Paredes blancas“, der neue Videoclip von Urraka Negra, wurde am Sonntag, 24. März, um 20 Uhr (MEZ 25.03. 00:00 Uhr) auf ihrem Youtube-Kanal veröffentlicht. Wir sprachen mit der Mapuche-Rapperin über die Notwendigkeit, sich die eigene Identität zurückzuerobern und die Stimme gegen den Völkermord zu erheben, der an Orten wie dem Museo de La Plata fortgesetzt wird.
Eines Nachts im Jahr 2023 sind die Laternenpfähle in dem Wäldchen um das Museo de La Plata verhüllt. Auf den weißen Wänden des Museums erscheinen Bilder der Mapuche-Tehuelche. Sie erinnern an die Menschen, die unter der Leitung von Patagonien-Forscher Perito Moreno im Museum eingesperrt waren. Ganze Gemeinschaften wurden während des Völkermords von 1886 entführt, gefoltert und ermordet. Einer von ihnen war der Kazike Inacayal, der während der „Wüsteneroberung“ genannten Völkermordaktion durch die Armee von General Julio Argentino Roca gefangen genommen wurde. [Inacayal hatte sich gegenüber Moreno während dessen Patagonien-Expedition im Jahr 1880 sehr gastfreundlich gezeigt, daher setzte sich Moreno nach Inacayals Verhaftung persönlich bei der Regierung für ihn ein und erwirkte, dass man ihm das Militärgefängnis erlies. Im Gegenzug musste sich der Kazike zusammen mit anderen Mitgliedern seiner Gemeinschaft bis an sein Lebensende als Forschungsobjekt für Morenos Untersuchungen am „prähistorischen Menschen“ zur Verfügung stellen.] Der Museumswärter kommt heraus und warnt die Anwesenden, dass sie dafür eine Genehmigung brauchen. Die Angesprochenen schalten schnell: Sie behaupten, es handle sich um ein Fakultätsprojekt, und können weitere zehn Minuten dort filmen, wo Inacayal einst als lebender Toter sein Dasein fristete. Vor einigen Jahren wurde publik, dass von den insgesamt 10.000 menschlichen Überresten in den Depots des Museums nur 25 identifiziert wurden*.
In der Woche des Gedenkens an den Staatsstreich vom 24. März 1976 feiert Urraka Negra mit dem Videoclip „Paredes Blancas“ Premiere und tourt durch die Kulturzentren. Seit 2015 komponiert sie Lieder aus dem Bedürfnis heraus, ihre Mapuche-Identität zurückzuerobern und ihre Stimme gegen das Schweigen zu erheben, das ihr durch die patriarchale Gewalt auferlegt wurde.
Warum heißt der Clip „Paredes Blancas“ [Weiße Wände]?
„Paredes Blancas“ handelt vom ersten Bau des Museo de la Plata nach der Wüstenkampagne, als man begann, alle diese Gebäude in den besetzten Gebieten zu bauen. „Paredes Blancas“ bezieht sich auf diese Konstruktion des „Fortschritts“ und das Konzept „Weiß“ als Inbegriff des Reinen, des Konservativen, und es steht auch für das Voranschreiten, die Marmorbauten, die man auch im Museum findet, und für Mauern überhaupt. Für Gefängnisbauten eben.
Bist du durch die weiße Wand gegangen? Wie war es, das Museo de Ciencias Naturales de La Plata zu betreten?
Das Museo de la Plata ist ein beliebter Ort für Schulausflüge. Die Kinder sollen dort ihre weltanschauliche und identitäre Prägung erhalten. Das ist einer der Gründe, warum es Museen gibt. Und immer bleibt etwas hängen, es bleiben Spuren und Erinnerungen. Das ging mir auch so: Sie bringen dich dazu, auf den Gräbern deiner Vorfahren herumzulatschen, während die Spuren deiner eigenen Schritte verlorengehen, weil sie nicht Teil der Erinnerung sind, weil sie Generationen nach Generationen von der Erinnerung abgeschnitten haben. Und so setzt sich Völkermord fort. Er ist kein statisches Ereignis der Gegenwart oder der Vergangenheit, sondern er reproduziert sich im Laufe der Zeit.
Der Videoclip wurde unter Mitwirkung der Medienprojekte Awkache, Arte al Ataque und Chasqui erstellt, wie lief die Zusammenarbeit ab?
Die Idee gab es schon länger. Ich hatte schon eine ganze Weile darüber nachgedacht, aber es war schwierig, das Video zu konzipieren. In der Kulturszene gibt eine Menge Kontrolle und Rassismus. Mapuche-Rapperin zu sein ist schon schwierig, dann kommt noch dazu, wie die Mapuche dich lesen, wenn du mit einer Musikproduktion nach außen gehst, deshalb ist es wichtig, so eine Produktion und die dahinterliegenden Konstruktionen kollektiv anzugehen, aber es ist eben auch eine Möglichkeit, den strukturellen Rassismus zu überwinden, der uns umgibt. Wir sind mit unserer Idee auf Chasqui TV, Arte al Ataque und Awkache zugegangen, und davon ausgehend haben die dann Dinge konkretisiert und natürlich auch Sachen für die Produktion hinzugefügt, aber meine Ursprungsidee blieb das Grundgerüst, und es war wirklich super zu sehen, wie sie daran weitergearbeitet haben, denn unsere Vision von unserer Identität als Mapuche beinhaltet eben auch, dass wir Menschen sind, die Völkermorde erlebt haben, die viel zu lange totgeschwiegen wurden. Wie man lebt, wie man aufwächst oder wie man sich sein Selbstwertgefühl aufbaut – wenn man einen Völkermord erlebt hat, sind diese Prozesse davon geprägt. Die Menschen, die den Völkermord in der Diktatur der 70er und 80er Jahre erlebt haben, wissen das sehr gut, und deshalb ist Identität ein Grundrecht. Das war eine der Grundideen, die wir in dem Video ausdrücken wollten, unsere Position als Mapuche aus der Stadt, aus der Waria, und das haben alle Beteiligten dieser kollektiven Produktion respektiert.
Welche Orte haben euch als Mapuche in der Waria geprägt und ermutigt, etwas zu schaffen? Welche Orte könnt ihr empfehlen, um andere Mapuche zu treffen? Wie kam es zur Präsentation von „Paredes Blancas“ im Kulturzentrum Olga Vázquez in La Plata, einem Ort, der für seinen kulturellen Widerstand bekannt ist?
Wenn man in der Waria, also, in der Stadt lebt, lernt man natürlich Räume kennen, und einer davon war das Olga, aber nicht erst jetzt, dort fand schon das Treffen 2019 statt. Es sind Räume des Widerstands, aber auch der Begegnung. Solche Räume brauchen wir, um uns kennenzulernen, um andere zu treffen, uns auszutauschen, um zusammen zu essen, Musik und Konzerte zu genießen. Solche Räume sind unheimlich wertvoll, wenn es um die sozialen Strukturen und um alles andere geht, was der Kapitalismus und andere unterdrückerische Systeme vernichten wollen. Deshalb sind kollektive Räume, die aus aus dem Widerstand entstehen, besonders bedroht, und Olga hat da auch schon viele Angriffe überstanden. Es gibt viele Strukturen und Initiativen, die aus der Olga hervorgegangen sind. Deshalb ist sie so wichtig, außerdem ist Olga in der Nähe des Museo de La Plata.
Bei der Präsentation des Videos wird es auch ein kleines Interview mit euch geben, und eine Frage wird sein, ob das Regime von Milei eine Diktatur ist. Was denkst du dazu?
Zu der Frage, ob Mileis Regime eine Diktatur ist, werden wir heute Abend ein paar wichtige Sachen sagen. Ich persönlich denke, dass mit der „Wüstenkampagne“ [in der noch jungen argentinischen Republik wurden innerhalb von zwei Jahren über 1000 Indigene getötet] die Verfolgung unserer Identität als „Indianer“ oder „Schwarze“ begonnen und bis heute nie aufgehört hat. Für uns gab es nie Gerechtigkeit in Bezug auf den Völkermord, im Gegenteil, nach der totalen Auslöschung unserer Körper kam die Auslöschung unserer Geschichte, indem man uns verbot, Mapuzungun zu sprechen. Das ist für uns die Fortsetzung des Völkermords und die Fortsetzung der Unterdrückung unserer Identität als Indigene, als Mapuche, als Tehuelche. Wir wurden unter diesem Regime des Völkermords geboren, die Zeit verging, Regierungen kamen und gingen, und wir haben immer auf dieselbe Weise gelebt, ausgelöscht, verfolgt, ohne das Recht auf Identität. Es wichtig, das ganz deutlich zu sagen: Wir haben kein Recht auf unsere Identität, schon in der Schule wird uns alles Wichtige dazu vorenthalten, wir lernen nichts über die Wüstenkampagne, wir haben keinen Mapuzungun-Unterricht. Hier findet eine explizite, geplante Auslöschung statt. Die Wüstenkampagne war ein Völkermord, bei dem Bildungssystem, Kirche und Staat Hand in Hand gearbeitet haben. In den 1970er Jahren wurden dieselben Praktiken angewandt, dieselben Methoden: Verschwindenlassen, Entführung von Babys, Auslöschung der Kultur, Folter und Mord. Der Völkermord der Wüstenkampagne 1878 wiederholt sich in der Diktatur der 70er und 80er Jahre. Dazwischen gab es nicht wirklich eine Pause, sondern fortlaufende Prozesse der Kolonisierung oder „Zivilisierung“, in den katholischen Schulen, hier waren es hauptsächlich die Salesianer, im Gebiet von Gulu Mapu in Chile waren es die Kapuzinermönche. In den USA passierte genau dasselbe. Auch dort wurden Kinder geraubt, in Heime gesteckt, gefoltert, versklavt, als Dienstpersonal benutzt. Deshalb sind die Kampagnen in den USA und in Kanada so wichtig, damit irgendwann einmal alles, was zu den indigenen Völkern gehört, aus den Museumssälen verschwindet, weil es dort wirklich nicht sein sollte.
Premiere auf dem Youtube-Kanal von Urraka Negra am 25. März um 0:00 Uhr MEZ.
*Inacayal wird auf der Website des Museo de La Plata als der erste „Überrest“ einer restituierten Person aufgeführt. Seine sterblichen Überreste wurden 1994 dem Mapuche-Tehuelche-Indigenenrat der Provinz Chubut übergeben, aber erst 2014 wurden sein Gehirn und seine Kopfhaut an die Vertreter der Mapuche-Tehuelche-Gemeinschaften von Chubut übergeben. Die Liste ist kurz, da die Ahnen und Ahninnen immer noch vom Museo de La Plata beschlagnahmt gehalten werden, was einen Verstoß gegen die nationalen Restitutionsgesetze darstellt. Das Kollektiv Guías de investigación en antropología social organisierte eine Ausstellung über die Männer und Frauen, die im Museum gefangen gehalten wurden und dort starben oder ermordet wurden.