Nach einer massiven Protestwelle kippt das Oberste Gericht Panamas ein umstrittenes Bergbaugesetz.
Von Oktober bis Dezember 2023 erlebte Panama die größten landesweiten Proteste seit der Rückkehr zur Demokratie vor 34 Jahren. Im Fokus des Wutausbruches der Bevölkerung stand die Annahme einer Bergbaukonzession in Gesetzesform, die den Kupferabbau in Cobre Panamá, dem größten Tagebau Zentralamerikas, reguliert. Das Bergwerk liegt in einer Urwaldregion mit großer Biodiversität. Die LN geben einen Überblick über die Geschehnisse.
Von Carlos Escudero-Nuñez, Panama-Stadt (Übersetzung: Susanne Brust)
Unter der aktuellen Regierung von Laurentino Cortizo und seinem Bündnis aus der nominell sozialdemokratischen, aber de facto eher neoliberalen Partido Revolucionario Democrático (PRD) und der liberal-konservativen Movimiento Liberal Republicano Nacional (MOLIRENA) hat es drei große gesellschaftliche Mobilisierungen gegeben: Die massiven Proteste im Jahr 2019 forderten vor allem Änderungen an der Verfassung. Die Proteste von 2022, die sich gegen die steigenden Preise für Benzin und Waren des täglichen Bedarfs sowie die sich ausbreitende Korruption richteten, hatten starke Auswirkungen auf das soziale Gefüge in Panama. Die jüngste Protestwelle von 2023 hat jedoch sowohl das Ausmaß dieser beiden Proteste als auch ihre Auswirkungen übertroffen. Sie richtete sich gegen die Verabschiedung des Gesetzes 406, das dem Unternehmen Minera Panamá im Rahmen einer Bergbaukonzession weitreichende Rechte gewährte, wie die mögliche Ausweitung auf weitere Flächen oder den Zugang zu geschütztem Meeresgrund. Auch sollte es verboten sein, das Minengelände im Bezirk Donoso an der Atlantikküste zu überfliegen. Minera Panamá ist ein Tochterunternehmen des kanadischen Konzerns First Quantum Minerals Ltd..
Die schnelle Verabschiedung des Gesetzes brachte das Fass schließlich zum Überlaufen: Mehr als 50.000 Panamae*rinnen gingen über 40 Tage lang auf die Straßen, um ohne Pause zu demonstrieren. Oft blockierten sie Verkehrswege, obwohl die Polizei sich ihnen mit harter Repression – unter anderem dem Einsatz von Tränengas und Schrotkugeln – entgegenstellte. Dazu kam die Unterversorung mit grundlegenden Lebensmitteln, die sich durch die Straßensperren ergab.
Mehr als 1.000 Festnahmen bei den Protesten
Teile der Bevölkerung und verschiedene organisierte Gruppen sahen in der Lahmlegung der Arbeit und des Verkehrs im Land das einzige Druckmittel gegen eine Regierung, die ihnen nicht zuhörte. Organisationen wie die Baugewerkschaft SUNTRACS; die panamaische Lehrer*innenvereinigung ASOPROF; bäuerliche, indigene und studentische Bewegungen, die sich im Bündnis Alianza Pueblo Unido por la Vida (APUV) zusammengeschlossen hatten und die in digitalen Plattformen wie Sal de las Redes oder der Bewegung „Panama ist ohne Bergbau mehr wert” organisierte Jugend schafften es, zum größten Aufstand der vergangenen Jahre zu mobilisieren.
Während der Demonstrationen kam es zu Zwischenfällen mit Demonstrierenden und Gegner*innen der Proteste, vier Demonstrierende wurden dabei getötet. Ein Fotograf verlor durch eine Schrotkugel der Polizei ein Auge. Laut der Tageszeitung La Prensa wurden während der Demonstrationen mehr als 1.061 Menschen festgenommen, gegen 175 von ihnen wurden Strafprozesse wegen Vandalismus eröffnet.
Die Proteste gegen das Bergbaugesetz haben eine Vorgeschichte: Bereits im Jahr 2017 hatte der Oberste Gerichtsof Panamas den ursprünglich 1997 verabschiedeten Vertrag zur Ausbeutung der Mine, die damals noch zum Unternehmen Minera Petaquilla Gold S.A. gehörte, für verfassungswidrig erklärt. Erst 2021 wurde mit der Regierung ein neuer Vertrag ausgehandelt, bis dahin hatte Minera Panamá illegalerweise ohne Vertrag weitergearbeitet. Außerdem bezahlte das Unternehmen weder Lizenzgebühren noch Steuern. Am 20. Oktober 2023 trat der neue Vertrag in Kraft, nachdem die Regierung in mehreren Verhandlungsrunden nicht auf die Bevölkerung gehört hatte. Innerhalb nur eines Tages wurde das Gesetz vom Parlament angenommen, unterzeichnet und im Amtsblatt veröffentlicht. Der neue Vertrag wies jedoch die gleichen Mängel auf wie der alte.
Als beschwichtigende Maßnahme verabschiedete das Parlament am 3. November eine Sperre für neue Bergbaukonzessionen. Diese Maßnahme galt jedoch nicht, wie von der Bevölkerung gefordert, rückwirkend, so dass sie nicht die geringsten Auswirkungen auf das umstrittene Gesetz 406 hatte. Nach mehreren Wochen des Wartens und des Drucks aus der Bevölkerung erklärte der Oberste Gerichtshof schließlich am 28. November, dass das Gesetz 406 verfassungswidrig sei. Es verstoße gegen 25 Artikel der Verfassung der Republik Panama. Damit wurde der Bergbauvertrag zum zweiten Mal für verfassungswidrig erklärt.
Warum haben sich die Panamaer*innen derart über ein Bergbaugesetz empört? Seit den Protesten der Jahre 2022 und 2023 hat sich die Situation im Land nicht verbessert. Im Gegenteil: Korruptionsfälle und mangelnde Transparenz bei Exekutive und Legislative sind an der Tagesordnung. Im Gespräch mit den LN meint der Soziologe Jesús Alemancia: „Um zu verstehen, wie es zu den Geschehnissen im Oktober und November 2023 kam, müssen zwei Konfliktebenen erkannt werden. Auf der einen, eher generellen Ebene geht es um die Wirtschaft und die gesellschaftlichen Auswirkungen der neoliberalen Wirtschaftspolitik der vergangenen 30 Jahre. Auf der anderen Ebene hat die Bevölkerung von den vielen Korruptionsfällen die Nase voll und ist unzufrieden.”
In den Protesten entlud sich die Wut über eine ganze Reihe von Umständen, denn auch im Bergbau finden sich Korruption, Ungerechtigkeit und Straffreiheit. Die Verabschiedung eines Bergbaugesetzes, das genau bei diesen Themen Mängel aufwies, war schließlich der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Die Geduld der Panamaer*innen war am Ende, auch, weil ein großer Teil der wirtschaftlichen und politischen Kräfte des Landes ein Interesse am Bergbau hat und einige Medien ihnen zudem eine Bühne verschafften.
Der panamaische Vizepräsident Gabriel Carrizo Jaén war beispielsweise vor Amtsantritt als Anwalt des Bergbauunternehmens Petaquilla Gold tätig, wie Mi diario berichtet. Auch im Umfeld des ehemaligen Ministers für Handel und Industrie, Alfaro Boyd, finden sich Aktieninhaber des Konzerns Minera Panama, so FRENADESO, ein Netzwerk aus Gewerkschaften und verschiedenen Nichtregierungsorganisationen.
Der Hauptgrund für das gesellschaftliche Aufblühen, das man auch als revolutionären sozio-ökologischen Frühling bezeichnen könnte, ist die Wut der Bevölkerung über die anhaltenden Ungerechtigkeiten im Land. Laut der Weltbank weist Panama ein Bruttoinlandsprodukt von 63,61 Milliarden US-Dollar auf und ist eines der ungleichsten Länder Lateinamerikas: der Gini-Koeffizient, ein Maß für die Ungleichheit, kommt für Panama auf einen Wert von 49, für die ganze Region nur auf 46. Trotz des großen Wirtschaftswachstums hat die Ungleichheit im Land seit 2007 mit 2,4 Punkten vergleichsweise wenig abgenommen – im lateinamerikanischen Durchschnitt sind es 4,5 Punkte.
Für Alberto Agrazal von der kirchlichen Organisation Comisión de Justicia y Paz gibt es noch einen Grund für das Ausmaß der Proteste: „In den neuen Generationen des sozialen Gefüges in Panama hat es ein Erwachen gegeben. Wegen des Bergbauthemas hat sich ein Bewusstsein dafür gebildet, wie wichtig Umwelt und Umweltschutz sind – und wie wichtig es ist, die Gesellschaft zu mobilisieren. Das hat auch mit einem Reifungsprozess zu tun, der von unterschiedlichen Umweltorganisationen und gemeinschaftlichen Bewegungen ausgeht”, so Agrazal. Einer Umfrage des internationalen Zentrums für politische und soziale Studien aus dem Jahr 2023 zufolge ist für zwei von drei Befragten die Umwelt wichtiger als das Wirtschaftswachstum. Dennoch spielte das Thema bei den Debatten im Parlament keine Rolle, bevor Ende Oktober die Proteste ausbrachen. Ramón Rivera aus dem Bezirk Donoso erzählt den LN: „Wir sind keine Bergarbeiter, wir sind ein Land des Umweltschutzes, das an die Erhaltung der Umwelt glaubt. Die Leute in unserer Region leben auf friedliche und harmonische Weise mit der Umwelt zusammen.”
„Das hier ist nicht irgendein Erfolg.“
Einen weiteren wichtigen Aspekt erläutert die Universitätsdozentin und Community-Journalistin Claudia Figueroa: „Mehr noch als ein ökologisches Bewusstsein ist es eine Verwurzelung mit dem Territorium, denn unter (der Aneignung seitens der USA, Anm. d. Red) der Kanalzone haben wir gelitten… so etwas soll nicht noch einmal passieren. Ich denke also, dass es mehr um eine Idee geht, die sich durch Bildung und Kultur in der Bevölkerung geformt hat.”
Einen derart massiven gesellschaftlichen Aufstand mit so klaren Auswirkungen hatten die Regierung und das Bergbauunternehmen nicht erwartet. Niemand hätte sich ausgemalt, dass es an einem Sonntag um vier Uhr nachmittags in den sozialen Medien heißen würde: „Gehst du zur Demonstration? Los gehts!” Das Gefühl, in einem Kampf gegen einen transnationalen Megakonzern gewonnen zu haben, hält in der panamaischen Bevölkerung noch immer an. Es wurde an vielen Fronten gekämpft: in den Stadtvierteln, indigenen Gebieten, an spontanen Straßensperren in vielen Orten, in Gewerkschaften und anderweitig organisierten Bereichen der Gesellschaft. Sogar die Fischereien und Bootsführer*innen von Donoso kämpften mit: Unter großem Arbeitsaufwand verhinderten sie, dass Schiffe weiterhin das im Tagebau gewonnene Kupfer und Gold im Hafen von Punta Rincón abholten.
Am 11. Januar dieses Jahres unternahm eine Delegation unterschiedlicher Regierungs- und zivilgesellschaftlicher Organisationen eine der ersten Exkursionen auf das Minengelände mit dem Ziel, für eine geordnete und transparente Schließung des Tagebaus zu sorgen. Die Bevölkerung jedoch fordert, sich an den dafür geschaffenen Arbeitsgruppen noch sichtbarer beteiligen zu können. Laut Mario Almanza, einem der Sprecher des Bündnisses APUV, handelt es sich bei der Exkursion um eine Dreistigkeit – es gäbe keine Vereinbarungen, nicht einmal einen Fahrplan.
Auf der anderen Seite herrscht in den ersten Wochen dieses Jahres eine scheinbare Gelassenheit. Es ist ein Zeichen für die politischen Kandidat*innen, die am 5. Mai dieses Jahres bei den Präsidentschaftswahlen antreten werden. Sie sollten darauf setzen, der Bevölkerung und ihren Forderungen nach besseren Lebensbedingungen zuzuhören und ihre Klagen und Bereitschaft zur Mobilisierung ernstzunehmen. Denn wir stehen am Beginn eines Prozesses, in dem es kein Zurück gibt und der einen tiefen Reifungs-, Organisations- und Bildungsprozess aller gesellschaftlichen Sektoren erfordert. Das hier ist nicht irgendein Erfolg. Es ist der Sieg der Leute von unten, der Arbeiter*innen, der bäuerlichen und indigenen Bevölkerung, der Jugendlichen und Studierenden gegen den Metallabbau in panamaischen Tagebauen!