Papst Franziskus steht seit dem 10. März 2024 wegen eines Interviews, das er dem Schweizer Sender RSI gegeben hat, in der Kritik. Dem Papst wird in den Medien und in Stellungnahmen aus Gesellschaft, Politik und Kirche vorgeworfen, die Ukraine zum Hissen der „weißen Fahne“ aufzufordern. Das wird als einseitige Parteinahme für Russland, als Bestätigung einer pro-russischen Haltung und als Aufforderung an die Ukraine zur Kapitulation gedeutet.
Der pax christi-Bundesvorstand erklärt anlässlich der Ausstrahlung des vollständigen Interviews am 20. März 2024: „Der Papst macht erneut deutlich, dass das Blutvergießen in der Ukraine aufhören und stattdessen verhandelt werden muss. Franziskus benennt das Leid, dass jeder Krieg auf allen Seiten schafft. Seine große Sorge ist, dass sich der Krieg nicht mehr stoppen lässt. Er nimmt wahr, wie an so vielen Orten aus gegenseitigem Hass, Kriege entstehen”, sagt Klaus Hagedorn, geistlicher Beirat von pax christi.
„Die Gedanken des Papstes sind nie bei Militärtaktiken und Sicherheitslogik, sondern immer bei den Opfern. Wegen dieser Parteinahme für die Opfer auf allen Seiten gerät er offensichtlich in ein moralisches Zwielicht, weil Parteinahme für eine Kriegspartei derzeit als moralisches Gebot gilt”, so Klaus Hagedorn weiter.
Auf die Frage des Journalisten, ob „der Mut zur Kapitulation, zur weißen Fahne“, der in der Ukraine von einigen eingefordert werde, nicht „die Stärksten legitimieren“ würde, antwortet Franziskus: „Ich denke, dass der Stärkere derjenige ist, der die Situation betrachtet, an die Menschen denkt und den Mut zur weißen Fahne, zum Verhandeln hat. Und heute kann man mithilfe der Internationalen Mächte verhandeln; es gibt einige. Das Wort ‚verhandeln’ ist ein mutiges Wort. … Schämen Sie sich nicht zu verhandeln. […] Verhandeln ist niemals Kapitulation.“
Damit korrigiert der Papst das vom Journalisten eingebrachte und irreführend gedeutete Bild von der weißen Fahne als einem Symbol der Kapitulation. Der „Mut zur weißen Fahne” basiert auf einem der ältesten Grundsätze internationalen Rechts. So ist bereits in der Haager Landkriegsordnung von 1899, einer zentralen Säule des heutigen Kriegsvölkerrechts, die Bedeutung der weißen Fahne, die auch Parlamentärsflagge genannt wird, festgelegt (Art. 32): „Als Parlamentär gilt, wer von einem der Kriegführenden bevollmächtigt ist, mit dem anderen in Unterhandlungen zu treten, und sich mit der weißen Fahne zeigt. Er hat Anspruch auf Unverletzlichkeit.”
Die heftigen Reaktionen gegenüber dem Papst dokumentieren für pax christi, wie stark eine reine „Militärlogik“ in der Öffentlichkeit vorherrscht und den Diskurs bestimmt. Darin sehen wir auch den Grund, dass die Äußerungen des Papstes allesamt im Sinne einer militärlogischen oder sicherheitslogischen Lesart verstanden wurden.
Papst Franziskus geht es um ‚Friedenstüchtigkeit‘. Verhandlungen sind für ihn der Ort, um Konflikte zu transformieren und Konfrontationen zu verringern. Dazu gehört für Franziskus auch, die eigenen Interessen mit denen aller anderen in Einklang zu bringen. Er ist von dem Gedanken der Geschwisterlichkeit aller Menschen geleitet: „Heute ist nicht die Zeit für Gleichgültigkeit. Entweder sind wir Geschwister, oder alles bricht zusammen. Die Geschwisterlichkeit ist das neue Ziel der Menschheit, auf das wir hinarbeiten müssen; sie ist die Aufgabe unseres Jahrhunderts.“, so der Papst.
pax christi fordert die Kritiker:innen der Äußerungen des Papstes auf, über militär- und sicherheitslogisches Denken hinauszugehen und sich für Verhandlungen einzusetzen, die schließlich zu einem dauerhaften Frieden führen können.