Mit dem neuen „Operationsplan Deutschland“ bringt Berlin sich weiter als Drehscheibe für den NATO-Aufmarsch gegen Russland in Stellung. Militärische Kommandostrukturen in Ulm stützen seine machtpolitischen Ambitionen.

Die Bundeswehr konkretisiert mit ihrem aktuell in Arbeit befindlichen „Operationsplan Deutschland“ den Anspruch der Bundesrepublik, als maßgebliche logistische Drehscheibe für den NATO-Aufmarsch in Richtung Osten zu fungieren. Mit dem Operationsplan will sich die Truppe unter anderem besser befähigen, den Durchmarsch von NATO-Großverbänden durch Deutschland zu organisieren. Darüber hinaus beansprucht Berlin auch bei Truppenbewegungen, Übungen und Einsätzen der NATO jenseits des deutschen Staatsgebiets eine koordinierende Funktion. Dazu betreibt die Bundeswehr in Ulm gleich zwei multinationale Führungskommandos. Mit einem davon, dem Multinationalen Kommando Operative Führung, nimmt Berlin Einfluss insbesondere auf den militärischen Fähigkeitsaufbau der EU. Im NATO-Kommando JSEC (Joint Support and Enabling Command) wiederum koordiniert ein deutscher General sämtliche Truppenbewegungen des Militärbündnisses in Europa. Berlin sucht daraus machtpolitisch Nutzen zu ziehen – obwohl selbst das Bundesverteidigungsministerium zu der Einschätzung kommt, aus seiner Drehscheibenfunktion für den NATO-Aufmarsch in Richtung Osten erwachse Deutschland „in besonderem Maße eine Bedrohung“ – „auch militärisch“.

Drehscheibe Deutschland

Die Bundeswehr erarbeitet zur Zeit konkrete Pläne für ihren „operativen Einsatz … in Deutschland in Frieden, Krise und Krieg“. Der sogenannte Operationsplan Deutschland (german-foreign-policy.com berichtete [1]) ist Teil der NATO-Abschreckungspolitik gegenüber Russland. Schon seit mehreren Jahren positioniert sich die Bundesrepublik als „Drehscheibe“ für den transatlantischen Aufmarsch in Ost- und Südosteuropa in größtmöglicher Nähe zur russischen Westgrenze – und mit dem „Operationsplan Deutschland“ setzen deutsche Militärs nun ihren Anspruch, den „Aufmarsch der alliierten Streitkräfte über und durch Deutschland an die NATO-Ostflanke“ zu koordinieren, in konkrete militärische Abläufe um.[2] Ziel und Aufgabe der deutschen Streitkräfte sei es vor allem, „Aufmarschwege für Verbündete“ freizuhalten und „Konvois [zu] versorgen“, heißt es.[3] Wesentliche Teile des Operationsplans sind Verkehrsleitung bei Truppenmärschen, das Betanken der Militärfahrzeuge, Unterstützung bei technischen Problemen sowie die Unterbringung und Verpflegung der in Richtung Osten durchziehenden NATO-Soldaten.[4]

Strategisches Kalkül

Indem sich die Bundesrepublik als „strategische Drehscheibe im Zentrum Europas“ positioniert, hofft sie laut Aussage des Verteidigungsministeriums innerhalb der NATO zum „wesentlichen europäischen Element kollektiver Verteidigung“ aufzusteigen und so die deutsche Stellung in dem US-dominierten Militärbündnis zu stärken. Nichts geringeres als die „Handlungsfähigkeit“ von NATO und EU in der Konfrontation mit Russland „beruht“ nach Einschätzung des Ministeriums auf Deutschland als „Basis für Operationen, rückwärtiges Einsatzgebiet und Drehscheibe“. In den aktuellen Verteidigungspolitischen Richtlinien, einem sicherheitspolitischen Grundlagendokument der Bundesregierung, proklamiert Berlin seine Absicht, „Grundpfeiler der konventionellen Verteidigung“ Europas zu werden.[5]

Das NATO-Kommando in Ulm

Auf dem Weg, seine Drehscheiben-Ambitionen in die Tat umzusetzen, hat Berlin 2018 einen wichtigen Erfolg erzielt: Die NATO beauftragte Deutschland im Zuge ihrer Vorbereitungen auf eine mögliche militärische Konfrontation mit Russland mit dem Aufbau eines neuen NATO-Hauptquartiers, des sogenannten Joint Support and Enabling Command (JSEC) in Ulm. Das JSEC ist eine multinationale Militärstruktur, die direkt dem Oberbefehlshaber der NATO in Europa untersteht. Seine Aufgabe ist es in Friedenszeiten, das Bündnis zu befähigen, seine Militärpräsenz in Europa bei Bedarf zu verstärken und im potenziellen Einsatzgebiet Osteuropa Vorbereitungen für die Verlegung von Nachschubtruppen zu treffen. Im Krisen- und Konfliktfall soll das JSEC die konkreten Truppenbewegungen der NATO-Nachschubkräfte und deren Versorgung koordinieren.[6] Unter anderem ist das JSEC mit dem Aufbau eines „Musterkorridors“ für NATO-Truppen aus Nordamerika auf ihrem Weg über den Atlantik, die Niederlande, Deutschland und Polen zur russischen Grenze beauftragt (german-foreign-policy.com berichtete [7]). Das JSEC koordiniert auch die Truppenbewegungen des aktuell laufenden NATO-Großmanövers Steadfast Defender. Befehlshaber des JSEC wird, wie die Bundeswehr mitteilt, „auch in Zukunft immer ein deutscher“ General sein.[8]

Das deutsche Kommando in Ulm

Hinter dem JSEC steht das ebenfalls in Ulm angesiedelte Multinationale Kommando Operative Führung (MN KdoOpFü). Anders als das JSEC, das eine NATO-Dienststelle ist, ist das Multinationale Kommando Operative Führung trotz seiner multinationalen Anteile eine im Kern nationale Struktur. Es stellt nach Angaben der Bundeswehr die „Operationsfähigkeit“ des JSEC sicher. Der Befehlshaber des Multinationalen Kommandos Operative Führung ist immer auch gleichzeitig Kommandeur des JSEC.[9] Mit dem Multinationalen Kommando Operative Führung will Berlin laut Angaben der Bundeswehr „in erster Linie“ im Rahmen der EU, aber auch innerhalb der NATO die Führung über multinationale Übungen und Einsätze übernehmen. Die Truppe sieht in dem Kommando einen „wesentlichen Beitrag für die europäische Sicherheitsarchitektur“ [10] beziehungsweise einen „konkrete[n] deutsche[n] Beitrag zur Stärkung“ der militärischen Handlungs- und Führungsfähigkeit der EU.[11]

Deutscher Führungsanspruch

Nimmt Deutschland mit dem Multinationalen Kommando Operative Führung Einfluss auf den militärischen Fähigkeitsaufbau der EU, so „stärkt“ es mit dem JSEC laut Angaben der Bundeswehr „den europäischen Pfeiler der NATO“ [12]; es zeige damit, dass es „in der NATO Verantwortung und Führung übernehmen“ wolle, erklärte im Mai 2021 die damalige Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer [13]. Insgesamt stehen in den beiden Führungsstrukturen mehr als 130 Militärs aus zahlreichen Staaten unter dem Befehl eines deutschen Generals. Bei der „Koordination der Planungs- und Führungsprozesse“ zwischen Bundeswehr, EU und NATO habe man in Ulm „kurze Wege“, heißt es zufrieden beim Multinationalen Kommando Operative Führung.[14] Mit Hilfe der beiden militärischen Kommandostrukturen untermauert Berlin seinen Führungsanspruch in EU und NATO.

 

[1] S. dazu Auf Krieg einstellen (I).

[2] Es geht nur gemeinsam. bundeswehr.de 26.01.2024.

[3] „Hoffentlich keine Landung von russischen Fallschirmjägern“. t-online.de 25.01.2024.

[4] S. dazu Auf Krieg einstellen (I).

[5] Verteidigungspolitische Richtlinien 2023. Bonn, November 2023. S. dazu „Kriegstüchtigkeit“ als Handlungsmaxime.

[6] Factsheet: Joint Support and Enabling Command. NATO, September 2023.

[7] S. dazu Auf Krieg einstellen (I).

[8] JSEC: „Wir sorgen dafür, dass Streitkräfte zur richtigen Zeit am richtigen Ort sind“. bundeswehr.de 26.05.2021.

[9] Multinationalität und Expertise. Pressestelle des Multinationalen Kommandos Operative Führung.

[10] Multinationales Kommando Operative Führung. bundeswehr.de.

[11] Multinationalität und Expertise. Pressestelle des Multinationalen Kommandos Operative Führung.

[12] JSEC (Joint Support and Enabling Command): Neues NATO-Kommando in Ulm voll einsatzbereit. bundeswehr.de 09.09.2021.

[13] Gründungsvertrag für neues NATO-Kommando JSEC (Joint Support and Enabling Command) in Ulm unterschrieben. bundeswehr.de 17.05.2021.

[14] Multinationalität und Expertise. Pressestelle des Multinationalen Kommandos Operative Führung.

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