EU geht bei Beschaffung von Mitteln zur Deckung des Kiewer Etatdefizits zur Abschöpfung eingefrorener russischer Gelder über und bedroht Ungarn bei Ablehnung der Ukraine-Hilfen mit einem Wirtschaftskrieg

Die EU geht bei der Beschaffung von Hilfsgeldern für die Ukraine zu ungewohnt rabiaten Methoden über und erhöht damit das Eskalationsniveau bei künftigen Spannungen innerhalb der Union. Um Ungarn auf dem EU-Sondergipfel am morgigen Donnerstag zur Zustimmung zu dem 50-Milliarden-Paket für Kiew zu zwingen, droht Brüssel Budapest mit einem schweren ökonomischen Angriff: Eine offizielle Erklärung, Ungarn sämtliche EU-Mittel zu streichen, soll einen Schock auf den Finanzmärkten auslösen, die ungarische Währung abstürzen lassen und Ungarns Wirtschaft und Bevölkerung schwer schädigen. Zudem plant Brüssel künftige Gewinne von russischen Guthaben abzugreifen, die in der EU eingefroren sind; sie sollen Kiew überwiesen werden. Kritiker warnen, die Anlage von Vermögen in der EU werde bei auswärtigen Investoren künftig als riskant gelten; darüber hinaus könnten sich andere Länder, darunter Russland, an EU-Vermögen auf ihrem Hoheitsgebiet schadlos halten. Die Brüsseler Maßnahmen erfolgen, während das Etatdefizit in der Ukraine in diesem Jahr 36 Milliarden US-Dollar erreicht, die USA als Finanzier zunehmend ausfallen und Kiew nur die EU als „Rettungsring“ bleibt.

Kiews Milliardendefizit

Hintergrund der heftigen Auseinandersetzungen um die Finanzhilfen für die Ukraine ist die desolate Haushaltssituation, in der sich das Land befindet. Die Staatseinnahmen sind im Jahr 2022 kriegsbedingt kollabiert; zugleich sind die Ausgaben für die Streitkräfte massiv in die Höhe geschnellt. Das Haushaltsdefizit ist enorm. Im vergangenen Jahr ist es gelungen, es dank auswärtiger Unterstützung einigermaßen zu decken. Der größte Geber von Budgethilfe war dabei mit etwa 19,5 Milliarden US-Dollar die EU. Aus den USA kamen 10,9 Milliarden US-Dollar, während Japan, Kanada und Großbritannien, Internationaler Währungsfonds (IWF) und Weltbank gleichfalls Milliardensummen zur Verfügung stellten. Auch dieses Jahr wird mit einem gewaltigen Budgetdefizit gerechnet; die Rede ist von 36 Milliarden US-Dollar.[1] Für die nächsten vier Jahre geht der IWF von einem Fehlbetrag im Kiewer Etat in Höhe von 85 Milliarden US-Dollar aus. Davon kämen 41 Milliarden US-Dollar aus dem 50-Milliarden-Euro-Paket der EU, das neben der Budget- noch andere Hilfen enthält. Der IWF will elf Milliarden US-Dollar bereitstellen. Für die restlichen 33 Milliarden US-Dollar müssten voraussichtlich vor allem die Vereinigten Staaten und Japan einstehen.

Soldaten statt Arbeitskräfte

Dabei kann der Fehlbetrag im Kiewer Staatshaushalt bereits in diesem Jahr sogar noch erheblich steigen. Ursache ist, dass Präsident Wolodymyr Selenskyj rund eine halbe Million zusätzliche Soldaten mobilisieren will. Die neuen Truppen kosteten, würden sie tatsächlich ausgehoben, recht viel Geld. Es kommt hinzu, dass die Soldaten dann nicht mehr als zivile Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. Dabei herrscht schon heute ein gravierender Mangel an Personal: „Arbeitskräfte zu finden, ist ein riesiges Problem“, wird etwa der Leiter eines ukrainischen Agrarunternehmens zitiert. Ganz unabhängig davon zeichnet sich inzwischen deutlich ab, dass die Vereinigten Staaten auf Dauer kaum noch als Geldgeber tätig werden – denn dem stünde selbst bei einem erneuten Wahlsieg von US-Präsident Joe Biden die starke Position des rechten Flügels der Republikaner im US-Kongress entgegen. Es werde „immer deutlicher“, dass „die EU für die Ukraine der finanzielle Rettungsring“ sei, hieß es am gestrigen Montag etwa in der Neuen Zürcher Zeitung; dabei müsse sich die Union „auf eine lange Phase als finanzieller Unterstützer“ einstellen.[2] Denn „ohne kontinuierliche Hilfe“ aus dem Westen, hieß es weiter, sei die Ukraine im Hinblick auf ihre finanzielle Lage unweigerlich „dem Untergang geweiht“.

Wirtschaftsattacke auf einen Mitgliedstaat

Dies erklärt zum guten Teil, wieso die EU aktuell darauf besteht, ihr 50 Milliarden Euro schweres Hilfspaket in den EU-Haushalt zu integrieren und es damit schon heute definitiv festzuschreiben: Gelingt der Plan, dann hätte Kiew für die kommenden vier Jahre fast die Hälfte seines bereits klar absehbaren Haushaltsdefizits relativ verlässlich gedeckt. Entsprechend übt Brüssel heftigen Druck auf Ungarn aus, auf dem EU-Sondergipfel am morgigen Donnerstag seinen bisherigen Widerstand gegen die Verabschiedung des Pakets aufzugeben. Laut einem Bericht der Financial Times sehen interne Unterlagen der EU vor, bei einer erneut verweigerten Zustimmung seitens des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán einen schweren wirtschaftlichen Angriff auf das Land einzuleiten. Demnach sollen die Staats- und Regierungschefs der Union offiziell erklären, sie plädierten dafür, Budapest sämtliche EU-Mittel zu streichen.[3] Dies werde voraussichtlich genügen, einen harten Schock auf den Finanzmärkten auszulösen, die ungarische Währung empfindlich einbrechen zu lassen und auswärtige Unternehmen von neuen Investitionen in Ungarn abzuhalten. Die ungarische Regierung müsse mit Mehrausgaben bei der Rückzahlung der Staatsschulden rechnen; das Wachstum, aber auch Arbeitsplätze gerieten in Gefahr.

Zugriff auf fremdes Eigentum

Um zusätzliche Mittel zur finanziellen Stabilisierung der Ukraine aufzutreiben, bereitet die EU darüber hinaus die Abschöpfung künftiger Gewinne aus eingefrorerem russischen Vermögen vor. Laut übereinstimmenden Berichten liegen von den rund 260 Milliarden Euro russischer Währungsreserven, die kurz nach dem Beginn des Ukraine-Kriegs im Westen eingefroren wurden, ungefähr 191 Milliarden Euro in der EU und dort vorwiegend bei dem belgischen Finanzdienstleister Euroclear. Am Montagabend einigten sich nun die EU-Botschafter in Brüssel, die Gewinne, die aus den eingefrorenen Geldern gewonnen werden, abzugreifen und sie der Ukraine zur Verfügung zu stellen.[4] Demnach behauptet die EU, dies sei „im Einklang mit den geltenden vertraglichen Verpflichtungen“ wie auch „im Einklang mit … internationalem Recht“ möglich. Allerdings soll die geplante Abschöpfung nicht rückwirkend, sondern erst von jetzt an vorgenommen werden. Der Plan soll nun in juristisch vermeintlich sichere Formen gegossen sowie anschließend offiziell verabschiedet werden. Auf diese Weise könne man innerhalb der kommenden vier Jahre rund 15 bis 17 Milliarden Euro konfiszieren und an Kiew weiterleiten, heißt es. Damit wäre annähernd die Hälfte der erwähnten noch nicht abgesicherten 33 Milliarden US-Dollar gedeckt.

Präzedenzfälle

In beiden Fällen geht die EU, um die notwendigen Mittel zur Unterstützung der Ukraine aufzutreiben, qualitativ neue Schritte mit womöglich gravierenden Folgen. Der Plan, einen schweren ökonomischen Angriff auf einen Mitgliedstaat zu starten, sollte dieser nicht wie gewünscht kooperieren, stellt einen Präzedenzfall dar und bedroht jede Regierung, die sich künftig den EU-Hauptmächten entgegenzustellen gedenkt. Das Vorhaben, Gewinne aus eingefrorenen auswärtigen Guthaben abzuschöpfen und nach eigenem Gutdünken auszugeben, ist ein Signal an Investoren aus aller Welt, dass ihr Vermögen in der EU nicht sicher ist; aus genau diesem Grund hatte die Europäische Zentralbank (EZB), sich um den Finanzplatz EU sorgend, explizit vor dem Vorhaben gewarnt – vergeblich. Es kommt hinzu, dass nicht nur Russland, sondern auch weitere Staaten den Vorstoß zum Anlass nehmen können, sich ihrerseits an den Gewinnen europäischen, darunter auch deutschen Vermögens, das in ihrem Hoheitsgebiet angelegt ist, gütlich zu tun. Anlässe dafür gibt es zur Genüge – von Revanche für das Abgreifen russischer Gewinne durch die EU bis hin zur Einbehaltung nie gezahlter Reparationen und Entschädigungen für Kriegs- und Kolonialverbrechen der europäischen Mächte, ganz speziell auch Deutschlands.

In der Schuldenfalle

Dabei ist die finanzielle Unterstützung der EU für Kiew so angelegt, dass die Ukraine in höchstem Maße verschuldet aus einem wie auch immer beendeten Krieg hervorgehen wird. Schon jetzt sind die ukrainischen Staatsschulden von rund 50 Prozent der Wirtschaftsleistung zu Kriegsbeginn auf rund 90 Prozent gestiegen.[5] Sie nehmen kontinuierlich weiter zu. So will die EU nur 17 Milliarden Euro aus dem 50-Milliarden-Euro-Hilfspaket als Zuschuss vergeben; 33 Milliarden Euro erhält die Ukraine lediglich als Kredit, der früher oder später zurückgezahlt werden muss.

 

[1], [2] Daniel Imwinkelried: Mit dem Ukraine-Krieg kommen riesige Lasten auf Europa zu. Neue Zürcher Zeitung 30.01.2024.

[3] Henry Foy, Andy Bounds, Marton Dunai: Brussels threatens to hit Hungary’s economy if Victor Orbán vetoes Ukraine aid. ft.com 28.01.2024.

[4] Alexandra Brzozowski: Ukraine-Wiederaufbau mit Gewinnen aus eingefrorenen russischen Vermögen. euractiv.de 30.01.2024.

[5] Daniel Imwinkelried: Mit dem Ukraine-Krieg kommen riesige Lasten auf Europa zu. Neue Zürcher Zeitung 30.01.2024.

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