Letzte Woche hat das Gericht in Trapani auf Sizilien sein wegweisendes Urteil gefällt und alle Angeklagten nach einer siebenjährigen Odyssee freigesprochen. Dieser Fall ist das längste, teuerste und umfangreichste Verfahren gegen zivile Seenotrettungsorganisationen, einschließlich zweijähriger Vorverhandlungen mit über 40 Anhörungen. Er ist ein ergreifendes Zeugnis für die umfangreichen Bemühungen der italienischen Behörden um die Kriminalisierung der Seenotrettung. Die Iuventa-Crew begrüßt den Ausgang des Verfahrens, ist aber gleichzeitig tief besorgt über den irreparablen Schaden, der durch die Ermittlungen und den Prozess entstanden ist.
Sascha Girke, Iuventa-Angeklagter: „Als Ergebnis einer fehlerhaften, von politischen Motiven getriebenen Ermittlung sind Tausende Menschen im Mittelmeer gestorben oder zwangsweise ins kriegsgebeutelte Libyen zurückgeschickt worden. In der Zwischenzeit wurde unser Schiff dem Verfall überlassen, und wir wurden in ein jahrelanges Verfahren verwickelt. Darüber hinaus haben die italienischen Ermittlungsbehörden immense Ressourcen, darunter staatliche Mittel in Höhe von rund 3 Millionen Euro, verschwendet, um zivile Seenotrettungen zu behindern und zu diffamieren. Unser Fall ist ein krasses Symbol für die Strategien, die europäische Regierungen anwenden, um Menschen daran zu hindern, sich in Sicherheit zu bringen, was zum Tod von Tausenden Schutzsuchenden führt und diesen normalisiert.“
Der Iuventa-Fall markierte den Beginn einer öffentlichen Verleumdungskampagne gegen die zivile Seenotrettung, die darauf abzielte, ein hartes Durchgreifen gegen Rettungsmaßnahmen zu legitimieren. Der politische Charakter des Falles zeigte sich unter anderem darin, dass das italienische Innenministerium als Zivilkläger auftrat. Die Anklage wurde trotz mangelnder Beweise erhoben, was am 28. Februar 2024 besonders deutlich wurde, als die italienische Staatsanwaltschaft nach jahrelanger vehementer Verfolgung der Angeklagten in ihrem Schlussplädoyer überraschend die Einstellung des Verfahrens forderte.
Das Anfang 2023 erlassene Piantedosi-Dekret konzentriert sich auf die administrative Behinderung von ziviler Seenotrettung, was die Hartnäckigkeit des italienischen Staates bei der Verhinderung ziviler Seenotrettung und seine Verantwortung für den Tod Tausender Menschen bestätigt.
Darüber hinaus werden nach wie vor Tausende von Menschen auf der Flucht routinemäßig unter denselben Anschuldigungen – zur illegalen Einreise von Migrant*innen – verhaftet, nur weil sie das Boot gesteuert oder ein Auto gefahren haben. Im Gegensatz zur Iuventa-Crew erhalten diese Personen oft nicht das gleiche Maß an Unterstützung und Aufmerksamkeit und werden häufig zu langjährigen Haftstrafen verurteilt.
Um eine Wiederholung des Iuventa_Falls zu verhindern und die Rechte von Menschen auf der Flucht zu schützen, fordert die Iuventa-Crew daher die Abschaffung der Kriminalisierung der Seenotrettung. Sie prangern das europäische „Facilitators‘ Package“ und Artikel 12 des italienischen Einwanderungsgesetzes an, die die Kriminalisierung der Solidarität unter und mit Menschen auf der Flucht erlauben und fördern und so die Grundrechte gefährden. Ein Verfahren über die Gültigkeit und Auslegung des „Facilitators‘ Package“ ist derzeit vor dem Europäischen Gerichtshof anhängig.
Trotz seiner schwerwiegenden Folgen ist der Iuventa-Fall auch zu einem Symbol für transnationale Unterstützung, Solidarität und Widerstandsfähigkeit geworden. Die Iuventa-Crew lässt sich nicht entmutigen und bekräftigt ihre Entschlossenheit, die Rettungseinsätze so bald wie möglich wieder aufzunehmen.
„Auch wenn die Entscheidung, die Anklage fallen zu lassen, eine große Erleichterung für die Iuventa-Crew und andere Angeklagte ist, darf man nicht vergessen, dass diese Verfahren nur ein Beispiel für einen viel größeren, beunruhigenden Trend der Kriminalisierung und Repression in Europa gegen Menschen in Bewegung und diejenigen, die sich mit ihnen solidarisieren, sind. Die Iuventa-Crew ist jetzt frei, aber der Kampf gegen Gesetze, die die Seenotrettung kriminalisieren, geht weiter. Die Rettung von Menschenleben auf See ist kein Verbrechen. Punkt.“, so Allison West, ECCHR Legal Advisor und Prozessbeobachterin.
„Überall in Europa werden Einzelpersonen und Gruppen kriminalisiert – wegen jeder Art von Unterstützung für Menschen auf der Flucht. Wer sich solidarisch zeigt, macht sich verdächtig. Das lenkt von der skandalösen Tatsache ab, dass die EU-Behörden und -Mitgliedstaaten für den Tod tausender Menschen auf der Flucht verantwortlich sind und mit notorischen Menschenrechtsverletzern wie den Warlords in Libyen kollaborieren.“, so Wolfgang Kaleck, Generalsekretär, ECCHR.