Toleranz (von tolerieren und dies vom lateinischen tolerare). Moralischer Wert, der eine achtsame und respektvolle Haltung einer Person, Gruppe, Institution oder Gesellschaft bezüglich der Interessen, Überzeugungen, Meinungen, Gewohnheiten und Verhaltensweisen anderer zum Ausdruck bringt. Sie äußert sich in dem Bestreben, durch Überzeugung und Vermittlung gegenseitiges Verständnis und Einigung unterschiedlicher Interessen und Meinungen zu erreichen. Wörterbuch des Neuen Humanismus.
Neuer Humanismus
Nach dem Lesen dieser Definition ist leicht zu erkennen, dass der Grad der Intoleranz in allen Bereichen zunimmt: im sozialen und politischen Bereich ebenso wie im persönlichen Bereich. Gerade im politischen Bereich hat der Grad der Intoleranz die gefährlichsten Ausmaße erreicht. Parlamente, die der politischen Theorie zufolge dazu dienen sollten, soziale Interessen und Konflikte unblutig zu lenken, sind zu Schlachtfeldern geworden. Dialog und gegenseitiges Verständnis stechen durch ihr Nichtvorhandensein hervor und Gegner werden hemmungslos durch Disqualifizierung, Delegitimierung und moralische Verurteilung attackiert. Die Konfrontation ist so gewaltig, dass wir leicht Partei ergreifen, indem wir uns auf eine der Gegenseiten stellen. Dieses Phänomen, das manche als Polarisierung bezeichnen, breitet sich wie ein Lauffeuer in den Medien aus, die sich darauf beschränken, über die Auseinandersetzungen zu berichten, ohne einen Einblick in die Konflikte zu verschaffen. Einige von ihnen versuchen sogar ungeniert, die Bevölkerung für eine Konfrontation in größerem Umfang zu mobilisieren. Diese Stimmung belastet unser Leben in vielerlei Hinsicht. Je größer der Vorwurf der Entrüstung, der Ungerechtigkeit oder der Rache ist, desto mehr verpflichtet er uns dazu, Partei zu ergreifen. Gesinnungen werden durch die Vorbildfunktion kopiert. Wie können wir verwundert sein, wenn wir die Spuren dieser Verhaltensweise in unseren Beziehungen erkennen?
Von diesem zwanghaften Umfeld dazu angetrieben, überlegen wir, uns für eine Seite zu entscheiden, aber unsere Zugehörigkeit wird durch unsere Biografie, Nationalität, Geschlecht, religiösen Glauben, Alter, soziale Schicht usw. bestimmt. Es spielt keine Rolle, auf welche Seite die Ereignisse einen gestellt haben, wichtig ist, dass man versteht, dass man keine Seite gewählt hat, schlägt Silo vor, um ein kohärentes Kriterium für unsere Haltung in dieser Hinsicht zu haben.
An der Basis der Entstehung der Seiten ist die wichtigste Emotion der menschlichen Psyche angesiedelt, wir halten an etwas fest oder lehnen etwas ab, das uns umgibt. Ein Mechanismus, der es uns möglich macht, die Situation, in die wir uns vertieft haben, zu strukturieren, der aber zwangsläufig reduktionistisch ist, besonders in zunehmend komplexen Situationen wie der gegenwärtigen. Sicherlich war diese Bipolarität von Anziehung und Zurückweisung, von Schwarz und Weiß, Gut und Böse, für das menschliche Überleben in Situationen hilfreich, die von den heutigen stark abweichen, bei denen die Seiten, vom Lösen der Konflikte weit entfernt, dazu neigen, sie zu verschlimmern und auszuweiten.
Im Gegenzug für diese Vereinfachung erzeugen die Fraktionen einen gewissen Zusammenhalt zwischen den Personen, auf Kosten der Zerstörung einer anderen Familie, Freundschaft, Arbeit usw., Bindungen, die sich schwer erneuern lassen. Diese vermeintliche Loyalität jedoch schwächt sich ab, wenn sich Umstände und Interessen ändern, oder das Ziel darin besteht, über den bloßen Widerspruch gegenüber dem Gegner hinauszugehen. In einer solch hektischen Zeit wie der gegenwärtigen, ändert sich alles rasant, Parteien werden rasch bewaffnet und entwaffnet, und es kommt vor, dass sich innerhalb weniger Monate diejenigen, die die gleiche Fahne haben, sich gegenseitig an die Gurgel gehen. Dieser Mechanismus wird eingesetzt, um soziale Konflikte gegen eine ethnische Gruppe, eine soziale Schicht oder gegen eine Region zu lenken, um eine bestimmte politische Position zu festigen, das Machtgleichgewicht zu verändern oder Macht zu erlangen. In diesen Fällen ist der gemeinsame Nenner, der die Seite zusammenhält, meistens ein Gefühl von Ungerechtigkeit, Rache oder absoluter Vergeltung, an dem man festhält, weil der Zwang geteilt wird.
Realität ist, wenn wir uns ehrlich fragen könnten, dass es bei dieser Dynamik, bei der wir in endlose Auseinandersetzungen hineingezogen werden, sehr wenig innere Freiheit gibt. Kein einziger Standpunkt berücksichtigt ein lückenloses Verständnis der Sachen oder Situationen, die uns interessieren. Aber es ist eine schwierige Übung, sich für einen Augenblick zu bewegen und unsere Vorstellung zu ändern. Antonio Machado meinte klugerweise: „Nicht deine Wahrheit, die Wahrheit; und komm mit mir, um sie zu suchen. Deine, behalte sie für dich.“
Es ist ebenfalls nicht leicht einzusehen, wie grundlos wir unsere Ängste auf die Seite projizieren, die wir hassen. Wenn auch früher die Feinde des eigenen Glaubens auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurden, wird heute ihr Bild als Vorgeschmack auf größere Übel vernichtet. Aber die Richtung dieser Taten hat noch immer den gleichen Beigeschmack von Gewalt und das gleiche Fehlen von Selbstkritik eines bösen Traumes, aus dem man erwachen muss. Ein erwachter Blick, mit größerem Verständnis, kann die Gemeinsamkeit gegenüber den Gegensätzen wertschätzen, die sich durchzusetzen versuchen, und hat einen größeren Gestaltungsspielraum, um eine gemeinsame Basis und Lösungen zu finden, die für das an eine Seite „geknüpfte“ Bewusstsein keinen Zugang haben.
Der Begriff Tolerierung wurde von Voltaire in seiner Abhandlung über Tolerierung bekannt gemacht, um die Religionsfreiheit im Frankreich des 18. Jahrhunderts voranzutreiben, wo die Hugenotten von der katholischen Macht diskriminiert und verfolgt wurden. Obwohl das Buch in den Index der von der Kirche verbotenen Werke aufgenommen wurde (als Zeichen der Intoleranz), wurde es in ganz Europa weit verbreitet. Zu der Zeit gab es auf dem Alten Kontinent Religionsstreitigkeiten zwischen Katholiken und Protestanten, die, ungeachtet ihrer Unterschiede, die gleiche kulturelle Basis teilten. Wenn der Aufklärer damals in der Toleranz die Lösung erkannte, um religiösen Fanatismus und Diskriminierung zu beenden, was würde er von der heutigen Situation halten, in der der Atheismus in Europa mit religiösen Glaubensrichtungen aus aller Welt gleichzeitig besteht? Nur Toleranz erlaubt religiösen, ideologischen und politischen Pluralismus, garantiert Minderheiten gegenüber Mehrheiten und stellt die Souveränität der Persönlichkeit jedes Einzelnen sicher. Nur mit Toleranz können Menschen, Länder und Regionen ein Projekt erstellen, das ihren besten Ansprüchen folgt.
Die menschliche Vielfalt ist riesig, und jede Erscheinung lässt zahlreiche Interpretationen zu. Wir wollen nicht versuchen, unsere Subjektivität durchzusetzen, sondern wir wollen lernen, unseren Standpunkt flexibler zu gestalten, um den der anderen zu verstehen. Je mehr Perspektiven wir mit unserer Betrachtungsweise verbinden können, desto vollständiger wird die Weitsicht auf die Sache, die wir betrachten.
Wir haben festgestellt, dass wir in den Mechanismus der Seiten hineingezogen werden, indem wir unseren Freiraum einschränken, und uns über das ärgern, was anders ist und was uns unbehaglich ist, und unsere Standpunkte, Meinungen oder Vorlieben erneut bestätigen, und uns die Möglichkeit des Verflechtens, Lernens und Veränderns absprechen. In dieser Dynamik taucht leicht diskriminierendes und gewalttätiges Verhalten auf.
Toleranz hingegen führt uns zur Befreiung des Subjektiven und Vielfältigen. Es geht nicht nur um Verständnis, sondern um eine achtsame und andere Form, sich selbst und die Vielfalt wahrzunehmen. Jeder von uns wird herausfinden, was er mit seinem Leben macht, aber wir dürfen nicht vergessen, dass unsere Handlungen über uns selbst hinausreichen werden. Aus diesem Blickwinkel ist die Kommunikation mit anderen Menschen eine Notwendigkeit und eine grundsätzliche Verpflichtung, die es uns ermöglicht, nicht nur unsere Sichtweise zu ändern, sondern auch zur Veränderung der Welt einen Beitrag zu leisten. Verständigung zu erreichen und Vereinbarungen zu treffen hat mehr mit dem Zukunftsbild zu tun, nach dem wir streben, als mit der Bestätigung von als Wahrheiten übernommene Standpunkte. Sich dem Dialog zu öffnen, heißt den Individualismus zu überwinden, sich zu verändern, zu lernen, den anderen menschlich zu machen und Brücken der Verständigung zu bauen. Gewalt und Diskriminierung haben in den Räumen, die aus diesen immateriellen Werten geschaffen werden, keinen Platz und lösen sogar eine instinktive Ablehnung aus.
Dies ist ein Aufruf zur Toleranz. Den Grundsatz, der besagt „Behandle andere so, wie du behandelt werden möchtest“ als höchsten Wert jeder menschlichen Tat anzusetzen. Mit deinem Nachbar, deinem Freund, deinen Arbeits- oder Studienkollegen zu kommunizieren. Ebenso mit sich selbst.
Diese Gesten, egal wie bedeutungslos sie uns erscheinen mögen, verpflichten jedes menschliche Wesen. Das Verpflichten zum Dialog in unserem täglichen Leben kann zweifellos die gesellschaftliche Atmosphäre verwandeln und Räume schaffen, wohin die Hoffnung ihren Weg finden kann.
Die Übersetzung aus dem Englischen wurde von Doris Fischer vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!