Bundeswehrsoldaten starten mit der ersten von vier Teilübungen des Großmanövers Quadriga. Szenario: ein Krieg gegen Russland. Berlin nutzt das Manöver, um sein militärpolitisches Gewicht zu erhöhen.
Die Bundeswehr hat in Norwegen mit dem ersten Teilmanöver der Kriegsübung Quadriga begonnen. Bereits seit Januar kommt es im Zusammenhang mit dem deutschen Großmanöver und dem übergeordneten NATO-Manöver Steadfast Defender zu Truppenbewegungen über deutsche Infrastruktur. Auch in den kommenden Monaten werde weiterhin „viel Militär auf den Straßen“ zu sehen sein, kündigen die Streitkräfte an. Bis voraussichtlich Mai sollen nach Angaben der Truppe „zehntausende“ Soldaten „sowie tausende Gefechtsfahrzeuge zeitgleich durch Deutschland fahren“. Insgesamt knapp sechs Monate lang trainieren Soldaten aus der Bundesrepublik und aus anderen Staaten des westlichen Bündnisses den Krieg gegen Russland – von der „Alarmierung“ über „das Verlegen großer Truppenteile“ bis hin zum „Gefecht“. Das Szenario der Übung – ein Krieg zwischen der NATO und der Atommacht Russland – sei nicht „ausgeschlossen“ und mehr als „nur ein militärisches Gedankenspiel“, heißt es dazu. Deutschland nutzt das Manöver, um einerseits seinen Anspruch auf eine Sonderrolle innerhalb der NATO zu untermauern, anderseits um sich gleichzeitig als militärische Führungsnation der EU in Stellung zu bringen und seine nationale Militarisierung voranzutreiben.
Aufmarsch in vollem Gange
Den „Startschuss“ für das Manöver Quadriga hat die Bundeswehr nach eigenen Angaben bereits Mitte Januar gegeben. Damals waren die ersten Fahrzeuge und Container von Bad Reichenhall auf den Weg nach Norwegen gebracht worden, um die seit vergangener Woche laufende erste Teilübung Nordic Response vorzubereiten.[1] Seit Januar waren mehrfach Kolonnen von Militärfahrzeugen auf deutschen Autobahnen unterwegs gen Norden oder Osten – beispielsweise Anfang Februar „ein großer Militärverband der Deutsch-Französischen Brigade“ mit mehr als 100 Fahrzeugen.[2] Ende Februar folgte ein „großer Militärverband der britischen Streitkräfte“ mit „mehreren hundert Fahrzeugen“ von Nordrhein-Westfalen über Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg bis zur deutsch-polnischen Grenze in Mecklenburg-Vorpommern.[3] Darauf folgte direkt im Anschluss die bisher größte Truppenbewegung im Rahmen von Quadriga: Die Bundeswehr zog Einheiten mit „über 1.000“ Fahrzeugen vor allem über die A7 und die A9 aus Norddeutschland, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz sowie aus den Niederlanden auf den Truppenübungsplätzen Hohenfels und Grafenwöhr in Bayern zusammen. Die Truppen werden im Rahmen des dritten der vier Quadriga-Teilmanöver, Allied Spirit, eingesetzt. Gemeinsam mit US-Streitkräften werden sie den Krieg gegen eine Großmacht trainieren. Den Rücktransport der Soldaten, der zu „Verkehrsbeeinträchtigungen“ führen werde, kündigt die Bundeswehr für Ende März an.[4]
In die Öffentlichkeit
In Ostdeutschland müssen sich Autofahrer bereits seit Anfang März auf „Störungen“ durch Truppenbewegungen „einstellen“, heißt es in der Lokalpresse. Sachsen-Anhalt habe für Verlegungen nach Osten eine „besondere Bedeutung“, erklärte ein Sprecher der Bundeswehr gegenüber der Mitteldeutschen Zeitung. Viele „Kolonnen“ von Militärfahrzeugen mit Marschziel „im Bereich Polen und Litauen“ nutzten etwa das Autobahnkreuz Magdeburg.[5] Insgesamt werde es durch das Manöver zu einem „stärkeren militärischen Verkehrsaufkommen“ auf den „Hauptverbindungsstraßen“ kommen, teilt das zuständige Kommando der Bundeswehr mit.[6] Es werde „mehr Militär im öffentlichen Raum und insbesondere auf Straßen und Autobahnen sichtbar“ sein. Die „Marschkolonnen“ werden nach Angaben des Militärs „bis zu drei Kilometer lang“ sein.[7] Eine erhöhte Sichtbarkeit der Bundeswehr in der „Mitte der Gesellschaft“, wie sie als Nebeneffekt bei Manövern wie Quadriga erreicht wird, strebt Berlin bereits seit Jahren an. 2015 wurde dazu der Tag der Bundeswehr eingeführt. Seit 2020 fahren Soldaten kostenlos Bahn – allerdings nur, wenn sie Uniform tragen.
Nicht ausgeschlossen
Übungsziel von Quadriga ist laut Angaben der Bundeswehr die Verbesserung „von Fähigkeiten zur transatlantischen und innereuropäischen Verlegung und des Einsatzes von Truppen an der NATO-Ostflanke“.[8] Das Szenario: Russland greift NATO-Territorium in Europa an, aus dem „Nordosten, dem Osten und dem Südosten“. Das Szenario sei „beängstigend, aber nicht unrealistisch“, schreibt die Bundeswehr auf ihrer Webseite. Die NATO-Staaten seien „zwar jedem potentiellen Gegner … überlegen“, behauptet die Truppe. Großmanöver brauche man aber trotzdem: „Russland soll sehen“, was es von einem Krieg „zu erwarten“ habe.[9]
„Führungsverantwortung“
Nicht nur bei Quadriga, auch bei dem übergeordneten NATO-Großmanöver Steadfast Defender sieht sich die Bundesrepublik Deutschland „im Mittelpunkt“. Mit über 12.000 Soldaten ist der deutsche Beitrag an Steadfast Defender überdurchschnittlich hoch: Als einer von insgesamt 32 beteiligten Staaten stellt Deutschland fast ein Siebtel der insgesamt 90.000 beteiligten Militärs. Die Bundeswehr gibt an, insgesamt sei „etwa jeder sechste der 62.000 Heeresangehörigen“, über die sie verfüge, „direkt“ an Quadriga und damit Steadfast Defender beteiligt. Berlin demonstriere gegenüber der Welt seine „Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit als NATO-Partner“, ja übernehme innerhalb des US-dominierten Militärbündnis gar „Führungsverantwortung“.[10]
Deutsche Ambitionen
Berlin nutzt das NATO-Manöver zudem, um sich auch unabhängig von der NATO militärisch in Stellung zu bringen. Die Truppenbewegungen durch Deutschland koordiniert das Territoriale Führungskommando der Bundeswehr. Deutsche Militärs sammeln dabei Erfahrung beim Führen internationaler Großverbände – eine für die militärische Eigenständigkeit der EU unerlässliche Fähigkeit. Die Bundeswehr gibt an, sie habe aus Quadriga bereits jetzt „wertvolle Lehren“ für den „Ernstfall“ ziehen können.[11] So trainiert sie im Verlauf von Quadriga in ihrem „zukünftigen Haupteinsatzgebiet“ Litauen den Einsatz von Kampf- und Schützenpanzern und sammelt von Norwegen über Polen und Ungarn bis nach Rumänien Erfahrungen an der NATO-Ostflanke.[12]
[1] Was passiert am nördlichsten Punkt Europas? bundeswehr.de 04.03.2024.
[2] Bundeswehrkonvois auf Straßen in Sachsen, Brandenburg und Sachsen-Anhalt erwartet. Pressemitteilung des Territorialen Führungskommandos der Bundeswehr, 30.01.2024.
[3] Konvois britischer Streitkräfte auf Straßen in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern erwartet. Pressemitteilung des Territorialen Führungskommandos der Bundeswehr, 14.02.2024.
[4] PIZ Heer: QUADRIGA 2024 – Großverband der Bundeswehr auf dem Weg von Nord nach Süd. presseportal.de 20.02.2024
[5] Verkehrsbehinderungen durch Bundeswehr: Staugefahr im März in Sachsen-Anhalt, Mitteldeutsche Zeitung 08.03.2024.
[6] Konvois britischer Streitkräfte auf Straßen in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern erwartet. Pressemitteilung des Territorialen Führungskommandos der Bundeswehr, 14.02.2024.
[7] Bundeswehrkonvois auf Straßen in Sachsen, Brandenburg und Sachsen-Anhalt erwartet. Pressemitteilung des Territorialen Führungskommandos der Bundeswehr, 30.01.2024.
[8] PIZ Heer: Landes- und Bündnisverteidigung – die Übungsserie QUADRIGA 2024. presseportal.de 31.01.2024.
[9] Quadriga 2024: Landstreitkräfte üben den Bündnisfall. bundeswehr.de.
[10] Konvois britischer Streitkräfte auf Straßen in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern erwartet. Pressemitteilung des Territorialen Führungskommandos der Bundeswehr, 14.02.2024.
[11] Was passiert am nördlichsten Punkt Europas? bundeswehr.de 04.03.2024.
[12] Quadriga 2024: Landstreitkräfte üben den Bündnisfall. bundeswehr.de.