In den letzten Wochen überschlugen sich die Ereignisse und katastrophalen Nachrichten regelrecht. Da noch den Überblick zu behalten, zu verifizieren und zwischen Fokus und Ablenkung zu differenzieren, wird zunehmend schwieriger. Zumindest Eines kann man wohl festhalten: schlimmer geht immer.

Und wir sitzen mittendrin im Schlamassel, welches mitnichten (wie permanent dargestellt) fremdverschuldet, sondern in weiten Teilen maßgeblich mitverantwortet ist. Und nur noch eine Frage ist permanent präsent: Ist denn die („westliche“) Welt völlig verrückt geworden? Es fehlen zunehmend buchstäblich die Worte. Wo soll das alles hinführen, was ist der Zweck und vor allem: cui bono?

Aktive Sterbehilfe

Der Ukraine-Krieg dauert mittlerweile 2 Jahre an, seit ungefähr 1,5 Jahren gibt es eine Pattsituation, in der ausschließlich „abgenutzt“ wird. Das führte nun soweit, dass längst nicht mehr die Beschaffung von Waffen und Munition das Kernproblem darstellen, sondern fehlende Soldaten. Dabei hätte die Eskalation vermieden, spätestens aber im März 2022 eine Einigung erzielt werden können. Die Briten und die Amerikaner (bekräftigt im NATO-Sondergipfel) sahen das jedoch anders als die Ukrainer und die Russen (die sich in weiten Teilen bereits verständigt hatten), also wird bis heute weiter gebombt. Die Verteilung der Machtverhältnisse offenbart sich gerade an dieser Stelle besonders eindeutig.

Und Deutschland macht mit, während die Souveränität der Ukraine betont wird. Das ist eine dieser Stellen, an denen sich regelmäßig ein Synapsenkollaps einstellt. Die Ukraine ist demnach anscheinend nur so lange souverän, wie sie den Krieg weiterführt, ihr Land zerstört wird und ihre eigenen Menschen sterben. Denn in der G7-Abschlusserklärung vom 27. Juni 2022 heißt es: „… Wir treten dafür ein, der Ukraine dabei zu helfen, ihre Souveränität und territoriale Unversehrtheit zu bewahren, sich zu verteidigen und selbst über ihre Zukunft zu bestimmen. Es obliegt der Ukraine, ohne Druck oder Einflussnahme von außen über eine künftige Friedensregelung zu entscheiden…“.

Michael von der Schulenburg nennt diese Aussage angesichts der Fakten- und ukrainischen Zwangslage zynisch. Vor diesen Hintergründen hat sie darüber hinaus auch etwas Skrupelloses, denn was die G7 unter „Hilfe“ verstehen, erschließt sich angesichts der aufoktroyierten Beendigung der Friedensgespräche und mittlerweile Hunderttausenden Toten und Verletzten nicht. Das entspricht eher Hilfe zur Selbstzerstörung oder aktiver Sterbehilfe, denn „während Russland die Schuld für den Beginn eines illegalen Angriffs auf die Ukraine trägt, ist es die NATO, die für die Verlängerung des Krieges verantwortlich ist“.

Selbst Stimmen, wie die des ukrainischen Ex-Oberbefehlshabers Saluschnyj, der von einer Pattsituatio spricht, oder des Ex-Selenskyj-Beraters Arestowytch, der Verhandlungen und einen Waffenstillstand fordert, werden ignoriert. Auch zahlreiche Warnungen vor einer massiven Eskalation hin zu einem III. Welt- und Atomkrieg (Manche sind überzeugt, dass der III. Weltkrieg bereits begonnen hat) werden systematisch ausgeklammert. Wo soll das alles hinführen, was ist der Zweck und vor allem: cui bono?

„Bis zur totalen Vernichtung und zum totalen Sieg“

Seit dem 07. Oktober 2023 ist diese Gefahr noch einmal zusätzlich enorm gestiegen. Nach dem massiven Raketenangriff aus Gaza auf Israel durchbrachen mehr als 1000 palästinensische Terroristen die Grenze und überfielen in einem grausam entmenschlichten Gewaltexzess Militärs, Sicherheitskräfte und Zivilisten.

Dabei wurden über 1000 Menschen getötet und mehr als 150 als Geiseln entführt. Die Reaktion ist ganz offiziell „Rache“ – und zwar explizit „bis zur totalen Vernichtung und zum totalen Sieg“.

Das sind einschlägige, geschichtsträchtige, blutgetränkte Worte, die tatsächlich nicht nur wiederverwendet, sondern in die Tat umgesetzt werden – tragischerweise ausgerechnet von denen, die damals zu ihren Opfern wurden. „Höre Israel, kehre um, wenn es nicht eine Zukunft der ewig Verhassten sein soll“, sagte schon damals Erich Fried. Doch auch das ist Geschichte – und wie sich immer deutlicher an vielen Stellen zeigt, schaffen wir Menschen es wohl nicht, aus der Geschichte zu lernen. Und die Frage steht im Raum, wie es überhaupt dazu kommen konnte – schließlich gab es die Vorbereitungen auf einen Angriff bereits seit Jahren und die besten Geheimdienste der Welt wussten Bescheid. Es gab vielfache Warnungen zuvor – zuletzt sogar vom ägyptischen Geheimdienst. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im amerikanischen Repräsentantenhaus, Michael McCaul, bestätigte dies.

Die geschätzt 35.000-80.000 jetzt gesuchten Hamas-Mitglieder befinden sich mitten unter 2,3 Millionen Einwohnern Gazas, von denen über die Hälfte unter 15 Jahren alt ist. Kinder, die in diese Welt hineingeboren wurden. Deutschland unterstützt Israel finanziell und militärisch, weil die Sicherheit Israels zur deutschen Staatsraison erklärt wurde.

Die Frage ist nur, wie man Sicherheit definiert.

Ein Exkurs zurück zu uns: Deutschland, ganz Europa und die NATO rüsten auf, weil sie unser Leben „sicherer“ machen wollen. Die Behauptung dahinter: je mehr Abschreckung, desto sicherer, also friedlicher sei die Welt. Es brauche also eine Misstrauenskultur, um Frieden zu schaffen. Ist denn nicht allein bereits ein Leben in einer Kultur des Misstrauens feindselig und damit unfriedlich?

Eine Bedrohung mit Massenvernichtungswaffen kann man wohl sicher als Feindseligkeit verstehen. Das Wort Abschreckung enthält nicht umsonst den Schrecken. Ein schrecklicher Frieden ist eine schreckliche Vorstellung. Ein dauerhaftes Leben in Angst mit der permanent steigenden Gefahr eines heißen Krieges. Wie können Feindseligkeit, Eskalation und das Drohen mit katastrophalen Waffen zu dauerhaftem Frieden führen? Wie definieren die Verantwortlichen denn Frieden und Sicherheit? Denkt man an Bundeskanzler Scholz und seine „gefallenen Engel“, dann bekommt man einen Vorgeschmack. Da wird der Frieden verteufelt, denn Krieg sei gut und richtig, wir brauchen einen Mentalitätswechsel wird da propagiert und progressiv wiederholt. Man will aus uns explizit „kriegstüchtige“, d.h. fleißige, emsige, kriegsbegabte, Menschen machen, Menschen, die sich für den Krieg einbringen und dabei noch gut fühlen – eine widerliche Vorstellung von Entmenschlichung.

Die Wahr-Sager der NATO

Ängste werden geschürt, um dem Mentalitätswechsel auf die Sprünge zu helfen. Und es wird gesagt, wir hätten ja keine Wahl, was suggeriert, dass alles von außen käme. Wir sind die Unschuldslämmer (bzw. „der Westen“ oder die NATO) denn man re-agiere ja lediglich auf etwas, das sicher irgendwann in der Zukunft eintreten wird. Eine prophylaktische Reaktion auf die Wahr-Sager der NATO, die jedoch am 24.02.2022 im kollektiven O-Ton „völlig überrascht“ waren, weil sie Russland ganz anders eingeschätzt haben. Und jetzt spielen sie den Angriff bereits durch, während diverse Medien und Journalisten das zu erzielende „Umdenken“ unterstützend begleiten. Da gibt es Schreibtischkrieger, die einerseits nicht müde werden zu betonen, wie schwach und chancenlos die russische Armee in der Ukraine sei, aber gleichzeitig feststellen, dass sie die NATO angreifen würden. Sie unterstellen also parallel Imperialismus und Großmachtambitionen und einen Harakiri – ein Widerspruch par excellence und ein weiterer Synapsenkollaps. Wo soll das alles hinführen, was ist der Zweck und vor allem: cui bono?

„Niemand wird uns stoppen“

Denkt man nun an die Sicherheit der israelischen Bevölkerung, dann erklärt sich gerade wegen der Staatsraison nicht, warum sich Deutschland nicht am vehementesten von allen und mit aller Kraft um Deeskalation und eine Lösung bemüht. „Niemand wird uns stoppen“ wurde verkündet, nachdem nach 3 Monaten Bombardierung Südafrika Klage beim IStGH mit dem Vorwurf des Völkermords eingereicht hatte. Die noch umfangreichere Klage Chiles, die rund 100 chilenische Anwälte in Den Haag einreichten, richtet sich gegen den israelischen Ministerpräsidenten Netanjahu und weitere Regierungsvertreter wegen Völkermordes, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschheit auf Grundlage der Vierten Genfer Konvention von 1949. Bereits letzten November hatte Bolivien dazu gemeinsam mit Südafrika, Bangladesch, den Komoren und Dschibuti beim Ankläger des IStGH einen Untersuchungsantrag gestellt.

Einen Monat zuvor scheiterte ein brasilianischer UN-Resolutionsentwurf mit Fokus auf humanitäre Hilfe im Weltsicherheitsrat aufgrund des Vetos von den USA. 12 der 15 Ratsmitglieder hatten dem Papier zuvor zugestimmt. Mittlerweile hat sich dieses Szenario schon mehrmals in der UN wiederholt, zuletzt vor 5 Tagen, als „der Vorschlag breite Zustimmung fand: 13 der 15 Ratsmitglieder stimmten für den Entwurf, Großbritannien enthielt sich“.

Botschaften des IStGH auch an die deutsche Regierung

Die Klagen in Den Haag müssen nun untersucht und verhandelt werden, was Jahre dauern kann. Allerdings gab es bereits eine Eilentscheidung des IStGH, in der er Sofortmaßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung anordnete – eine klare Botschaft auch an die deutsche Regierung.

Apropos IStGH – was beinahe untergegangen ist: Etwa zeitgleich hat der IStGH eine Klage der Ukraine gegen Russland abgewiesen, in der sie Russland als „Terrorstaat“ bezeichnete, ihm die „Finanzierung von Terrorismus“ in der Ostukraine vorwarf und Entschädigungszahlungen forderte. Eine weitere klare Botschaft auch an die deutsche Regierung.

Tagesschau vom 24.02.2024

Doch all diese Dinge, die nicht ins Narrativ und zum angestrebten Mentalitätswechsel passen, gehen in unseren Leitmedien nach wie vor unter, während andere Themen einen regelrechten Hype erfahren.

Da läuft das größte NATO-Manöver „Steadfast Defender“ aller Zeiten über 4 Monate mit 90.000 Soldaten, in dem sie einen „umfassenden Krieg mit Russland“ üben. Doch die Tagesschau erwähnt es selbst am 24.02.2024 nicht mit einem Wort. Stattdessen wird eine halbe Minute lang über eine umgekippte Mondsonde berichtet. In ganz Deutschland gab es zahlreiche Friedensdemos zum Jahrestag, doch auch sie wurden ignoriert. Aber es gab einen umfangreichen Bericht über die Rufe nach mehr Waffen auf den Ukrainedemos, untermauert mittels eines Videoausschnitts von Bundeskanzler Scholz, um die Worte „Selbstverteidigung“ (die ja anscheinend mittlerweile ganz Russland einschließt) und „so lange wie nötig“ noch einmal zu platzieren.

Man kann das nicht oft genug wiederholen – v.a. nicht, wenn man den Krieg auch so lange wie möglich am Laufen halten möchte, weil die DGAP in ihrem „Policy Brief“ aufgrund des „Gelegenheitsfensters“ dazu rät.

Demokratiefeinde

Da müssen jetzt schon andere Saiten aufgezogen werden, „schärfere Geschütze“, wenn wir Bürger immer noch nicht so kriegstüchtig sind, wie verlangt. Also werden zusätzliche Feindbilder im Land geschaffen – Spaltung ist die Devise – und zeitgleich die Ängste vor einem Krieg im eigenen Land geschürt. Wir gehen jetzt „de facto all in“, so lautet die Parole, und jeder, den das abstößt, wird als demokratiefeindlich bezeichnet. Dabei ist doch tatsächlich demokratiefeindlich, wer andere Ansichten nicht akzeptiert, einen kritischen Diskurs unterbindet, erklärt, was gefälligst alle zu denken haben und Kritiker ignoriert und diffamiert. Bis sich die SPD wieder mehrheitlich zu ihren ursprünglichen Kernthemen bekennt, dauert es vermutlich sehr lange. Da brodelt es zwar intern gehörig, doch solange sie den Kanzler stellt, wird sich im Kurs wohl nichts grundlegend ändern. Eher rutscht sie, wie alle, selbst noch weiter nach rechts, versucht aus den Arbeitern Soldaten zu machen und kehrt die ehemalige Entspannungspolitik ins Gegenteil um.

Ohne Frieden ist alles nichts

So gerade vor ein paar Tagen wörtlich auf der sogenannten „Münchner Sicherheitskonferenz“ – ehemals „Wehrkundetagung“ – geschehen: „Ohne Sicherheit ist alles nichts“ verkündete Bundeskanzler Scholz und Verteidigungsminister Pistorius schlug direkt in dieselbe Kerbe. Wie festgestellt, benutzen sie das Wort „Sicherheit“ substitutiv ausschließlich für Militär und Aufrüstung (also Eskalation… Krieg). Bei diesem Satz sollten jetzt aber endgültig alle Alarmglocken läuten, denn drastischer und eindeutiger kann man den Kriegskurs nicht mehr darstellen. Hier wurde der geschichtsträchtige Satz Willy Brandts (03.11.1981) – „Der Frieden ist nicht alles, aber alles ist ohne den Frieden nichts“ – für das exakte Gegenteil missbraucht. Willy Brandt würde sich im Grabe umdrehen.

Mentalitätswechsel – weg von einer solidarischen, partnerschaftlichen, friedlichen Denkweise hin zu einer egoistischen, spalterischen und kriegerischen Denkweise, Aufrüstung um jeden Preis, Wehrpflicht für alle und Kriegspädagogik in Schulen. Ernsthaft: wer genau von uns Bürgern sehnt sich Letzteres herbei? Sicher keine Mehrheit, daher ist es beängstigend, sich vorzustellen, was da noch alles kommt, um uns aber mehrheitlich dorthin zu bringen. Man muss sich deutlich etwas einfallen lassen und die ersten Anzeichen sind nicht zu überhören.

Mündige Bürger

Egon Bahr sagte einmal: „In der internationalen Politik geht es nie um Bürokratie und Menschenrechte, es geht um die Interessen von Staaten. Merken Sie sich das, egal was man Ihnen im Geschichtsunterricht erzählt“. Ein Appell an rationales Denken, den man sich regelmäßig, aber vielleicht gerade dieses Jahr, dem Kant-Jahr, bewusst machen sollte. „Zum ewigen Frieden“ gehört allerdings für Kant eine wichtige Voraussetzung: mündige Bürger, d.h. sie sind aufgeklärt, autonom und frei. Im Umkehrschluss bedeutet das für alle, die die Gesellschaft militarisieren und aufrüsten wollen, die Kriege führen, dass sie unmündige, unaufgeklärte, desinformierte Bürger brauchen. Dafür gibt es Mittel und Werkzeuge, wie Rhetorik, Emotionalisierung, Wiederholungen, Umdeutung von Begriffen, Freund-Feind-Schemata und -Bilder etc., die auch progressiv und systematisch genutzt werden. Wo soll das alles hinführen, was ist der Zweck und vor allem: cui bono?

Der Mehrheit der Menschen in unserem Land und auf dem gesamten Planeten nutzt Kriegsmentalität, Spaltung, Hass und Hetze sicher nicht. Das heißt, wenn man diesen Kurs unbehelligt weiterführen möchte, dann müssen die Ängste der Bevölkerung so stark geschürt werden, dass diese den gesunden Menschenverstand überlagern. Man kann nur hoffen, dass das nicht funktioniert.

Zumindest gibt es immer mehr Menschen, die sich dem Diskurs zur Legitimierung der Aufrüstung (mittels Normalisierung militärischer Gewalt bis zur Verherrlichung) entschieden entgegenstellen. So auch wieder dieses Jahr als Gegenpol zur Wehrkundetagung auf der mehrtägigen Friedenskonferenz und der Antisiko- Demo, sowie auf den zahlreichen Kundgebungen zum 24.02.2024.

Denn wir brauchen keine Kriegshelden, sondern „dringend Friedensstifter, Heiler, Erneuerer, Geschichtenerzähler und Liebende aller Arten“. (Dalai Lama)

Der Originalartikel kann hier besucht werden