Weil die Bundeswehr im Kriegsfall den Großteil ihrer regulären Soldaten an der Front einsetzen will – etwa in Osteuropa gegen Russland –, sollen weitgehend Reservisten Verteidigungsaufgaben im Landesinnern übernehmen.

Die Bundeswehr sucht „händeringend“ verlässliche Reservisten für den Dienst in sogenannten Heimatschutzregimentern zur Sicherung der „Heimatfront“ im Krisen- und Kriegsfall. Dies geht aus Äußerungen führender Militärs im Zuge der Diskussion um den derzeit in Arbeit befindlichen Operationsplan Deutschland hervor. Hintergrund ist, dass der wesentliche Teil der deutschen Armee etwa im Fall eines Krieges gegen Russland nicht für Verteidigungsaufgaben im Landesinneren zur Verfügung stehen, sondern im Osten kämpfen wird; deshalb sollen auf deutschem Territorium vor allem Reservisten die Stellung halten. Durch die Einbindung der Reservisten erschließt sich die Bundeswehr Personal über die aktiv verpflichteten Berufssoldaten hinaus. Bis 2026 will sie sechs Heimatschutzregimenter mit insgesamt rund 6.000 Reservisten aufstellen. Der Reservistenverband plädiert dafür, das verfügbare Personal mit einer „Dienstpflicht“ noch einmal auszuweiten. Zusätzlich zur unmittelbaren personellen Entlastung erhofft sich die Bundeswehr von den Reservisten mittel- bis langfristig auch Erfolge in Sachen Personalaufwuchs und zivil-militärische Zusammenarbeit.

Kaum Soldaten für die Heimatfront

Wie die Bundeswehr mitteilt, wird im Kriegsfall ein „größerer Teil“ der regulären Soldaten an der „Ostflanke“ der NATO kämpfen; er kann deshalb zur Absicherung des deutschen Territoriums selbst „nicht eingeplant werden“. Um den „Schutz“ der Bundesrepublik auf ihrem eigenen Hoheitsgebiet dennoch zu gewährleisten, setzt der für die Erarbeitung des Operationsplans Deutschland verantwortliche Befehlshaber des Territorialen Führungskommandos der Bundeswehr, Generalleutnant André Bodemann, auf die „neu aufzustellenden Heimatschutzkräfte“.[1] Diese Truppenteile bestehen hauptsächlich aus Reservisten und nur zu einem geringen Teil aus aktiven Soldaten. Den „Heimatschutz“ im Wesentlichen auf der Reserve aufzubauen, ist in der Truppe allerdings nicht unumstritten. Der Befehlshaber des Landeskommandos Mecklenburg-Vorpommern beispielsweise, Brigadegeneral Uwe Nerger, warnte in einer öffentlichen Diskussionsveranstaltung zu dem Operationsplan, es sei ein „Fehler“ zu „suggerieren, dass wir [in der Reserve] genügend Personal haben“; vielmehr sei man gerade damit befasst, „händeringend“ dafür zu werben, „dass Menschen verlässlich Reservistendienst leisten“.[2]

„Aufmarsch führendes Kommando“

Federführend bei der Erstellung des Operationsplans Deutschland ist das Territoriale Führungskommando der Bundeswehr. Das Kommando ist erst 2022 aufgestellt worden; es hat die Aufgabe, alle Aktivitäten der Bundeswehr im Inland zu befehligen und zu koordinieren. In Zusammenarbeit mit den beiden Kommandostrukturen in Ulm, dem Multinationalen Kommando Operative Führung und dem Joint Support and Enabling Command (JSEC) (german-foreign-policy.com berichtete [3]), nimmt es die Funktion eines „Aufmarsch führenden Kommandos“ wahr.[4] Darüber hinaus ist es zuständig für „Auf- und Ausbau der Territorialen Reserve einschließlich der Heimatschutzkräfte“.[5]

Heimatschutzregimenter

Bis 2026 sollen laut Plänen des Bundesverteidigungsministeriums sechs Heimatschutzregimenter aufgestellt werden; drei davon sind bereits aktiv. Sie sollen die Bundeswehr personell „entlasten“.[6] Von den insgesamt rund 6.000 Dienstposten im Heimatschutz belegt die Bundeswehr nur zwischen 120 und 180 mit aktiven Soldaten. Den überwiegenden Teil füllt sie mit Reservisten. Damit werden mehrere tausend Berufssoldaten für den Einsatz an der NATO-Ostflanke frei. Um „unmittelbaren personellen Aufwuchs, die Einsatzbereitschaft und die Durchhaltefähigkeit“ der Bundeswehr zu erreichen, sollen die Soldaten „im gesamten Aufgabenspektrum durch die Reserve verstärkt“ werden, heißt es dazu in den Verteidigungspolitischen Richtlinien, dem aktuellen Grundsatzdokument der deutschen Militärpolitik. Der Operationsplan werde zeigen, wie viele Heimatschutzregimenter „tatsächlich“ gebraucht würden, kündigt Generalleutnant Bodemann an.[7]

Wach- und Sicherungsaufgaben

Bereits im Frieden übernehmen die Reservisten Tätigkeiten der Militärs – vor allem „Wach- und Sicherungsaufgaben“.[8] Als Teil des sogenannten Host Nation Support beispielsweise, der Versorgung verbündeter Truppen auf deutschem Territorium, „bewachen“ Reservisten der Heimatschutzregimenter im Zuge des transatlantischen Aufmarschs in Osteuropa „Rastpunkte von Militärtransporten“ nicht nur, aber vor allem der US-Streitkräfte auf dem Weg durch Deutschland.[9] Während Konflikten und Kriegen sollen die Heimatschutzkräfte militärische und „verteidigungswichtige“ Infrastruktur sichern, so etwa „Häfen, Güterumschlagplätze, Bahnanlagen und Brücken, aber auch digitale Netze und Energienetze“, erläutert die Bundeswehr. Für Auslandseinsätze müssen die Reservisten der Heimatschutzregimenter allerdings nicht zur Verfügung stehen.

„Pistole, Maschinengewehr und Panzerfaust“

Die Bundeswehr bemüht sich zudem, auch sogenannten Ungedienten, also Menschen, die noch nicht bei ihr tätig waren, den Weg in die Heimatschutzregimenter zu ebnen – etwa durch eine Grundausbildung im Rahmen des Freiwilligen Wehrdienstes im Heimatschutz oder „über einen Zeitraum von knapp zwei Jahren in Ausbildungsblöcken meist am Wochenende“. Der Schwerpunkt der Ausbildung zum „Heimatschützer“ liegt laut Angaben der Bundeswehr auf „Wach- und Sicherungsaufgaben“ – inklusive „Waffenausbildung an Pistole, Maschinengewehr und Panzerfaust“, „Häuserkampf“, „Flieger- und Drohnenabwehr“ und „politische Bildung“.[10] Der ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete und heutige Präsident des Verbandes der Reservisten der Bundeswehr, Oberst der Reserve Patrick Sensburg, sprach sich im Kontext mit dem „Heimatschutz“ unlängst für die Wiedereinführung der Wehrpflicht aus.[11]

Zivil-militärisches Bindeglied

Der Freiwillige Wehrdienst im Heimatschutz erleichtert dabei mit seiner für das Militär vergleichsweise unverbindlichen Konzeption – ohne jahrelange Dienstverpflichtung und drohende Auslandseinsätze – neuen Rekruten den ersten Schritt in die Bundeswehr. Selbst wenn es der Truppe nicht gelingt, die Rekruten während ihres freiwilligen Jahres längerfristig an sich zu binden, bleiben sie ihr über einen Zeitraum von sechs Jahren immerhin als Reservisten erhalten. Diese sind für die Bundeswehr – ob als Lehrer, der den Jugendoffizieren die Türen zu seiner Schule öffnet, oder als Angestellter, der in einem Logistikunternehmen Werbung für den Heimatschutz macht – ein wertvolles Netzwerk, mit dem sie neues Personal rekrutieren kann und Kontakte für die sogenannte zivil-militärische Zusammenarbeit knüpft.

Mehr zum Thema: Auf Krieg einstellen (III).

[1] „Hoffentlich keine Landung von russischen Fallschirmjägern“. t-online.de 25.01.2024.

[2] Deutschland hat einen Plan. reservistenverband.de 02.02.2024.

[3] S. dazu Auf Krieg einstellen (II).

[4] Bundeswehr stellt Territoriales Führungskommando auf. bmvg.de 13.06.2022.

[5] Territoriales Führungskommando der Bundeswehr. bundeswehr.de.

[6] Vielfältiger Einsatz für den Heimatschutz. bundeswehr.de 29.04.2022.

[7] „Hoffentlich keine Landung von russischen Fallschirmjägern“. t-online.de 25.01.2024.

[8] Heimatschutzregiment 2. bundeswehr.de.

[9] S. dazu Auf Krieg einstellen (I).

[10] Heimatschutzregiment 2. bundeswehr.de.

[11] Deutschland hat einen Plan. reservistenverband.de 02.02.2024.

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