Die meisten Menschen verdrängen den Gedanken ans Sterben, so lange sie können. Können wir den Tod ins Leben holen – als Helferkraft, als Ratgeber? (Teil 1)

Von CHRISTA DREGGER

Ich treffe zwei Freundinnen zu Kuchen und Tee. Sie sind 73 bzw. 82 Jahre alt und beschäftigen sich schon seit vielen Jahren mit dem Sterben und dem Tod, aus beruflichen und familiären Gründen und auch zur Vorbereitung auf ihren eigenen Tod. In einigen Punkten kommen sie zu ganz unterschiedlichen Konsequenzen. Doch beide sagen: «Der Tod gehört zum Leben, so wie die Geburt, und wer sein Leben voll lebt, muss auch den Tod nicht fürchten.» Hier ist die erste Geschichte.

Ihr Mann starb plötzlich. Es war auf einer Spanienreise, nach einem Ausflug, bei sich dem der erwachsene Sohn ihnen angeschlossen hatte. Sie hatte ihren Mann, noch gefragt, ob sie das Auto fahren sollte, da er ja herzkrank war. Nein, es gehe ihm gut. «Wir kamen bis zum Hotel, er schaltete noch die Zündung aus und war weg», erzählt sie. Zunächst begriff sie nicht, hielt es für übertrieben, als ihr Sohn nach dem Notarzt rief. «Wir legten ihn dann auf den Asphalt, ich sah seine offenen Augen und wusste, er war nicht mehr hier.»

Die Notärzte machten Wiederbelebungsversuche. «Ich fragte mich, warum lassen sie seinen armen Körper nicht in Ruhe. Er war doch schon weg. Aber dann verstand ich, sie taten es, um mir zu zeigen, dass sie nichts unversucht liessen. Ich schloss die Augen und sagte ihm in Gedanken, es ist nur für kurze Zeit, lass es geschehen.»

Schliesslich ging alles schnell. Ihr Sohn rief: Mama, schau nicht hin. Doch sie sagte: «Doch ich muss hinschauen. Und du auch. Schau hin, sonst kannst du es nicht verarbeiten.» Er tat es und war dankbar dafür.

Dann kam er in einen Sack und sie sah ihn nie wieder. «Ich selbst hätte es gebraucht, noch eine Weile bei seinem Körper sein, um mich von ihm zu verabschieden, aber sie liessen mich nicht. Ich fuhr dem Wagen nach und fragte überall, wo er sei. Sie dachten, ich sei verrückt und begriffe nicht, dass er tot ist.»

Mit der Urne fuhr sie schliesslich nach Hause. Sieben Wochen lang stand die Asche ihres Mannes auf ihrem Kaminsims. «Von mir aus hätte sie dort stehen bleiben können. Aber ich wusste, er wollte beerdigt werden, er hatte sich diese Zeremonie gewünscht, und so tat ich es dann.»

Als sie im Friedhof anrief, war man empört. In Deutschland dürfen keine sterblichen Überreste, auch nicht die Asche, privat aufbewahrt oder bestattet werden. «Mir wäre es egal gewesen. Es war ja nur der Körper. Er selbst ist woanders, und ich bin mit ihm ohnehin in Kontakt auch ohne Grab.»

Noch zwei Mal reiste sie nach Spanien, besuchte die gemeinsamen Orte, sie empfand, das seine Seele dort noch präsent war. Inzwischen, zwei Jahrzehnte später, ist sie versöhnt mit seinem Tod. «Manche Menschen sterben früher, andere später. Das hat nichts mit Versagen zu tun. Seine Zeit war eben gekommen.»

Inzwischen selbst Urgrossmutter, kam sie wieder zum Thema Sterben durch den Tod ihrer Mutter, den sie begleitete. «Sie wollte schon lange sterben, und ich glaube, sie hat absichtlich den Moment gewählt, wo ich bei ihr wachte, denn im Gegensatz zu meinen Geschwistern konnte ich sie gehen lassen. Ich dachte, wenn sie will, dann darf sie auch sterben. Ihr Atmen wurde immer langsamer und leiser und erlosch schliesslich ganz. Da war nichts mehr, der Raum war leer. Ich empfand keine Trauer. Aber der ganze Raum war voller Liebe. Von da an wollte ich wissen, was ist der Tod?»

Sie blieb noch eine Stunde bei der Toten, bevor sie den Arzt holte und die Geschwister benachrichtigte. «Ich habe deren Schmerzensäusserungen, das Leiden, die Tränen fast als hysterisch wahrgenommen. Und ich habe später als Sterbebegleiterin festgestellt, dass die emotionalen Vorgänge der Angehörigen oft das Schwierigste für einen Sterbenden sind. Viele wählen einen Moment aus, wo diese vielleicht kurz den Raum verlassen, um zu gehen.»

Drei Jahre lang arbeitete sie als ehrenamtliche Sterbebegleiterin. «Meine Aufgaben? Ruhig sein, da sein, zuhören. Aber auch Formalitäten sowie die Vermittlung zwischen dem Sterbenden, den Angehörigen und Ärzten.»

Oft kommt es vor, dass ein Sterbender seinen Wunsch – zum Beispiel zu Hause zu sterben oder keine weitere Chemotherapie anzugehen – nicht ausspricht, da er seinen Angehörigen keinen Schmerz bereiten oder ihnen zur Last fallen will. Ein Sterbebegleiter kann da als neutrale Instanz vermitteln. «Eine Person zu haben, die neutral ist, persönlich nicht involviert und trotzdem ein offenes Herz und offenes Ohr hat, ist eine Qualität für den Sterbenden, Verwandte und Ehepartner sind oft zu emotional.»

Für sich selbst trifft sie keine Vorsorge. «Ich will mein Ende nicht kontrollieren, denn ich glaube, dass wir eingebunden sind in eine höhere Weisheit. Ich möchte nichts verhindern, was das Leben oder der Seelenplan für mich bereithält. Ich möchte bis zum Ende leben im Vertrauen, im Sinne von ´Dein Wille geschehe!`»

Und dann, was kommt nach dem Tod? «Das haben mich auch die Sterbenden oft gefragt. Da musste ich passen und habe manchmal einem das Versprechen abgenommen, wiederzukommen und es mir zu erzählen. Ich hoffe natürlich, an einem Ort im Universum zu sein, von dem aus ich einen Überblick auf das Ganze habe und endlich verstehe, wie alles zusammenhängt. Manchmal komme ich dem schon näher. Dann wird die Erde ganz klein, ich schaue auf die Menschen und denke, was haben sie denn alle, warum rennen sie so herum?»

Das einzige, vor dem sie noch ein wenig Angst hat, ist, anderen zur Last zu fallen, pflegebedürftig und siechend zu werden. «Doch auch dort gibt es noch etwas für uns zu lernen, nämlich Hilfe anzunehmen, zu bitten und zu danken.»

Dass wir in jedem Alter, in jeder Situation noch dazulernen und uns weiterentwickeln können, ist eine ihrer Botschaften an jüngere Leute. Eine andere:

„Lebt euer Leben ganz. Der Tod ist ein Teil davon, beschäftigt euch mit dem Sterben schon heute! Je voller ihr euer Leben lebt, desto weniger Angst werdet ihr vor dem Tod haben.“

Der Originalartikel kann hier besucht werden