EU-Staats- und Regierungschefs, hört auf mit der Kriegstreiberei!
Von Florina Tufescu
Die jüngste Umfrage im Auftrag des European Council for Foreign Relations (einer einflussreichen Denkfabrik, die zahlreiche führende Politiker, EU-Beamte und ehemalige NATO-Generalsekretäre beschäftigt) zeigt, dass 41 % der europäischen Bürger es vorziehen würden, wenn Europa Druck auf die Ukraine ausübte, um Verhandlungen mit Russland aufzunehmen, verglichen mit 31 %, die eine weitere militärische Unterstützung befürworten. Die Schlussfolgerung aus der Umfrageanalyse, die vom Direktor des ECFR mitverfasst wurde, ist jedoch nicht, dass die europäischen Staats- und Regierungschefs den Ansichten der Bürger Aufmerksamkeit schenken sollten, sondern lediglich, dass sie ihre Botschaft neu verpacken und verfeinern müssen, indem sie den Vorzug eines durch andauernde Kämpfe erreichten „dauerhaften Friedens“ betonen, im Gegensatz zu einem wirklichen Frieden, der jetzt durch Verhandlungen erreicht werden könnte.
Von David Arahamiva, dem Leiter der ukrainischen Delegation und Vorsitzenden der Partei ‚Diener des Volkes‘, wissen wir, dass die russischen Unterhändler „bereit waren, den Krieg zu beenden, wenn wir – wie einst Finnland – einen neutralen Status annehmen würden. Dies wurde aufgrund fehlender Sicherheitsgarantien und mit der Begründung abgelehnt, dass die Absicht, der NATO beizutreten, in der ukrainischen Verfassung festgeschrieben sei. Eine anschließende Runde von Friedensgesprächen im April 2022 soll von Großbritannien und den USA sabotiert worden sein, so mehrere Quellen, zu denen auch der ukrainische Sprecher gehört.
Seither hat es keine Friedensverhandlungen mehr gegeben, wahrscheinlich weil das Risiko eines Erfolgs zu groß war. Dieser Krieg muss weitergehen, um das Wachstum der Rüstungsindustrie in den USA und der EU zu rechtfertigen. Die gesamten Militärausgaben der NATO, angeblich ein „defensives“ Bündnis, haben im Jahr 2023 ein Allzeithoch von 1.100 Milliarden US-Dollar erreicht, während die Militärausgaben der mittel- und westeuropäischen Länder, den selbsternannten Verfechtern von Demokratie und Frieden, ebenfalls so hoch sind wie nie zuvor. 345 Milliarden US-Dollar im Jahr 2022 laut SIPRI (Stockholm International Peace Research Institute). Zum Vergleich: Russland, eine in diesen Krieg direkt verwickelte Diktatur, gab laut SIPRI im Jahr 2022 86,4 Milliarden US-Dollar für das Militär aus.
Der Krieg in der Ukraine hat seit Februar 2022 bereits zu Hunderttausenden von Todesopfern geführt, zu Millionen von Flüchtlingen, und dazu, dass ca. 30 % des ukrainischen Territoriums durch Minen verseucht wurden. Es darf nicht zugelassen werden, dass diese Tragödie andauert, nur damit dadurch das weitere Wachstum der Waffenindustrie gerechtfertigt wird, die die Staats- und Regierungschefs der EU nun entschlossen zu sein scheinen, zu einer Schlüsselindustrie zu machen, wie etwa auch Binnenmarktkommissar Thierry Breton weitere 100 Milliarden Euro an Militärausgaben fordert, zusätzlich zu all den auf EU-Ebene und auf nationaler Ebene bestehenden sonstigen Verpflichtungen der europäischen Länder, die ja auch NATO-Mitglieder sind. Ähnlich wie das wehklagende Walross in Lewis Carrolls Gedicht betonten die Staats- und Regierungschefs der EU und der NATO mit bitter Mienen die Unausweichlichkeit von Kriegsvorbereitungen, während sie stattdessen nichts unternahmen, um den Konflikt zu verringern, und dabei lässig das Risiko einer nuklearen Eskalation in Kauf nahmen.
Welche Möglichkeiten es gibt, den Krieg zu beenden, ist hinlänglich bekannt und wurde in den Minsker Vereinbarungen und in den Istanbuler Friedensverhandlungen diskutiert. Eine Gewährleistung der Neutralität der Ukraine und der Rechte russischer Minderheiten würde weitaus effektiver als die Lieferung zusätzlicher Waffen dazu beitragen, Putins Einfluss zu mindern.
Darüber hinaus sollte die EU Kriegsdienstverweigerer aus Russland, der Ukraine und Belarus unterstützen. Das Recht auf Kriegsdienstverweigerung, das in Artikel 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention und in Artikel 18 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verankert ist, wird derzeit von der Ukraine nicht anerkannt, und obwohl es für nichtmilitärisches Personal in Russland gesetzlich anerkannt ist, wird es dort nach Angaben des Europäischen Büros für Kriegsdienstverweigerung in etwa 50 % der Fälle missachtet. Weniger als 10.000 der geschätzt 250.000 Russinnen und Russen, die aus ihrer Heimat geflohen sind, um der Wehrpflicht zu entgehen, haben in der EU Asyl erhalten, obwohl bereits im Juni 2022 60 Organisationen dazu aufgerufen hatten (EBCO-Jahresbericht, S. 3).
Dieser Weg zum Frieden wurde also nicht beschritten, vermutlich deshalb, weil Flüchtlinge die Wirtschaft belasten, ohne andererseits für Machthabende gewinnbringend zu sein, während die Rüstungsindustrie für bestimmte Menschen hochprofitabel ist und einen immer größeren Einfluss auf die EU-Politik ausübt, wie der Bericht „Fanning the Flames“ des Transnational Institute und des Europäischen Netzwerks gegen Waffenhandel sowie der ENAAT-Bericht „Von der Kriegslobby zur Kriegswirtschaft“ zeigen.
Es ist höchste Zeit, dass die Staats- und Regierungschefs der EU ein Stück Glaubwürdigkeit zurückgewinnen, indem sie zeigen, dass sie bereit sind, parallel zu den beispiellosen Investitionen in Kriegsvorbereitungen zumindest eine bescheidene Investition in Frieden und Friedensverhandlungen zu tätigen. Es ist höchste Zeit, dass die Staats- und Regierungschefs der EU die Interessen der europäischen Bürger und generell aller Menschen über die der Waffenindustrie stellen.
Die Übersetzung aus dem Englischen wurde von Ulrich Karthaus vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!