Forderung nach einer freiwilligen russischen Kapitulation gleich. Dass Russland sich ihr fügen würde, kann als ausgeschlossen gelten. Wie der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba hervorhebt, besteht das Ziel der Konferenz in der Tat nicht darin, Gespräche mit Moskau in Gang zu bringen, sondern nur darin, Staaten mit ähnlichen Auffassungen zusammenzuführen – praktisch also so viele Länder wie möglich auf die ukrainische Position festzulegen.[2]
„Alle außer denen, auf die es ankommt“
Beobachter äußern sich skeptisch. Weil die Ukraine einen Waffenstillstand oder gar einen Friedensvertrag zwangsläufig mit Russland schließen müsse, werde ein Treffen ohne Moskau – wie dasjenige in der Schweiz – „mehr eine Übung in Solidarität als eine echte Verhandlung sein“, urteilt Sergey Radchenko von der Johns Hopkins School of Advanced International Studies (SAIS): „ein kurzes PR-Event mit einer hohen Anzahl an Teilnehmern, außer denen, auf die es ankommt“.[3] Diplomaten, die an der Vorbereitung der Schweizer Ukraine-Konferenz beteiligt sind, werden mittlerweile sogar mit der Warnung zitiert, die Beteiligung von Staaten des Globalen Südens könne eher schwach ausfallen. Bisher sei es zwar gelungen, eine wachsende Zahl nichtwestlicher Staaten zur Teilnahme an anderen Ukraine-Konferenzen zu veranlassen – zuletzt etwa in Malta [4] –, doch könne das diesmal anders sein, weil die Möglichkeit der Anwesenheit etwa von US-Präsident Joe Biden bestehe. Dieser reise ohnehin zum G7-Gipfel vom 13. bis zum 15. Juni ins italienische Fasano und könne ohne weiteres einen Abstecher in die Schweiz machen. Ob die Staaten des Globalen Südens sich jedoch für einen hochrangigen Anti-Russland-Gipfel hergäben, sei ungewiss. China werde unter den aktuellen Bedingungen ohnehin nicht zur Teilnahme bereit sein.[5]
Berlin und der Globale Süden
Vor diesem Hintergrund hat Bundeskanzler Olaf Scholz den Druck auf die Staaten des Globalen Südens erhöht, an der Ukraine-Konferenz in der Schweiz teilzunehmen. „Je mehr Länder wie China, Brasilien, Indien und viele andere Russland bedeuten …, dass Russland Truppen zurückziehen muss, umso größer ist die Chance auf einen baldigen Frieden“, sagte Scholz am Dienstag auf einer Veranstaltung in Berlin; der Globale Süden müsse „hier eine wichtige Rolle spiel[en]“.[6] Dass der Globale Süden der Aufforderung des Bundeskanzlers Folge leistet, darf bezweifelt werden: Der Einfluss Berlins auf die dortigen Staaten sinkt – nicht zuletzt aus wirtschaftlichen Gründen (german-foreign-policy.com berichtete [7]).
„Die Diplomatie mobilisieren“
Andere Staaten dringen inzwischen auf ernsthafte Bemühungen um Gespräche mit Moskau. So äußerte Italiens Außenminister Guido Crosetto zu Wochenbeginn, der einzige Ausweg bestehe darin, in die Verhandlungen um eine Beendigung des Ukraine-Krieges „alle einzubeziehen“, um erst einen Waffenstillstand, dann einen Frieden zu erreichen; man dürfe „keine Möglichkeit auslassen“, den „Pfad der Diplomatie“ zu beschreiten.[8] Crosetto sagte zudem, er habe Kiew bereits vor Beginn der ukrainischen Offensive im vergangenen Jahr gewarnt, diese werde keinen Erfolg haben; Selenskyj habe dies aber „nicht hören wollen“. In den vergangenen Tagen hat nun Kasachstan sein Angebot wiederholt, sich als Vermittler zur Verfügung zu stellen. Sein Land habe „gute Beziehungen sowohl zur Ukraine als auch zu Russland“, hatte bereits Mitte April der Botschafter des Landes in Spanien erklärt; das lasse sich nun zur Vorbereitung von Gesprächen zwischen beiden Seiten leicht nutzen.[9] Der Botschafter des Landes in Russland hat das Angebot Ende vergangener Woche bestätigt.[10] Am Mittwoch schloss sich der Präsident der Slowakei, Peter Pellegrini, an und bekräftigte, jederzeit zu vermittelnden Tätigkeiten bereit zu sein: Man müsse endlich, sagte er, „die Diplomatie mobilisieren“.[11]
[1] A fresh Russian push will test Ukraine severely, says a senior general. economist.com 02.05.2024.
[2] Schweiz lädt offiziell zur Ukraine-Konferenz ein. tagesschau.de 02.05.2024.
[3] Alexandra Brzozowski: Why Switzerland’s Ukraine peace summit might struggle with no-show concerns. euractiv.com 05.05.2024.
[4] S. dazu Die dritte Verhandlungsrunde.
[5] Alexandra Brzozowski: Why Switzerland’s Ukraine peace summit might struggle with no-show concerns. euractiv.com 05.05.2024.
[6] Rede von Bundeskanzler Scholz beim Global Solution Summit am 7. Mai 2024 in Berlin.
[7] S. dazu It’s the economy, stupid.
[8] Guerra Ucraina, Crosetto: “dobbiamo trattare con Putin, ho detto a Zelensky che avrebbe fallito ma non mi ha ascoltato”. strettoweb.com 06.05.2024.
[9] Kazakhstan ready to host talks on Ukraine – envoy to Spain. tass.com 15.04.2024.
[10] Kazakhstan offers to host platform for Russia-Ukraine negotiations. timesca.com 06.05.2024.
[11] Martin Fornusek: Slovak president suggests hosting potential Ukraine-Russia peace talks in Bratislava. kyivindependent.com 08.05.2024.