Der Titel des Buches „Einspruch – Schriften gegen die uniforme und repressive Öffentlichkeit“ ist Programm. In seinem Erstlingswerk, eine kritische Auseinandersetzung mit den aktuell herrschenden gesellschaftspolitischen und ökonomischen Rahmenbedingungen, zieht der Marburger Autor Klaus Hecker einen weiten Bogen. Der reicht von den modernen Ideologien (Kapitel 1) über den Imperialismus und seine Freunde und Feinde (Kapitel 2 und 3) bis hin zu den Methoden, mit denen der von Hecker dargestellte Imperialismus „den Globus unterpflügt“ (Kapitel 4). In Kapitel 5 geht er teilweise mit dem Stilmittel der Satire auf Aspekte der sogenannten Coronakrise und den Virus ein.
von Günter Sosna
Man kann gewiss sein, dass der in der politischen Linken zu verortende Autor bei allen Fragestellungen nicht dem Mainstream folgt. Viel mehr fühlt er sich einem Ansatz verpflichtet, der sich der Abarbeitung am Detail entzieht, sondern in Zeiten reflexhafter Schuldzuweisungen den fast schon exotisch anmutenden Versuch unternimmt, an konkreten Beispielen das große Bild der ökonomisch konkurrierenden Staaten und deren ausbeuterisch und destruktiv wirkenden Methoden zu skizzieren. Dies aber nicht mit dem Willen, die Leserschaft von seiner offensichtlich antikapitalistisch geprägten Sicht auf globale Zusammenhänge zu überzeugen, sondern durch das Vorbringen von Argumenten einen kritischen Diskurs anzuregen und damit eine Grundlage jedes demokratischen Gemeinwesens zu beleben, die mehr und mehr vor die Hunde zu gehen scheint.
Bereits im Vorwort, und angesichts der Erfahrungen der letzten Jahre, ordnet Klaus Hecker die bundesdeutsche Öffentlichkeit ein, die aus seiner Sicht eben nicht als demokratischer Marktplatz für den Austausch von Argumenten und dem Ausgleich von Interessen fungiert, sondern als repressive Instanz, in der vom „neuen“ moralisch geprägten Pfad abweichende Meinungen verunglimpft werden.
Man denke zum Beispiel an das Etikett „Putinversteher“, das Menschen pauschal angeheftet wird, die sich für Frieden und eine Verhandlungslösung im Ukraine-Krieg einsetzen. Desgleichen wurde und wird jeder Bürger, der sich als Kritiker oder auch Gegner der vonseiten der Regierung verhängten Maßnahmen in der Coronakrise positioniert, als „Coronaleugner“ diskriminiert. In beiden Fällen wird auf der Sachebene jede kritische Auseinandersetzung im Keim erstickt. Dem tritt Hecker entgegen. Er verteidigt mit seinem Buch den demokratischen Debattenraum.
Auf 246 Seiten finden sich insgesamt 45 Aufsätze, Essays und Artikel, die in den letzten drei Jahren von ihm zu aktuellen Fragestellungen geschrieben und in Online-Publikationen veröffentlicht wurden. Und darin liegt auch die Stärke. Der Leser spürt, dass hier keiner am Werke ist, der an einem von Lebensrealität und Wirklichkeit entfernten Schreibtisch sitzt, sich zurücklehnt und in abstrakter Weise die Dinge und Geschehnisse reflektiert. Ganz im Gegenteil. Seine Betrachtungen zum Beispiel über die Ausbeutung der Arbeitskräfte in Marokko oder die Zerstörung der dortigen lokalen Wirtschaft durch Billigimporte europäischer Player beruhen auf seinen Gesprächen mit Einheimischen, Recherchen und Eindrücken, die er bei mehreren und über Monate dauernden Aufenthalten im Land sammeln konnte.
Der Autor, der sich als politischer Mensch schon seit einer gefühlten Ewigkeit in sozialen Bewegungen engagiert, ist im „Real Life“ unterwegs. Er ist präsent, bringt sich und seine Sichtweisen aktiv ins politische Geschehen ein, setzt Impulse und mutet mit dem vorliegenden Bändchen dem Leser doch einiges zu. Denn die Texte sind eben keine Versöhnung mit den bestehenden Verhältnissen und schon gar kein Appell, durch etwas Reform hier oder dort Linderung zu verschaffen. Es ist eine Aufforderung, über das System nachzudenken und mit anderen die Systemfrage zu diskutieren.
„Einspruch“ folgt als Aufsatzsammlung keiner in sich geschlossenen Stringenz, die wohl von den beiden angekündigten Folgebänden „Kritik populärer ideologischer Muster“ und „Der Krieg“ zu erwarten ist. Einen Vorgeschmack liefert Hecker, indem er Deutschlands Entwicklungszyklus vom politischen Zwerg zu einer Nation verdeutlicht, die ökonomisch Europa schon lange dominiert, Länder des Globalen Südens ausbeutet und nun militärisch Weltmachtansprüche anmeldet. Scharf geht er deshalb auch mit der Frauenbewegung und insbesondere der feministischen Außenpolitik ins Gericht, die nach seinem dargestellten sozialwissenschaftlichen Ansatz zwar Geltung für sich beansprucht, aber in letzter Konsequenz das Frau-Sein herauskürzt, nach Herrschaft und Macht strebt und damit jeden emanzipatorischen Ansatz negiert.
Nicht selten wird bei den verhandelten Gegenständen deutlich – oder zumindest angedeutet –, dass die Problemlagen weder einmalig sind noch zufällig oder versehentlich auftreten und auch „eigentlich“ nicht gewollt seien. An Marokko und Bolivien zeigt Hecker beispielhaft auf, warum der deutlich größere Teil der Welt am Hungertuch nagt. Und er erinnert an die sozialen Verwerfungen in Deutschland, wo eine Friseurin in der Tagesschau darüber berichten darf, dass sie nach 40 Arbeitsjahren lediglich 850 Euro Rente bekommt. Auch hier handelt es sich nicht um einen Zufall, der sich durch das Auseinandergehen der imaginären Schere von Arm und Reich erklärt, wie oftmals in den Sozialwissenschaften dargestellt. Armut – und erst recht die wachsende Armut – ist das Mittel für den reichen Scherenarm, um noch reicher zu werden.
Unter dem Strich tut Hecker mit seinem Einspruch das Unvermeidliche: Er führt die Leser von der groben Skizze der herrschenden Verhältnisse zur Systemfrage und lässt zur Darstellung der Ungerechtigkeiten in Kapitel 5 in satirischer Form sogar noch Corona höchstpersönlich zu Wort kommen.
Informationen zum Buch:
Einspruch – Schriften gegen die uniforme und repressive Öffentlichkeit, Klaus Hecker
BoD Norderstedt Verlag, 246 Seiten, ISBN: 978-3-7583-6425-9
Über den Autor des Buches:
Klaus Hecker (Jahrgang 1954) ging nach dem Abitur in Wetzlar 1973 nach Marburg und studierte Deutsch, Politik und Philosophie für das Lehramt an Gymnasien. Von 1985 bis 2017 war er in der Universitätsstadt Lehrer an der Carl-Strehl-Schule, einem Gymnasium für Sehbehinderte und Blinde. Seit jeher engagiert er sich in sozialen und politischen Initiativen und bringt sich aus einer linken Perspektive auch publizistisch immer wieder kritisch in die Debatte zur sozialen Frage und über die Zukunft der kapitalistischen Gesellschaftsordnung ein. Als DSV-Lehrer „Skitour und Alpinist“ ist er häufig im Alpenraum unterwegs.