Redaktion INFOsperber
Der Arzt Pierre Beck hatte einer 86-jährigen Frau ohne medizinische Diagnose eine Hilfe zum Freitod ermöglicht. Darauf klagte die Genfer Staatsanwaltschaft den Arzt wegen Verstosses gegen das Heilmittelgesetz und gegen das Betäubungsmittelgesetz an. Am 13. März 2024 sprach ihn das Schweizer Bundesgericht vom Vorwurf frei, gegen das Betäubungsmittelgesetz verstossen zu haben. Bereits Ende 2021 wurde Beck freigesprochen, gegen das Heilmittelgesetz verstossen zu haben.
Die Sterbehilfeorganisation Dignitas ordnet diese Urteile im folgenden Gastbeitrag ein.
Der Rechtsrahmen der seit 40 Jahren bewährten Praxis der Freitodbegleitung wird durch das Urteil gestärkt. Das Bundesgericht behob mit seinem jüngsten Urteil einen gewichtigen Mangel: Es war absurd, dass ein Laie bei der Selbstbestimmung über das eigene Lebensende mit untauglichen und gefährlichen Mitteln assistieren konnte, während einer Fachperson bei Gebrauch des seit Jahrzehnten für Suizidassistenz bewährte Medikament Natrium-Pentobarbital dies nicht im gleichen Umfang möglich war.
Mit seinem Urteil hat das Bundesgericht nicht etwa eine Lücke oder Unsicherheit geschaffen, wie in Medien zum Teil zu lesen war, sondern seinen eigenen Entscheid aus dem Jahr 2006 sowie die seither auch international entstandene Rechtsprechung bestätigt. Zitat aus dem Urteil des Bundesgerichtsentscheids 133 I 58 aus dem Jahr 2006:
«Zum Selbstbestimmungsrecht im Sinne von Artikel 8 Ziffer 1 EMRK gehört auch das Recht, über Art und Zeitpunkt der Beendigung des eigenen Lebens zu entscheiden; dies zumindest, soweit der Betroffene in der Lage ist, seinen entsprechenden Willen frei zu bilden und danach zu handeln.»
Im Fall des Arztes Pierre Beck geht es nicht generell um Sterbehilfe, sondern um ärztlich unterstützten assistierten Suizid. «Sterbehilfe» ist ein Sammelbegriff für verschiedene Formen von Unterstützung beim oder zum Sterben, dazu zählt auch die in der Schweiz verbotene «Aktive Sterbehilfe» (Tötung auf Verlangen).
Eine Sterbewillige ist nicht «gesund»
Es wurde geschrieben, es sei einer 86jährigen «gesunden» Person Suizidassistenz geleistet worden. Dies ist irreführend, weil es das Wesentliche verkennt: Wer wirklich gesund ist, will nicht sterben – auch nicht mit einer Suizidassistenz. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hielt fest, Gesundheit bedeute nicht «bloss das Fehlen einer Krankheit oder eines Gebrechens», sondern sei «ein Zustand vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens». Das bedeutet: Es kann sich auch dann um ein schweres Leiden handeln, wenn keine Diagnose im Sinne der Diagnosedefinitionen der ICD- und ICF-Tabellen vorliegt.
Wenn eine Person den Wunsch nach Suizidassistenz äussert, dann gibt es dafür immer einen Grund. Dieser ist irgendein Leiden, also eine Beeinträchtigung der Lebensqualität. Wenn jemand sagt «Ich will sterben», sollte jede Person, ob Arzt oder nicht, die Frage stellen: «Ja, und weshalb?». Eine solche Frage öffnet die Tür zum Austausch, in dessen Verlauf miteinander und auf Augenhöhe erörtert werden kann, was die Ursache für den Sterbe- beziehungsweise Suizidassistenz-Wunsch ist, welche Möglichkeiten es zur Minderung des Leidens gibt.
Dies ist gleichzeitig Prävention von einem Suizid(versuch), die – was meist übersehen wird – mit der ärztlichen Suizidassistenz verknüpft ist.
Die Hilfe zum Suizid ist streng kontrolliert
Einige behaupten, die Suizidassistenz sei zu wenig geregelt und kontrolliert. Dabei wird übersehen, dass über jedem assistierten Suizid das Damoklesschwert der Strafverfolgung hängt: Jede Verschreibung von Natrium-Pentobarbital wird registriert, jede Freitodbegleitung den Behörden gemeldet und von der Staatsanwaltschaft in Zusammenarbeit mit Polizei und Amtsarzt untersucht. Alleine schon daraus ergibt sich eine Sorgfaltspflicht in der Prüfung eines Antrags um Freitodbegleitung. Ärztinnen und Ärzte haben ohnehin eine besondere Dokumentationspflicht; dies betrifft natürlich auch die Suizidassistenz.
Dass Beck und weitere Ärzte in früheren Rechtsfällen in ein straf- und/oder berufsrechtliches Verfahren gerieten, beweist, dass die staatliche Überprüfung der Suizidassistenz funktioniert. Der gegebene Rechtsrahmen hat sich bewährt und ist ausreichend, um vermutete Missbrauchsfälle zu untersuchen und allenfalls zu ahnden. Dies hat der Bundesrat schon am 29. Juni 2011 festgehalten und erklärt, es brauche kein Spezialgesetz, da die allgemeinen Gesetze ausreichend seien.
Sterbewillige nicht dem riskanten Do-it-yourself-Suizid überlassen
Wirklich nötig sind Aufklärung und Weiterbildung von Fachpersonen im Gesundheits- und Sozialwesen. Der von «Dignitas – Menschenwürdig leben – Menschenwürdig sterben» vertretene Ansatz zu einer umfassenden Leidensminderung mag Schule machen: Zu diesem gehört nicht nur die Suizidassistenz, sondern – und vor allem – den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen, mit Respekt zu behandeln und ihn nicht einem hochriskanten Do-it-yourself-Suizid zu überlassen.
Deutschland: Gericht verweigert Sterbewilligen tödliches Betäubungsmittel für Suizid
In Deutschland hat jeder Mensch eigentlich das Recht, frei über seinen Tod zu entscheiden. Trotzdem hat das deutsche Bundesverwaltungsgericht im November 2023 in einem Grundsatzurteil den Zugang zum tödlichen Betäubungsmittel Natrium-Pentobarbital als rechtswidrig bezeichnet. Die Gefahren für die Bevölkerung, die von Erwerb und Aufbewahrung des Mittels ausgingen, seien sehr hoch. Geklagt hatten zwei Männer aus Rheinland-Pfalz und Niedersachsen. Der eine ist durch Multiple Sklerose fast vollständig gelähmt, der andere hat schwere Krebserkrankungen durchgemacht.