Der Prozess, der im Gerichtssaal des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag stattfand, wurde von uns Palästinenser:innen und allen freien Männern und Frauen als der Prozess des Jahrhunderts bezeichnet. So wird er zweifelsohne den zukünftigen Generationen in Erinnerung bleiben.
Mit dem Urteil der 15 Richter dieses angesehenen und wichtigen internationalen Gerichtshofs beginnt eine neue politische, rechtliche und historische Phase. Das heutige Urteil betont für uns Palästinenser:innen und für alle Männer und Frauen auf der Welt drei grundlegende Aspekte. Erstens stellt es die Wiederherstellung des internationalen Rechts und der Legalität dar, die so viele, zu viele Jahre lang fehlten, zumindest wenn es um Israel ging. Zweitens wurde damit der Grundsatz wiederhergestellt, dass alle Staaten vor dem Gesetz und dem Recht gleich sind und kein Staat über dem Gesetz und der Legalität steht: auch nicht Israel, das diese Position so viele Jahre lang dank der Unterstützung der USA genossen hat. Drittens muss dieser Weg, der heute beginnt und in einem Monat fortgesetzt wird, wenn Israel seinen Bericht vorlegt, wie es das Tribunal verlangt hat, zu einer vollständigen und klaren Verurteilung Israels führen.
Der Staat Israel gehört zu den vielen Staaten, die dieser internationalen Institution, die 1945 in New York zur Beilegung von Konflikten zwischen Staaten gegründet wurde, fast sofort beigetreten sind, weil einer der gewünschten Effekte ihrer Gründung gerade darin bestand, weitere Völkermorde wie den an den Juden während des Holocausts zu verhindern.
Heute steht der Staat Israel wegen Rassendiskriminierung, Apartheid und Völkermord im Zusammenhang mit seiner Politik und seinen Militäraktionen gegenüber dem palästinensischen Volk, insbesondere in Gaza, auf der Anklagebank. Der Staat, der seit seiner Gründung versucht hat, all diejenigen, die direkt oder indirekt für die Rassengesetze in Europa und deren Folgen verantwortlich waren, zu fassen und vor den Internationalen Strafgerichtshof zu bringen, muss sich heute gegen den Vorwurf des Völkermords, der Diskriminierung und der Apartheid verteidigen.
Auch der Ankläger ist nicht irgendein Land, sondern ein Staat, dessen Geschichte von Kolonialismus und Apartheid, Leid und Kampf über Dutzende von Jahren geprägt war, bis er sich von Diskriminierung, Apartheid und westlichem Kolonialismus befreien konnte. Es ist das Land von Nelson Mandela. Diese große Persönlichkeit und international bedeutende Führungsfigur wurde nach 27 Jahren Gefangenschaft Präsident Südafrikas und verkörperte mit seiner persönlichen und politischen Geschichte den Kampf der Befreiungsbewegungen auf internationaler Ebene, einschließlich der Palästinensischen Befreiungsorganisation.
Wir Palästinenseri:nnen schätzen den Satz, den der Präsident und weltweit führende Politiker Nelson Mandela an den palästinensischen Präsidenten Arafat gerichtet hat: „Unsere Freiheit ist unvollständig ohne die Freiheit des palästinensischen Volkes“. In Anerkennung und Dankbarkeit enthüllte die Palästinensische Autonomiebehörde am 25. April 2016 in Anwesenheit von Präsident Abu Mazen, dem Bürgermeister von Johannesburg und dem Leiter der südafrikanischen Delegation in Palästina eine riesige Bronzestatue des südafrikanischen Führers, die von der Stadt Johannesburg gestiftet wurde.
Die südafrikanischen Anwälte präsentierten ihre Anklagepunkte mit Präzision, zeigten Fotos, Videos und Berichte gegen Israel, erinnerten das Gericht an die vielen Jahre der militärischen Besetzung und forderten die Richter auf, den historischen Kontext des aktuellen Konflikts anzuerkennen.
Auf der anderen Seite stand die Verzweiflung und Irrationalität, mit der die israelischen Anwälte versuchten, sich gegen diese schweren Anklagen zu verteidigen.
Wir können das Urteil wie folgt zusammenfassen:
1- Die Zuständigkeit und Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs wurde bestätigt.
2- Der Antrag Israels, den Fall zurückzuweisen, wurde abgelehnt.
3 – Das Recht des palästinensischen Volkes, vor dem Verbrechen des Völkermords geschützt zu werden, wurde bestätigt.
4- Israel wurde angewiesen, Handlungen und Verhaltensweisen des Völkermords zu verhindern.
5- Israel wurde angewiesen, dem Gericht innerhalb eines Monats einen Bericht zu dieser Frage vorzulegen.
6- Israel wurde angewiesen, Handlungen und Verhaltensweisen, die zum Völkermord anstiften, zu bestrafen und zu verhindern.
7- Israel wurde angewiesen, humanitäre Hilfe in den Gaza-Streifen zu lassen.
8- Israel wurde angewiesen, konkrete Maßnahmen zum Schutz der palästinensischen Zivilbevölkerung zu ergreifen.
Allerdings hat der Gerichtshof Israel nicht um einen Waffenstillstand gebeten, wie Millionen und Abermillionen von Menschen auf der ganzen Welt gehofft hatten.
Wir Palästinenserinnen und Palästinenser wollen keine Rache, sondern Gerechtigkeit, echte, konkrete Gerechtigkeit, denn die vielen Kinder, die ohne das geringste Verschulden getötet wurden, haben ein Recht auf Gerechtigkeit.
Dieser Gerichtshof repräsentiert die internationale Gemeinschaft und seine positive Entscheidung zugunsten des palästinensischen Volkes drückt die Einsicht der Welt aus, dass diesem Volk, das seit mehr als 75 Jahren für seine Freiheit, für Gerechtigkeit und Frieden kämpft, endlich zu seinem Recht verholfen werden soll.
Ein Urteil, das dem palästinensischen Volk Gerechtigkeit widerfahren lässt, wenn auch nur partiell. Es ist von ethischer, historischer und politischer Bedeutung, denn es stellt einen Eckpfeiler des gerechten Weges dar, der zügig zur Entstehung unseres Staates auf der Basis von Legalität und Völkerrecht führen muss.
Die Übersetzung aus dem Italienischen wurde von Domeinca Ott vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!