Deutschland ist Hochsteuerland für Menschen, die für ihr Geld arbeiten, aber Niedrigsteuerland für Superreiche, die einen Großteil ihrer Einkommen aus Vermögen
beziehen.
Ein typischer Multimillionär zahlt mit 24 Prozent (inkl. Sozialabgaben) nur die Hälfte des Reichensteuersatzes von 47,5 Prozent (inkl. Soli) und knapp die Hälfte dessen, was eine
Durchschnittsverdiener-Familie zahlt. Unsere Beispiel-Milliardäre haben ihren Steuersatz seit 1996 von etwa 60 Prozent auf 25 Prozent mehr als halbiert. Immobilienmilliardäre zahlen mit
knapp 17 Prozent sogar noch weniger. Und gerade die größten und profitabelsten Konzerne zahlen trotz globaler Mindeststeuer auf ihre in Deutschland erwirtschafteten Gewinne deutlich
weniger als die Hälfte dessen, was kleine lokale Unternehmen zahlen.
Bereits zum dritten Mal gibt das Jahrbuch Steuergerechtigkeit 2024 einen systematischen Überblick über die Gerechtigkeitslücken im deutschen Steuersystem. Zum ersten Mal
präsentiert es sieben moderate Reformvorschläge, die für ein gerechteres und ökologischeres Steuersystem sorgen könnten. Zusammen haben sie ein UmSTEUERungspotenzial von 75
Milliarden Euro. Zur Halbzeitbilanz der aktuellen Bundesregierung zeigt sich außerdem: Die Hälfte der wenig ambitionierten Ziele ist abgearbeitet, lediglich bei der Bekämpfung von
Steuertricks und Geldwäsche gibt es – bisher noch recht kleine – Fortschritte.
„Dass wenige extrem profitable Großkonzerne, Superreiche und Erbinnen und Erben großer Vermögen niedrigere Steuern zahlen als die große Mehrheit der kleinen Unternehmen oder
die arbeitende Mitte, ist ein Problem für die Demokratie. Damit wir gemeinsam die großen Herausforderungen unserer Zeit bewältigen können, müssen Superreiche und ihre Konzerne
wieder mehr zur Gemeinschaftskasse beitragen. Wer glaubt, dass das utopisch ist, hat die Demokratie und unsere Zukunft schon aufgegeben”, so Christoph Trautvetter, Co-Autor und
Koordinator des Netzwerk Steuergerechtigkeit.
Weitere Informationen finden Sie unter www.netzwerk-steuergerechtigkeit.de/jahrbuch2024
Sie erreichen uns unterc.trautvetter@netzwerk-steuergerechtigkeit.de (Tel: 017678675480) oder j.jirmann@netzwerk-steuergerechtigkeit.de (Tel: 030 21799996)
Vermögensbezogene Steuer auf dem Rückzug, Vermögen wachsen immer weiter
2023 ist der Anteil der Einnahmen aus den vermögensbezogenen Steuern unter ein Prozent gefallen. Auch aufgrund von rückläufigen Steuern auf Vermögen, haben die deutschen Milliardenvermögen ihren Wert seit 2013 fast verdreifacht und sind auch 2023 um 170 Milliarden Euro gewachsen – nicht zuletzt, weil wir in einer Analyse einige Lücken der Reichtumsforschung geschlossen haben. Die BMW-Erbin Susanne Klatten zahlte 1996 noch rund 60 Prozent, mittlerweile sind es nur noch knapp 25 Prozent bei einem Jahresgewinn von zuletzt 5 Milliarden Euro. Aufgrund von Steuererlassen für „bedürftige“ Superreiche erhielten 24 Erben und Beschenkte im Jahr 2022 auf ihre Vermögenstransfers von insgesamt rund 6 Milliarden Euro Steuererlasse von 1,43 Milliarden Euro.
„Deutschland besteuert Arbeit zu hoch und Kapital zu niedrig. Das macht wirtschaftlich keinen Sinn, weil sich Leistung dann nicht ausreichend lohnt. Die niedrigen effektiven Steuersätze auf deutsche Milliardenvermögen drehen den Turbo der Vermögensungleichheit weiter auf. Dass vier Familien so viel Vermögen besitzen wie die ärmere Hälfte der Deutschen zusammen, ist ein Problem für die Demokratie. Der Vergleich zum Jahr 1996 zeigt: Das deutsche Steuersystem braucht dringend ein Update“, so Julia Jirmann, Co-Autorin und Referentin für den Themenbereich Vermögen und Erbschaften beim Netzwerk Steuergerechtigkeit.
Die größten und profitabelsten Konzerne mit dem niedrigsten Steuersatz
Die großen Digitalkonzerne zahlten 2023 in Deutschland unverändert nur etwa 3 Prozent Steuern auf ihre hier erwirtschafteten Gewinne. Weltweit zahlten sie nur etwa 16 Prozent und damit nur halb so viel wie Millionen von kleinen und mittleren Unternehmen – oder sogar noch deutlich weniger. Dabei sollte es genau umgekehrt sein. Die 2024 eingeführte Mindeststeuer von 15 Prozent ändert daran kaum etwas. Eine von der EU oder Deutschland bei Bedarf unilateral eingeführte Übergewinnsteuer für die größten und profitabelsten Konzerne könnte das ändern und – je nach Ausgestaltung – jedes Jahr knapp 20 Milliarden Euro einbringen.
„Dass große und hochprofitable Konzerne wie Amazon ihre Gewinne in Steueroasen verschieben und effektiv nur die Hälfte dessen zahlen, was der Buchhändler von neben zahlen muss, ist unfair und zementiert die problematische Macht dieser Großkonzerne. Eine gerechtere Besteuerung der großen Digitalkonzerne wäre ein guter erster Schritt zur Begrenzung der Konzernmacht“, so Karl-Martin Hentschel, Vertreter von Attac im Netzwerk Steuergerechtigkeit.
Zeit für ein gesundes und ökologisches Steuersystem
Während auf Fleischersatz und Sojamilch 19 Prozent Umsatzsteuer fällig wurden, waren es bei Fleisch aus Massentierhaltung und Gummibärchen nur 7 Prozent. Privatjets und Superjachten können die Steuer auf Kerosin und den Emissionshandel teilweise ganz vermeiden.
„Im Steuersystem gibt es seit vielen Jahren zahlreiche umweltschädliche Steuerprivilegien, die nicht nur dem Klima schaden, sondern meist auch sozial sehr ungerecht sind. Besonders die klimaschädlichsten Regeln nutzen oft den Wohlhabendsten, wie z.B. die Ausnahme von der Luftverkehrssteuer für Privatjets. Gleichzeitig treten immer mehr Klimaschäden tatsächlich ein und belasten die Solidargemeinschaft zunehmend. Finanziell schwächere Menschen leiden darunter doppelt, da sie oft sowohl von den Klimaschäden als auch von Kürzungen der Sozialleistungen aufgrund knapper Kassen betroffen sind. Uns bleibt nur noch wenig Zeit, konsequent und wirksam gegenzusteuern“, so Carolin Schenuit, Vertreterin des Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft e.V. im Netzwerk Steuergerechtigkeit.
Konsequent gegen Finanzkriminalität
Im Jahr 2022 waren nur 2.498 Steuerfahnder*innen im Einsatz für mehr Steuergerechtigkeit. Im Verhältnis zum Schaden war der Prüfaufwand gegen Schwarzfahren etwa zehnmal höher als die Ausgaben für Steuerfahndung und Betriebsprüfung. Mit der 2023 begonnenen Verknüpfung von Immobilieneigentümern und Transparenzregister an zentraler Stelle ist der Bundesregierung ein Geniestreich gelungen. Aber die Lücken im Transparenzregister sind weiterhin zu groß und die Datenqualität zu gering. Eine Einheit zur Ermittlung rund um verdächtige Vermögen könnte das ändern.
„Die Beschäftigten in der Steuerprüfung und Steuerfahndung sorgen für Steuergerechtigkeit und erzielen noch dazu mehr als das Zehnfache an Mehreinnahmen, als sie selbst kosten. Die Personallücken endlich zu füllen und Finanzkriminalität endlich konsequent zu bekämpfen lohnt sich also doppelt“, so Ralf Krämer, Vertreter von ver.di im Netzwerk Steuergerechtigkeit.
„2022 hat der Bundesfinanzminister versprochen, endlich die großen Fische zu fangen. 2024 muss er diesen Worten Taten folgen lassen. Anonyme Vermögensstrukturen öffnen politischer Einflussnahme, Korruption und organisierter Kriminalität Tür und Tor. Die Behörden sind bisher weitgehend machtlos und müssen endlich in die Lage versetzt werden, verdächtiges Vermögen systematisch zu ermitteln“, so Anna-Maija Mertens, Vertreterin von Transparency International Deutschland e.V. im Netzwerk Steuergerechtigkeit.
Der globale Blick
Der direkte Schaden der Länder des globalen Südens durch Gewinnverschiebung der großen Konzerne und Offshore-Vermögen belief sich auf rund 90 Milliarden US-Dollar. Damit war er fast so hoch wie die weltweite staatliche Entwicklungshilfe (158 Milliarden US-Dollar). Mit einem Positionspapier hat sich das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung klar für den Abbau von Ungleichheit und für progressive Besteuerung ausgesprochen. Jetzt muss die Entwicklungszusammenarbeit entsprechend angepasst werden.
„Die internationale Steuergerechtigkeit ist im jüngsten Abkommen der OECD zur Reform der Unternehmensbesteuerung zu kurz gekommen. Der neue Verhandlungsprozess zu einer UN-Steuerkonvention bei den Vereinten Nationen hat großes Potenzial, bessere Ergebnisse zu bringen. Alle Mitgliedstaaten sollten sich konstruktiv in den Prozess einbringen“, so Bodo Ellmers, Vertreter des Global Policy Forum im Netzwerk Steuergerechtigkeit.
„Dass sich weiterhin mehr als die Hälfte der Beteiligungen der deutschen Entwicklungsbank DEG in Steueroasen befinden, widerspricht den Zielen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Die Bundesregierung sollte die Erkenntnisse aus ihrem Positionspapier zur Ungleichheitsbekämpfung konsequent umsetzen“, so Dr. Klaus Schilder, Vertreter von Misereor im Netzwerk Steuergerechtigkeit.