Führende internationale Medien sagen den industriellen Abstieg Deutschlands voraus und üben scharfe Kritik an der Politik der Bundesregierung – auch weil diese die Ursachen des Aufstiegs der extremen Rechten nicht bekämpft.
Schonungslose Beschreibungen der deutschen Wirtschaftskrise, scharfe Kritik an der Berliner Politik und Sorge über den Aufstieg der extremen Rechten lösen das einst positive Deutschlandbild in wichtigen internationalen Medien ab. Während die US-Nachrichtenagentur Bloomberg voraussagt, Deutschlands „Tage als industrielle Supermacht“ seien gezählt, heißt es in der Londoner Financial Times, in der deutschen Wirtschaft könne man aktuell einen „Autounfall in Zeitlupe“ beobachten. Im Wall Street Journal ist vom „kranken Mann Europas“ die Rede, während Pariser Medien mit – in Deutschland eher unbekannter – Selbstironie urteilen, die Krise der Bundesrepublik trage „französische Züge“. Der Londoner Guardian, ansonsten nicht für Deutschlandkritik bekannt, weist auf Widersprüche der Berliner Politik wie etwa denjenigen zwischen Belehrungen in Sachen Klimaschutz und dem Kampf für schwere Autos mit Verbrennungsmotor hin. Dass in Deutschland jüdische Kritiker der israelischen Regierung wegen angeblichem Antisemitismus festgenommen würden, sei „kafkaesk“. Die Berichterstattung kontrastiert scharf damit, dass Deutschland noch vor wenigen Jahren als „beliebtestes Land der Welt“ gelobt wurde.
Das beliebteste Land der Welt
Ein Beispiel für das positive Deutschlandbild, das lange Zeit international verbreitet war, lässt sich Umfragen des BBC World Service entnehmen. Als dieser etwa im Jahr 2013 eine Umfrage unter mehr als 26.000 Menschen in insgesamt 25 Staaten durchführte, um eine Rangliste der weltweit beliebtesten Länder zu erstellen, stand die Bundesrepublik am Ende unter 16 Ländern und der EU auf Platz eins. Die BBC führte dies damals darauf zurück, dass nicht nur die deutsche Wirtschaft gut lief und bessere Resultate erzielte als diejenige der anderen Staaten Europas. Ursache sei auch, hieß es, eine fleißige deutsche Diplomatie, die mit regelmäßigen Besuchen von Berliner Regierungsmitgliedern in aller Welt einhergehe.[1] Vier Jahre später erzielte die Bundesrepublik erneut Zustimmungswerte von 59 Prozent [2]; und wenngleich sie damit lediglich auf Platz zwei landete, da im Jahr 2017 Kanada mit 60 Prozent knapp an ihr vorbeizog, konnte sie dennoch ihre hohe Popularität behaupten. Zum Vergleich: Frankreich erhielt eine positive Bewertung von 52 Prozent aller Befragten, Großbritannien von 51 Prozent, während die Vereinigten Staaten, wohl auch mit Blick auf den damaligen Amtsantritt von US-Präsident Donald Trump, bei schwachen 34 Prozent lagen; rund 49 Prozent bewerteten sie sogar überwiegend negativ.
Abschied von der industriellen Supermacht
In der aktuellen Berichterstattung international führender Medien ist von diesem überaus positiven Deutschlandbild nichts übriggeblieben. Im Vordergrund steht bereits seit Wochen die desolate Entwicklung der deutschen Industrie, die weltweit mit erheblichem Erstaunen, mittlerweile aber auch illusionslos kommentiert wird. Am Samstag etwa hieß es in einem Beitrag der US-Nachrichtenagentur Bloomberg, Deutschlands „Tage als industrielle Supermacht“ seien, wie ein Blick auf die seit Jahren fallende industrielle Produktion zeige, womöglich gezählt.[3] Ursachen seien die zunehmende Konkurrenz durch die USA – mit deren milliardenschweren Investitionsprogrammen – und durch China, vor allem aber auch die Entscheidung, auf kostengünstiges russisches Erdgas zu verzichten. Letztere habe vor allem die für die Bundesrepublik bedeutende chemische Industrie getroffen, in der beinahe zehn Prozent aller Unternehmen Produktionsstilllegungen planten. Hinzu kämen aber auch Probleme wie eine „knarzende Infrastruktur“ – eine Umschreibung etwa für bröckelnde Straßen, Schienen und Brücken –, eine alternde Erwerbsbevölkerung, ein schlechte Ergebnisse erzielendes Bildungssystem sowie eine ausufernde Bürokratie, hielt Bloomberg fest. Obendrein sei inzwischen auch noch „politische Lähmung“ zu beklagen.
„Der kranke Mann Europas“
Ähnliches war bereits im Januar zu lesen gewesen. Im Wall Street Journal etwa hieß es, die Aussichten für die deutsche Wirtschaft seien „nicht gut“; längst sei mit Blick auf Deutschland vom „kranken Mann Europas“ die Rede.[4] Die Financial Times verglich die Entwicklung der deutschen Wirtschaft – mit einem Seitenhieb darauf, dass Kanzler Olaf Scholz Anfang 2023 in Davos eine „neue Deutschlandgeschwindigkeit“ angekündigt hatte – mit einem „Autounfall in Zeitlupe“. In dem Beitrag, dem besonderes Gewicht zukam, weil er als eine Stellungnahme der gesamten Redaktion etikettiert wurde, hieß es weiter, Privathaushalte und Unternehmen würden nicht nur von hohen Energiekosten drastisch getroffen; sie hätten auch kein Vertrauen mehr. Zur maroden Infrastruktur komme neben weiteren Mängeln noch eine dürftige Digitalisierung hinzu.[5] Nicht vorteilhafter ist das Urteil über die deutsche Malaise in französischen Medien. Die Zeitschrift Marianne etwa verwies auf die schrumpfende industrielle Produktion, den Einbruch der Exporte und die Tatsache, dass die Bundesrepublik als einziges EU-Land in die Rezession abrutsche; breite Proteste und Abstiegsängste kämen hinzu.[6] Das Wochenmagazin Le Point urteilte selbstironisch, nur zwei Jahre nach dem Amtsantritt der Ampelkoalition rutsche Deutschland in eine existenzielle Krise ab, die „mehr und mehr französische Züge“ annehme.[7]
Kafkaeske Züge
Der kritische Blick auf Deutschland reicht inzwischen weit über die ökonomische Krise hinaus. So hieß es in der vergangenen Woche im Londoner Guardian, der gewöhnlich EU- und dabei überwiegend auch deutschlandfreundlich argumentiert, gravierende Widersprüche durchzögen die Berliner Politik immer mehr. Die Bundesrepublik gebe die Oberlehrerin in Sachen CO2-Vermeidung, verschleppe aber die Abschaffung des Verbrennungsmotors: „Die deutsche Gesellschaft versucht das Klima zu schützen und gleichzeitig große, PS-starke Autos so schnell wie möglich zu fahren.“[8] Es sei kein Wunder, dass andere Staaten beim CO2-Ausstieg längst erfolgreicher seien als die Bundesrepublik. In Deutschland würden jüdische Kritiker der israelischen Regierung aufgrund angeblicher antisemitischer Hassrede verhaftet, was an sich schon „ein kafkaesker Scherz“ sei, aber noch grotesker werde, wenn man sich den Unterschied zwischen der verbreiteten Repression gegen Proteste, die einen Waffenstillstand im Gazastreifen forderten, und dem lockeren Umgang mit auch denjenigen Bauernprotesten vergegenwärtige, an denen extrem rechte Kräfte beteiligt seien. Endgültig absurd sei es, die Zuwanderung von Pflege- und anderen Fachkräften zu verlangen und gleichzeitig fremdenfeindlich, ja rassistisch zu hetzen, was „ein immer normalerer Teil des politischen Lebens in Deutschland geworden“ sei.
Ursache und Wirkung
Spezielle Aufmerksamkeit und spürbare Sorge ruft bei alledem der Aufstieg der extremen Rechten in Deutschland hervor. Dabei werden die Massendemonstrationen der vergangenen Wochen gegen die Alternative für Deutschland (AfD) unterschiedlich beurteilt. Während es etwa in der New York Times hieß, Deutschland sei „endlich aufgewacht“ [9], gab sich beispielsweise die Financial Times skeptisch. Wenngleich die AfD nach jüngsten Umfragen leicht verloren habe – manche führen dies freilich auf einen Schwenk mancher vorheriger AfD-Wähler zum neuen Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) zurück –, sei noch lange nicht klar, ob ihre leichte Schwächung Bestand habe.[10] So profitiere sie von der verbreiteten Stimmungsmache gegen Migranten; auch treibe ihr der außergewöhnlich starke Unmut über die Berliner Regierungspolitik zahllose Unterstützer zu.[11] Die Wirtschaftskrise verschärfe die Lage – und die Haushaltsprobleme nähmen der Bundesregierung die Möglichkeit, die Härten der Krise angemessen abzufedern. Die Debatte über ein AfD-Verbot wiederum wird von der Financial Times mit Skepsis beobachtet. Der Versuch, etwas zu verbieten, anstatt die Ursachen dafür zu bekämpfen, erinnere an Bertolt Brecht, urteilt das Londoner Finanzblatt: „Wäre es nicht einfacher, die Regierung löste das Volk auf und wählte ein anderes?“[12]