Hat sich Bundeskanzler Olaf Scholz tatsächliche gegen eine Auslieferung des Wikileaks-Gründers Julian Assange an die USA ausgesprochen und welche Bedeutung haben diese Äußerungen?
Aufmerksame Schülerinnen und Schüler aus dem baden-württembergischen Sindelfingen haben dem Bundeskanzler Fragen zu Julian Assange gestellt. Zahlreiche Publikationen interpretieren die Äußerungen des Bundeskanzlers indes als Positionierung gegen eine Auslieferung des Journalisten Assange:
„Ich bin der Meinung, dass es schon gut wäre, wenn die britischen Gerichte ihm den notwendigen Schutz gewähren, weil er ja in den USA doch mit Verfolgung rechnen muss, angesichts der Tatsache, dass er amerikanische Staatsgeheimnisse verraten hat.“
„Das ist natürlich etwas, was in den USA nicht gefällt.“
Er habe aber den Eindruck, dass die Wahrscheinlichkeit einer Auslieferung tatsächlich gesunken sei.
„Denn die Vertreter der Vereinigten Staaten konnten den britischen Richtern bei der letzten Verhandlung nicht zusichern, dass sich die mögliche Bestrafung in einem aus Sicht Großbritanniens vertretbaren Rahmen bewegt“.
Es sind die bislang einzigen Äußerungen des SPD-Politikers und Bundeskanzlers zu Julian Assange. Bitten an Scholz, bei der US-Administration Biden zu intervenieren, blieben in der Vergangenheit vergeblich.
Bisher hat das Kanzleramt das Auswärtige Amt vorgeschoben. Also Scholz zu Baerbock. Diese wiederum hat eine erstaunliche Wandlung vom Paulus vor ihrer Ernennung zum Saulus danach vollzogen. Vor dem Regierungswechsel hatte Baerbock die sofortige Freilassung Assanges gefordert und unter anderem schwere Verstöße gegen grundlegende Freiheitsrechte der Europäischen Menschenrechtskonvention angeführt. Wenige Tage im Amt reichten aus, dass Baerbock alles vorher Gesagte vergaß und verstummte; nur zu diesem Thema.
Abertausende Unterschriften und Briefe besorgter Bürger sind bereits im Auswärtigen Amt eingegangen. Sie fordern die Außenministerin auf, sich für den Journalisten, seine Menschenrechte und für die Pressefreiheit einzusetzen. Frau Baerbock bleibt stoisch. Von der Bundespressekonferenz ist nur das ewige Mantra zu hören, dass es keinen Grund gäbe, an einem rechtsstaatlichen Verfahren zu zweifeln.
Das ist insofern merkwürdig, als das eine Aufzählung der jahrelangen Hinweise aus sehr unterschiedlichen Quellen diesen Rahmen sprengen würde, die allesamt das Gegenteil bezeugen. Es sind u.a. diverse Menschenrechtsorganisationen, die UNO, Journalistenorganisationen, Juristenverbände und ebenso verschiedenste politische Beobachterinnen und Beobachter.
Ihr Fazit: Der Umgang der USA und Großbritanniens mit dem Journalisten und die Vorgänge rund um diesen hochpolitischen Fall seien demokratiegefährdend und kafkaesk.
Auf die Pressefreiheit wirke sich der Fall schon jetzt sehr negativ aus, der befürchtete Präzedenzfall wäre katastrophal. So weit, so schlecht.
Für diejenigen, die den Fall nicht kennen, eine kurze Einordnung: Julian Assange hat auf Wikileaks u.a. Kriegsverbrechen, Folter- und Manipulationspraktiken und erlogene Kriegsgründe der USA öffentlich gemacht. Die US-Regierung hat daraufhin alle Register gezogen: Mordpläne gegen den Journalisten, gekaufte Zeugen, Diebstahl seiner Anwaltskommunikation, Spionage, Verleumdung, Druck auf Staaten, um nur einige zu nennen. Julian Assange ist ein politischer Gefangener.
Seit fünf Jahren sitzt er im Londoner Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh in sogenannter Auslieferungshaft, ohne strafrechtlich verurteilt worden zu sein. Medizinischen Untersuchungen zufolge weist Assange alle Anzeichen psychischer Folter auf und leidet besonders unter der Isolationshaft.
Bundeskanzler Olaf Scholz hat sich nun erstmals öffentlich zu diesem Fall geäußert. Nur, hier stimmt etwas nicht. Ein diplomatischer Fauxpas etwa, zumal sich Scholz nicht erst seit heute auf dem politischen Parkett bewegt?
Dass er seine ersten Äußerungen zu diesem nicht nur politisch brisanten Fall nicht in Berlin, Europa, London oder Washington macht, sondern in einer Schule in Sindelfingen, ist eher nicht das Signal, das vom Bundeskanzler erwartet wird.
Inhaltlich übernimmt er das Wording der Amerikaner – Verrat von Staatsgeheimnissen, also Spionage – und stärkt auch den Briten, die für ihn scheinbar rechtsstaatlich handeln, den Rücken.
Dass es sich beim Umgang mit der Person und auch mit dem Fall Assange um die Verletzung demokratischer Grundprinzipien handelt, muss er wissen. Und erst recht, dass das Überschreiten dieser roten Linien den Unterschied zwischen Demokratie und Diktatur ausmacht.
Respekt würde er sich nur mit klaren Forderungen verdienen:
- Ahndung der von Assange veröffentlichten Kriegsverbrechen
- Fallenlassen der Anklage durch die USA
- Sofortige Freilassung von Julian Assange
Thespina Lazaridu
Kölner Mahnwachengruppe für Assange