Deutsche Militärs erarbeiten erstmals seit dem Kalten Krieg einen konkreten Operationsplan für militärische Operationen auf deutschem Boden im Fall eines Krieges mit Russland. Deutschland ist laut NATO-Plänen Drehscheibe für den Aufmarsch nach Osten.

Deutsche Militärs entwickeln bereits seit dem vergangenen Frühjahr konkrete Planungen für kriegerische Operationen auf deutschem Boden. Zuständig für die Arbeit an dem „Operationsplan Deutschland“ ist das Territoriale Führungskommando der Bundeswehr. Dessen „wesentliche Aufgabe“ sei es, den „vorgesehenen Aufmarsch“ – der Sache nach gegen Russland – und die „Versorgung verbündeter und eigener Streitkräfte in der Drehscheibe Deutschland sicherzustellen“, erläutert die Bundeswehr. Die „Forderungen der NATO an Deutschland“ als Drehscheibe eines transatlantischen Vorstoßes in Richtung Osten seien die „zentrale Einflussgröße bei der Erstellung“ des Operationsplans. Die Bundesregierung arbeitet bereits seit Jahren am Ausbau der transeuropäischen „militärischen Mobilität“. Jüngste Initiative ist eine kürzlich unterzeichnete Absichtserklärung der Niederlande, Polens und Deutschlands, die gemeinsam einen „Musterkorridor“ für Truppenverlegungen an die NATO-Ostflanke aufbauen wollen. Als „zentrale Transitnation“ sei gerade für Deutschland der Ausbau der „militärischen Mobilität“ von „strategischer Bedeutung“, äußert die Parlamentarische Staatssekretärin im Verteidigungsministerium Siemtje Möller.

Operationsplan Deutschland

Zum ersten Mal seit dem Kalten Krieg stellt die Bundesrepublik einen umfassenden Verteidigungsplan auf, den sogenannten Operationsplan Deutschland. Dabei handelt es sich um konkrete Planungen für „den operativen Einsatz der Bundeswehr in Deutschland in Frieden, Krise und Krieg“.[1] Hintergrund ist die sich mit der drohenden weiteren militärischen Eskalation des Einflusskampfes zwischen den NATO-Staaten und Russland „verschärfende sicherheitspolitische Lage in Europa“, erläutert die Bundeswehr: Es gelte, sich „letztendlich auch“ auf „Krieg einzustellen“.[2] Der Operationsplan beruht nach Angaben der Truppe auf der „Basis der NATO-Verteidigungsplanung“.[3] Wesentliche Teile der deutschen Streitkräfte sind inzwischen in unterschiedlicher Form im NATO-Aufmarsch in größtmöglicher Nähe zur russischen Westgrenze gebunden. Die deutschen Militärs gehen bei der Erarbeitung des Operationsplans davon aus, dass „ein größerer Teil“ der Bundeswehr „in Deutschland selbst nicht eingeplant“ werden könne, da er „an der Ostflanke“ der NATO „gebraucht“ werde.[4] Nicht zuletzt deshalb stützt sich der Operationsplan maßgeblich auch auf die Einbindung ziviler Kräfte und Reservisten (german-foreign-policy.com berichtet in Kürze).

Nach Osten

Von dem konkret ausformulierten Operationsplan Deutschland erhofft sich die Bundeswehr eine „schnelle Handlungsfähigkeit über alle Ressort- und Ländergrenzen hinweg“. Das Planungspapier soll die Bundesrepublik befähigen, den „Aufmarsch der alliierten Streitkräfte über und durch Deutschland an die NATO-Ostflanke“ durchzuführen.[5] Dabei gehe es unter anderem um die Verkehrsleitung bei Truppenmärschen, um das Betanken der Militärfahrzeuge, um Unterstützung bei technischen Problemen und um die Unterbringung und Verpflegung der NATO-Soldaten auf ihrem Weg nach Osten. Ziel und Aufgabe der deutschen Streitkräfte sei es, „Aufmarschwege für Verbündete“ freizuhalten und „Konvois [zu] versorgen“.[6] Dieser sogenannte Host Nation Support zählt demnach zu den „wesentlichen Beiträgen“ Deutschlands zur NATO-Verteidigungsplanung und damit „letztlich auch zur Landes- und Bündnisverteidigung“.[7] „Bereits jetzt“ laufen nach Angaben der Bundeswehr „verstärkte Übungen“ in diesem Bereich [8]: Der Umfang der Truppenbewegungen habe wesentlich zugenommen, die Reaktionszeiten seien geringer geworden.

Vom Frontstaat zum Aufmarschgebiet

Bei der Ausarbeitung des Operationsplans greifen die deutschen Militärs nach Angaben des verantwortlichen Generals André Bodemann, Befehlshaber des Territorialen Führungskommandos der Bundeswehr, „auf alte Überlegungen aus dem Kalten Krieg“ zurück. Allerdings seien die damaligen Kriegspläne „nicht eins zu eins übertragbar“.[9] Hintergrund sind mehrere Jahrzehnte Ostexpansion von EU und NATO und damit auch des unmittelbaren deutschen Einflussgebietes über die ehemalige Westgrenze der Sowjetunion hinaus. Mit seiner Expansion nach Osten hat der NATO-Block nicht nur die Nachkriegsordnung untergraben, sondern auch Deutschlands strategische Position im Ringen der Großmächte um Osteuropa verändert. Während des Kalten Krieges verlief die Frontlinie zwischen den Blöcken noch durch die heutige Bundesrepublik bzw. durch Berlin. Heute stoßen die Einflusssphären viele hundert Kilometer weiter östlich aufeinander. Die Bundesrepublik ist heute nicht mehr Frontstaat, sondern „die logistische Drehscheibe für Marschbewegungen der Partnerstreitkräfte“ auf dem Weg nach Russland, wie das Verteidigungsministerium formuliert.[10]

Angriffe auf die Infrastruktur

General Bodemann rechnet deshalb „nicht“ mit einer „Panzerschlacht“ auf deutschem Boden.[11] Aufgrund Deutschlands „geostrategischer Lage“ [12] als militärisches Transitland gehen die Militärplaner vielmehr von Angriffen auf die „kritische Infrastruktur“ aus. Wahrscheinlicher seien Sabotageaktionen mit dem Ziel, „den Aufmarsch zu behindern oder zu verhindern“ – etwa durch „irreguläre Kräfte“ oder „eingesickerte“ Spezialkräfte –, aber auch Angriffe mit „ballistische[n] Raketen“. Insbesondere Häfen, Brücken und Energieunternehmen seien „bedroht“.[13]

Ausbau der Marschwege

Bei der Formulierung des Operationsplanes können die deutschen Militärs auf die Ergebnisse der Kriegsvorbereitungen der vergangenen Jahre zurückgreifen. Berlin treibt bereits seit Jahren Maßnahmen voran, um europaweit die infrastrukturellen Vorraussetzungen für die Verlegung militärischer Großverbände zu verbessern – beispielsweise mit den PESCO-Projekten Network of Logistic Hubs und Military Mobility.[14] Ziel ist nach Angaben des deutschen Verteidigungsministeriums der „Aufbau eines europäischen Logistik-Netzwerkes, um Ausrüstung, Material und Munition zu lagern und für Transporte vorzubereiten“. Zudem sollen Verfahren für Truppenbewegungen zwischen den EU-Staaten beschleunigt und die Verkehrsinfrastruktur modernisiert werden – „insbesondere in Richtung NATO-Ostflanke“.

Militärischer Musterkorridor

Jüngster Vorstoß in diesem Bereich ist eine kürzlich von den Niederlanden, Deutschland und Polen unterzeichnete Absichtserklärung, in der sich die drei Staaten dem Aufbau eines „grenzüberschreitenden Musterkorridor[s] für den militärischen Verkehr von Westen nach Osten“ verschreiben. Laut Verteidigungsministerium planen Den Haag, Berlin und Warschau gemeinsam „die Organisation des zentralen militärischen Verkehrs [der NATO-Nachschubtruppen] von West nach Ost“. Verantwortlich für die Umsetzung des Musterkorridors „von den Tiefseehäfen an der Nordsee an die besonders exponierte NATO-Ostflanke“ ist die im deutschen Ulm angesiedelte NATO-Kommandostruktur JSEC, die laut dem deutschen Verteidigungsministerium „sämtliche Truppenbewegungen der NATO im europäischen Bündnisgebiet“ koordiniert – german-foreign-policy.com berichtet in Kürze.[15]

[1] Es geht nur gemeinsam. bundeswehr.de 26.01.2024.

[2] Operationsplan Deutschland: Wie verteidigen wir unser Land? bundeswehr.de.

[3] Es geht nur gemeinsam. bundeswehr.de 26.01.2024.

[4] „Hoffentlich keine Landung von russischen Fallschirmjägern“. t-online.de 25.01.2024.

[5] Es geht nur gemeinsam. bundeswehr.de 26.01.2024.

[6] „Hoffentlich keine Landung von russischen Fallschirmjägern“. t-online.de 25.01.2024.

[7] Es geht nur gemeinsam. bundeswehr.de 26.01.2024.

[8], [9] „Hoffentlich keine Landung von russischen Fallschirmjägern“. t-online.de 25.01.2024.

[10] Military Mobility: Musterkorridor für Truppenverlegungen geplant. bmvg.de 31.01.2024.

[11] „Hoffentlich keine Landung von russischen Fallschirmjägern“. t-online.de 25.01.2024.

[12] Operationsplan Deutschland: Wie verteidigen wir unser Land? bundeswehr.de.

[13] „Hoffentlich keine Landung von russischen Fallschirmjägern“. t-online.de 25.01.2024.

[14] S. dazu Das Military Mobility Project und Freie Marschrouten.

[15] Military Mobility: Musterkorridor für Truppenverlegungen geplant. bmvg.de 31.01.2024.

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